Wenn Sie etwas für Körper, Geist und Seele tun wollen, gehen Sie am besten in den Wald. Man kennt diesen wohlgemeinten Ratschlag. Ich mache das ja auch täglich gleich mehrfach. Nicht unbedingt, weil ich etwas für Körper, Geist und Seele tun möchte, sondern eher, weil die Hunde kacken, pullern, laufen ausgeführt werden müssen.
Nun habe ich es auch vergleichsweise einfach, denn ich lebe auf dem Lande, und das Dorf ist quasi umzingelt von Wald, ich kann gar nicht anders, als dauernd durch den Wald zu stolpern. Wo man auch hinguckt: überall Wald. Und icke: täglich mittendrin.
Das ist vielleicht eine extrem privilegierte Lebenssituation: Wohnen und Arbeiten, wo andere Urlaub machen, naja, Sie wissen schon. Ich las dieser Tage, dass die Menschen in den westlichen Industrienationen rund 90 Prozent ihrer durchschnittlichen Lebenszeit in geschlossenen Räumen verbringen, das klingt mir ziemlich tragisch.
Denen empfiehlt man dann, einmal pro Woche für mindestens zehn Minuten in eine Grünanlage, oder, falls greifbar, sogar in einen Wald zu gehen. Oder Bäume zu umarmen. Barfuß auf dem Waldboden zu stehen. Mal im Wald zu atmen. (Also, atmen tun die Leute ja ohnehin vermutlich, das nehme ich jetzt mal so an, aber eben ganz bewusst die Waldluft durch die Nüstern hochzuziehen.). Achtsam zu sein im Wald, horchen, kieken, mimen, wa.
Da gibt es inzwischen ganze Philosophie- und Medizin-Strömungen über die Heilkraft des Waldes, Es gibt Waldforscher, die ihr Geld mit universitären Studien rund um das Verhältnis Mensch-Wald verdienen, es gibt ausgebildete Waldtherapie-Führer, und Leute, die sich zum Waldbademeister ausbilden lassen, mit Waldbademeisterzertifikat, um dann Menschen das Waldbaden näher zu bringen. Gegen eine gewisse Kursgebühr vermutlich, ähem.
Mir ist das alles ziemlich fremd, aus Gründen, siehe oben, aber ich sehe den offenkundigen Bedarf, den guten Willen und den lobenswerten Ansatz. Und empfehle der hiesigen Touristikgemeinschaft mal dringendst, sich inbesondere um das Thema Waldbaden zu kümmern, das scheint der neueste heiße Scheiß in Deutschland zu sein, vielleicht ist da doch jede Menge Potenzial, was den Fremdenverkehr angeht. Die in Südbaden haben das Waldbaden natürlich schon für sich entdeckt, also bitte, dann muss das in Nordbaden mit dem Waldbaden doch auch gehen.
Wenn Sie etwas für Körper, Geist und Seele tun – , aber nicht gleich waldbaden wollen, weil sie wasserscheu sind oder Nichtschwimmer oder wasweißich, dann habe ich hier im Übrigen den ultimativen Trick für Sie. Sie brauchen dazu weder einen Kurs noch eine Therapieausbildung, ehrlich, es ist ganz einfach. Ich habe das heute mal wieder für Sie getestet.
Also: Gehen Sie in den Wald. Aber gehen Sie nicht da, wo Sie sonst auch immer langlatschen, auf Wegen, die Sie aus dem Eff-Eff beherrschen und selbst blind noch finden würden (so wie ich das gerne tue). Wenn Sie wirklich mal abschalten wollen, gehen Sie in einen Ihnen unbekannten Wald und unbekannte Wege. Nehmen Sie am besten einen Wanderführer mit, der nur so semi-gut den Weg beschreibt, dazu noch eine vielleicht etwas veraltete Wanderkarte. Geduld und Ruhe sollten Sie zumindest im Rucksack dabei haben. So wie ich heute.
Ich war auf einem Rundweg zwischen zwei Ortschaften unterwegs, (für die Kenner unter Ihnen: zwischen Eberstadt und Götzingen), die grobe Wegbeschreibung war gut, im Detail dann aber doch nur so semi, meine Wanderkarte leider leicht veraltet, und die Markierungen des Weges gut bis mittelschlecht bis unsichtbar. Oder ich brauche eine neue Brille, das ist natürlich im Bereich des Möglichen. Allerdings darf ich von mir behaupten, mal zwei Jahre lang (Achtung!) Wegewart für den Odenwaldklub gewesen zu sein, immer mit Pinsel und Schablonen, Kratzbürste und Rindenfeile im Unterholz unterwegs, ich bin so gesehen durchaus geschult, also bitte.
Jedenfalls musste ich mich heute bei der mehrstündigen Tour so extrem auf den Weg und die Weg-Führung konzentrieren, nachgeradezu fokussieren, dass in meinem Kopf nichts anderes mehr Platz hatte als nur diese einzige, immer wiederkehrende Frage Da lang? Oder da lang? Wie jetzt? Wo jetzt? Für nichts anderes war mehr Platz in meinem gestern noch so durchgedrehten Hirn. Zum Glück traf ich unterwegs keine Menschenseele, niemanden, der hätte sehen und hören können, wie ich immer wieder stehenblieb, auf die Karte glotzte, auf die Bäume glotzte, und dann laut und vernehmlich Hääää? in die Stille des Waldes fragte. Es war schlichtweg herrlich.
Und genau so geht Entspannung. Nach sechs Stunden unterwegs fühlte ich mich wie nach einem Kurzurlaub. Auch das ist wissenschaftlich erwiesen, die totale Konzentration auf eine Sache, das Aufgehen in einer Tätigkeit, all das, was Sie Zeit und Raum vergessen lässt. Achtsamkeit undsoweiterundsoweiter, naja, Sie wissen schon. Auch so ein nicht mehr ganz so neuer, aber heißer Scheiß, mit dem manch einer gutes Geld verdient. Geht aber auch kostenlos und einfacher. Glauben Sie mir.
Also, rein in den Wald, aber weg von den altbekannten Pfaden! Neues wagen, jawohl! Sich auf den Weg konzentrieren und keine schlechte Laune kriegen, wenn man sich auch mal verläuft. Einen Fuß vor den anderen setzen und immer nach den Wegweisern schauen, sonst nichts. Am Ende kommen Sie irgendwie da an, wo Sie hinwollten, ansonsten Geld-zurück-Garantie.
Ich versuche jetzt noch, das irgendwie aufs richtige Leben zu übertragen, diese ganze Wandergeschichte. Allegorisch, sozusagen. Oder wie man das nennt. Da fällt mir aber im Moment leider nichts Schlaues dazu ein. Ich bin müde von der Wanderung, geradezu herzerfrischend müde. Und tiefenentspannt.
P.S.: Falls Sie das noch nicht kennen, lege ich Ihnen das hier mal dringend ans Herz: Wanderbuch(en), Odenwald, Bauland ; 16 Touren zum Kennenlernen zweier Landschaften. Ja, das ist mal wieder Werbung, und wie immer unbezahlt.
Seufz, würd ich ja gern, bin aber zu weit weg vom Schuss. Und wir haben gottseidank genug Wald vor der Haustür. Trotz 35 Meilen Nähe von New York haben wir sogar Bären am Haus ab und an, Füchse, chipmunks, Waschbären, und vor allem Rehe, die einfach alles im Garten fressen was ihnen gefällt. Und Wanderwege die holprig und steinig genug sind, dass es einfach unmöglich ist, mit irgendeinem Fahrrad, Moped, ob elektrisch oder nicht, da rumzukurven. Und wandern tun wir, wenn’s geht jedes Wochenende. Ohne Würstchenbude oder Gasthaus am Ende, einfach nur Wald. (Sehen leider alles Viehzeug mehr direkt am Haus, anstatt jwd)
Wollte eigentlich nicht angeben, sondern beistimmen!
Hab ich so verstanden. Ich bin auch nicht neidisch, weil zufrieden im Odenwald, und USA noch nie ein Ziel für mich war. ?
Moin,
was ist dass denn für eine Ringbuch Wanderkarte wie in einem der Bilder zu sehen (Eberstadt+ Götzingen) — interessiert mich sehr (ISBN, Bezugsquelle,..)!
Unten den Link anklicken, da isses, das Buch.
Zumindest in meiner Kindheit war es normal, einfach frei Schnauze loszuziehen (auch mit Hund). Irgendwo würde man sich schon wieder- und zurechtfinden. (Heute muß ich es selbst wieder „lernen“.) Als mir das erste Mal, vor gar nicht langer Zeit, der Begriff Waldbaden unter kam… Darf ich mal tief seufzen? Früher nahm man, wenn man wirklich mal eine Auszeit brauchte, entweder gar nichts oder einen sinnvoll bestückten Rucksack mit, und war dann einfach mal für einige Stunden weg. Und kam meistens befreit wieder.
Sind wir wirklich schon so weit, nach so wenigen Jahrzehnten, uns beibringen lassen zu müssen, wie wohltuend so ein Stapfen durch Wald (und Wiese und überhaupt) ist?
Scheint an der Gegend zw. Eberscht & Götzi zu liegen: Der Herr K. Ist da auch mal fast verloren, zumindest in die Irre gegangen, zum Glück aber von Leuten aufgelesen worden. Wir hatten ihn schon abgeschrieben.
Ja, Waldbaden fehlt hier, auch nicht erreichbar ohne Auto…
LG
Astrid
*Waldbaden* – davon hatte ich es auch erst gerade. Kommt so als Tätigkeit anscheinend in der Mitte der Gesellschaft an, findet man wohl noch nicht einmal mehr befremdlich: waldbaden. Bon, so ändern sich die Zeiten… man wird ja nicht jünger ;)
liebe Grüße…