Ja, es gibt zwischendurch diese Momente, in denen man sich fragt, ob es nicht schon ganz schön cool wäre, mal wieder in einer coolen Stadt in einer coolen Redaktion zu arbeiten. Politik-Ressort der ZEIT. Oder beim Spiegel. Oder zumindest beim Tages-Spiegel in Berlin. Oder in London oder New York.

Während meiner Ausbildung hatte ich mir vorgenommen, dass unter dem Job als Superduper-Ober-wichtig-Korrespondentin in Washington, Berlin oder Paris ja mal gar nichts denkbar ist. Wenn überhaupt. Besser noch: gleich Chefredakteurin irgendwo. Oh, liiiiebe Zeit. Naja, Sie wissen schon.

Jedenfalls hat mich schon der erste Praktikumsplatz noch während dieser Ausbildung überzeugt: das Regionale, das Lokale, das ist meins. Beim Sender Freies Berlin war das, die Älteren unter Ihnen erinnern sich. Die Sendung hieß Rund um die Berolina und war auch etwa so. Die radio-phone Berliner Spießigkeit.

Aber der Redaktionsleiter war ein Vollblut-Lokaljournalist und der Job als Reporterin großartig: Ran an die Leute, ran an die Geschichten. Jeden Tag etwa dazulernen. Jeden Tag mit Neugierde und Wissensdrang dabei sein. Menschen im vermeintlich Kleinen die große Welt begreifbar machen, vor Ort, da, wo sie leben und arbeiten. In ihrer Lebenswirklichkeit, ihrem regionalen Umfeld. Es zumindest versuchen, jeden Tag aufs Neue.

Ein Symbolbild.

Ich bin ja bis heute immernoch und immer mehr überzeugt davon, dass der Lokal- und Regionaljournalismus riesiges Potential hat. Hätte. Haben könnte. Haben sollte. Naja, Sie wissen schon. Die Vorstellung hingegen, ich säße nun in einer wichtigen Zentralredaktion und würde mir tagelang die Finger ausschließlich über die Thüringer Landtagswahl wundschreiben, allein die Vorstellung bereitet mir inzwischen Bauchweh. Ich stelle mir vor, ich wäre Korrespondentin in London: Albtraum. Brexit, Brexit, Brexit, sonst kein anderes Thema in Sicht. Brex-shit, sagt die englische Schwägerin nur noch, fällt mir dabei ein, aber das ist jetzt wieder eine andere Geschichte.

So jedenfalls male ich mir das aus, und dann bin ich wieder äußerst froh und dankbar, dass ich mich seinerzeit für die vermeintliche Provinz entschieden habe. Ist das nicht langweilig, ist da überhaupt was los?, fragen mich mitunter ausgerechnet Kollegen, die den lieben langen Tag am Rechner über Agenturmeldungen sitzen und von dort aus zweiter Hand die Welt erklären wollen oder müssen.

Ist da überhaupt was los? Nicht weniger als anderswo, würde ich jetzt mal behaupten, man muss allenfalls nur etwas genauer hinschauen und hinhören. Ich habe in den vergangenen Tagen einen Erzbischof getroffen, und eine Regierungspräsidentin, außerdem Bürgermeister, Kreisräte und einen Landrat. Das alleine wäre jetzt noch nicht der besonders beeindruckende Brüller, aber ich habe bei all diesen Terminen auch mit zahlreichen ganz normalen Leuten gesprochen, jede Menge gelernt, und manches verstanden und vielerlei Bezüge herstellen können, zu den Menschen, die hier leben, ganz konkret.

Ich habe etwas über die Nöte und Sorgen der katholischen Christen an der Odenwälder Basis erfahren, und gehört, wie das Erzbistum damit umgehen will (so ganz überzeugt hat es mich nicht). Ich habe mir erklären lassen, was es mit der schon lange geforderten Flächenkomponente bei den Schlüsselzuweisungen des Landes an die Kommunen auf sich hat, ein dicker Hund, dass das immernoch nicht umgesetzt ist, wenn Sie mich fragen. (Hallo? Die Gemeinden kriegen offenbar alle quasi das gleiche Geld, egal, ob sie zwei Ortsteile, zwei Friedhöfe und zwei Kläranlagen haben, oder vierzehn Ortsteile, vierzehn Friedhöfe und vierzehn Kläranlagen, das ist ja allerhand. So habe ich das jedenfalls verstanden.)

Ich habe beim allertollsten Schülermusical ever etwas über Marie Juchacz erfahren, Gründerin der Arbeiterwohlfahrt und erste Frau, die vor einem deutschen Parlament gesprochen hat. (Sehr spannend, da sollten Sie mal googlen, kein Tag ohne Horizonterweiterung und so). Und was die Schüler da geleistet haben: ganz unfassbar.

Ich habe erfahren, dass der Landkreis die Zahl der Biobetriebe deutlich erhöhen möchte, und ich habe mir die geologischen Probleme am Eckenberg bei Adelsheim erklären lassen (die sind nämlich dafür verantwortlich, dass die neue Brücke dort noch ein bisschen teurer wird als ohnehin schon.). Ausserdem durfte ich mich mit den Baukosten der Kläranlage des Zweckverbandes Seckach/Kirnau befassen, und mit der Frage, warum die Aussegnungshalle in Seckach-Zimmern nun doch anders gebaut wird als ursprünglich geplant. (Die überhitzte Baukonjunktur, die Preise treiben einem die Tränen in die Augen, ich sags Ihnen. Und die Gebühren für die Bürger in die Höhe, schlimmstenfalls).

Habe ich noch Themen der vergangene Tage vergessen? Ja. Pilzfrevler im Odenwald. Drückjagden, die den Verkehr behindern. Ein Jahrhundert-Straßenbau-Projekt, die Transversale. Immer noch in der Pipeline, vielleicht wirds was bis zum Jahr 2040.(Dazu gibt es sogar schon Bürgerinitiativen). Die Vision von einem expliziten Landkrankenhaus. Weil Krankenhäuser im ländlichen Raum eben anders funktionieren als Krankenhäuser in der Großstadt. Weil sie unter den aktuellen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen offenbar gar nicht wirklich funktionieren können. Aber Schließen keine Option sein kann. (Es gab da ein Telefonat zwischen dem Landrat und dem Herrn Gesundheitsminister, aber offenbar hat der Spahn nicht so recht angebissen. Noch nicht.).

Ein Abfallentsorgungszentrum habe ich auch noch besichtigen dürfen. (Das Thema geht uns durchaus alle an). Und eine Anlage zur Herstellung von Terra preta. Eine wahre Wunder-Erde, die schon in manchen Ländern erfolgreich eingesetzt wird, nur die Deutschen sind noch nicht so richtig überzeugt. Spannende Sache, sollten Sie ebenfalls googlen. (Wir werden damit jedenfalls im kommenden Jahr mal erste Kartoffel- und Tomaten-Feldversuche starten, also: stay tuned.) Und dann habe ich noch einen 21jährigen getroffen, der in mühevoller Kleinarbeit erstmals die Geschichte der Euthanasie-Opfer in seinem Heimatdorf recherchiert hat.

Puh. Jede Menge Themen. Ach ja, eine neu kreierte Odenwald-Torte konnte ich dienstlich auch noch verkosten, da ist irgendwas mit Grünkern drin, und jede Menge Sahne, die Kalorien tanzen als Topping oben drauf, aber sie schmeckt ganz vorzüglich.

Ist das nicht langweilig? Ist da überhaupt was los? Nicht mehr oder weniger als anderswo, tät ich mal sagen. Man muss nur genau hinschauen und hinhören. Ab morgen geht’s wieder weiter. In diesem Sinne: einen guten Wochenstart!

5 Kommentare zu “Ist das nicht langweilig?”

  1. H. hat nie gefunden, dass Ihre Arbeit langweilig ist. Manche Journalisten mancher Zeitungen sollten ruhig mal ein Viertel Jahr lang über Lokales schreiben müssen, dann wären vielleicht manche spätere Artikel nicht so abgehoben.

  2. Lach mich grad schlapp….bevor ich jetzt den Laptop eingeschaltet habe, was meinst, was wir da schnabuliert haben??? Genau….Burkhardts/Münkel Grünkerntorte…war seeehr lecker. Als nächstes werden die Grünkerngipfel probiert….
    Im Übrigen: im Odenwald ist doch immer viel los, am Samstag wieder Theater in Laudenberg ;-)

  3. Immer wieder schön, wie du einen mitnimmst auf Entdeckungstour. Und wenn es heißt die Frage zu beleuchten, ob es im ländlichen Raum nicht langweilig zuginge. Oder die Pilzplünderer. Und so. Das kleine Museum.
    Danke sehr, ich wünsch Dir auch einen guten Wochenstart!

  4. Ich liebe es sehr, in meiner Gegend unterwegs zu sein und mit den Leuten zu plaudern, die hier wohnen, arbeiten und leben. Ja, das Große im Kleinen entdecken. Das sind die wahren Abenteuer! Derzeit wird auf unserer Straße ein Haus gebaut. Wenn da der Schwertransporter kommt und einen Kran bringt, sehen die Nachbarn zu und tauschen sich aus. Da werden mir Autos für den Großneffen in die Hand gedrückt, frisch gebackene Kekse machen die Runde. In ‚unserem‘ Edeka hat jetzt der unglaublich beliebte Grieche aufgehört, alle sind gekommen, um ihn zu verabschieden, weil er so hilfsbereit und freundlich ist und fleißig. Er geht zurück nach Griechenland und seine Fan-Gemeinde hier hat ihm gesagt, er könne jederzeit wiederkommen, wir würden ihm alle helfen. Er hatte Tränen in den Augen. Und nein, diese Dinge stehen hier nicht in der Zeitung. Deshalb schätze ich übrigens Ihre Kolumnen sehr.

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