Irgendwann musste es herauskommen. Ich bin ein großer Fan von Frau Merkel, Partei hin oder her, und je näher ihr angekündigter Abschied rückt, desto mehr vermisse ich sie jetzt schon. Man muss das nicht verstehen, es korrespondiert auch so gar nicht mit meinem üblichen Wahlverhalten, aber so isses halt nun mal. Wenn Sie mir eine richtig coole Alternative für den Job da oben im Bundeskanzleramt nennen könnten, dann wäre ich beruhigt. — Naja.— (Eben. Merken Sie selber, oder?)
Also, was ich eigentlich sagen wollte: die Frau Merkel war dieser Tage wieder zu Gast in der Bundespressekonferenz, da sitzen alle wichtigen Journalisten dieser Welt, und ein Haufen solcher, die sich zumindest für wichtig halten, und die dürfen vor der Sommerpause die Frau nochmal mit Fragen löchern. Die kommen vom Hölzchen aufs Stöckchen, es geht einmal quer durch die Bundespolitik, und dann einmal quer durch die ganze Weltpolitik, und Europa, und Gleichstellung und Ost- und Westdeutschland. Ich habe die Mitschrift des ganzen Frage- und Antwort-Gedöns tatsächlich gelesen, was soll man denn sonst machen auf dem Lande, den lieben langen Tag? Sie können das auch tun, dann bitte (klick!) hier entlang. Dort habe ich auch das folgende Zitat entnommen. Was die Frau da allein an Themen-Mengen sachkundig aus dem Ärmel schüttelt, ohne vorher zu wissen, welche Fragen überhaupt gestellt werden, – Hut ab.
Jedenfalls sagte sie in irgendeinem 30-Jahre-Mauerfall-Zusammenhang, wie wichtig es sei, dass Menschen aus unterschiedlichen Regionen sich mehr voneinander erzählen.
Diese Kontakte sind heute also noch genauso wichtig, wie sie es im Grunde vor 30 Jahren waren, aber sie sind an vielen Stellen nie entstanden. Wenn ich zum Europatag in eine Schule in Neukölln gehe, ist Hellersdorf dort immer noch weit weg, und die Befindlichkeiten sind da manchmal ganz unterschiedliche. Da gibt es zum Beispiel Städtepartnerschaften in ganz Europa. Ich habe neulich mit jungen Menschen im Naturkundemuseum diskutiert, und da ging es um die Frage: Mit wem können wir Partnerschaften für das Klima schließen? Da habe ich gesagt: Schließt doch einfach einmal eine Partnerschaft von Berlin nach Vorpommern, denn dort stehen die Windräder, dort sind die Leute sauer, dass die klappern und Krach machen, sie bekommen aber keine Abstandsregelung, und ihr wollt alle Ökostrom; vielleicht sollte man also einmal dieses Gespräch suchen. Solche Dinge sind eben von Wichtigkeit.
Ich meine: Hallo?? Bingo! Auch mal unabhängig von Klima und Windrädern: wieso suchen wir eigentlich immer Partnerschaften in der Ferne? Jede dabbische stinknormale Schule hat heute Partnerschaften mit französischen, englischen, hawaiianischen, chinesischen oder wasweißichwo-Schulen. Vielleicht auch in den ostdeutschen Partnergemeinden. Nicht selten werden die Partnergemeinden aber so ausgewählt, dass sie sich ähneln, irgendwie, Größe, Infrastruktur, das macht ja einerseits auch durchaus Sinn.
Warum denn nicht aber auch Partnerschaften ganz in der Nähe, aber eben doch in sehr unterschiedlichen Regionen? Stadt und Land halt. Mein Lieblingsthema, Sie wissen das. Heidelberg mit Heidersbach. Mannheim mit Mudau. Schwetzingen mit Schweinberg. Oder eben Berlin-Mitte mit Kleinknödelsdorf in Vorpommern, um jetzt auch mal mit den neunmalklugen Alliterationen Schluss zu machen. München-Pasing mit irgendeinem Dorf in den oberbayerischen Bergen. Ganz nah, aber so unterschiedlich, so vermeintlich gegensätzlich, wie’s schlimmer nicht geht. Sie wissen doch, was ich meine, nun stellen Sie sich nicht so an.
Alles im Umkreis von einer guten Auto- oder sogar S-Bahn-Stunde, und trotzdem mitunter Lichtjahre entfernt. Terra incognita. Völlig unbekanntes Gelände. Kann doch nicht sein.
Kann doch nicht sein, dass Schüler aus Heidelberg auf ihrem schicken Smartphone Fotos aus der halben Welt versammelt haben, aber noch nie in einem Dorf im Odenwald waren. Oder umgekehrt. Dass die Bewohner ländlicher Regionen zwar schon auf den Malediven und in Hongkong waren, aber sich auf den Mannheimer Planken wie Falschgeld fühlen. Um nur mal das Mindeste an Desinformation zu nennen. Alles schon erlebt, erzählen Sie mir nichts. Von den Diskussionen über regenerative Energien, siehe oben Zitat Merkel, Landwirtschaft, ÖPNV, Umweltschutz, Ernährung oder Breitband hier mal ganz zu schweigen.
Langer Rede kurzer Sinn: Ihr Lehrer und Ihr Schuldirektoren und Kommunalpolitiker, Ihr Lehrerinnen und Direktorinnen und Politikerinnen, tut Euch doch da mal zusammen und denkt darüber nach. Miteinander sprechen und sich gegenseitig was erzählen, hat die Bundeskanzlerin gesagt, und wer wollte der schon widerstehen? Also, echt jetzt. Gegebenenfalls kann ich die Handynummer von Frau Merkel herausfinden, ich habe da so meine Kontaktpersonen, dann könnten Sie sich das von ihr nochmal genau erklären lassen.
Ende der Durchsage.
Kommunikation + Diversität = Synergie dasses kracht.
Genau!
Na, da hätte ich mir die vielen Worte ja sparen können – auf den Punkt gebracht!
Eine sehr gute Idee. Nicht nur für Schulen. Für jeden einzelnen von uns. Erst letzthin traf ich beim Schillerfest eine Instagram-Walkerin, aus der Pfalz, die noch nie etwas vom Weltkulturerbe um die Ecke in Lorsch gehört hatte. Wir trafen uns auch schon im Hackmuseum und so, aber die etwas weitere Umgebung wird nicht wahr genommen.
Vor Jahren fragte mich ein Mann, mit Familie im Mannheim-Käfertaler Wald, wo es denn hier zum Wasserwerk ginge. Zwei Waldwege kreuzten. Etwas weiter schrie er: „Uf Mallorca kenne ma jeden Stein un dehäm muss isch Wald noch’em Weg froche.“ Seit dem versuche auch ich die unmittelbare Umgebung besser wahrzunehmen. Menschen, Landschaften, Probleme, Lösungen. Kann ich nur empfehlen. Fahrt S-Bahn, Straßenbahn, Bus, hört zu, sprecht mit den Leuten. Hört auch die Reportagen u.a. der Autorin hier. Daraus ist auch mein Ausflugsblog geworden. (URL hier eingegeben) Auf diesen „Reisen“ traf ich auch schon mal die Autorin. :) Aber das mit den Partnerschaften hätte was. Mannheim-Schönau und Wald-Michelbach versuche ich mir gerade vorzustellen.
Über Frau Merkel können sie alle sagen, was sie wollen. Nach Kohl und Schröder ist sie eine Wohltat! Ihre Entscheidung, nicht mehr weiter zu machen, kann man verstehen, schade ist es dennoch. Was vielen Meckerern vermutlich in der Nase sticht, ist das, was hier geschrieben steht: Nicht immer am Ende der Welt schauen, wie es da zugeht, sondern hier vor Ort und wie man miteinander zurechtkommt und wie die Menschen 20 km weiter denken und fühlen. Und, wenn ich mich nicht ganz täusche, werden wir uns bald ziemlich nach Frau Merkel sehnen.
Ich bin des öfteren in Heidelberg bei kulturellen Veranstaltungen unterwegs, unterhalte mich dort mit Gott und der Welt, irgendwann kommt es immer zu dem Punkt an dem die Frage fällt: „Wo kommen Sie/Du her, wo wohnst du?“
Ich antworte dann Wahrheitsgemäß: „In Neckargerach“. Dann werde ich immer mit großen Augen angeschaut und weiter gefragt wo das denn sei.
Ich frage dann immer zurück ob sie denn Hirschhorn kennen?
Bei den meisten hört es da leider schon auf, manche kennen vielleicht gerade noch so Eberbach.
Dabei sind es von Heidelberg bis Neckargerach nur ca. 45 Kilometer.
Man versteht es nicht.
Habe Deinen Artikel gerade meiner Familie vorgelesen. JA! Haben sie alle sinngemäß gesagt!
Danke und liebe Grüße
Nina
So schön! Und dann muss ich mich mit so einem ignoranten hmmm, sagen wir lieber nicht was ich denke, rumärgern…. (wohne in New Jersey, wunderschöne Gegend, liebe die nähere und weitere Umgebung wirklich)
Genau! Ist ja irgendwie auch mein Thema. Und ich reise hin und her zwischen Stadt und Land. Das Leben in den Bergen, nur anderthalb Stunden von der Côte d’Azur entfernt, könnte gegensätzlicher nicht sein. Kontakte gibt es nur vereinzelt. Sich verstehen ist noch seltener.
Zu den Windrädern in Vorpommern passt übrigens sehr gut Juli Zeh „Unterleuten“, kennen Sie vielleicht schon. Ziemlich dick, konnte auch nur in den Bergen gelesen werden, weil es da weder TV noch Internet gibt.
Vielen Dank! Sie haben das in Worte gefasst, was ich ansatzweise und unsortiert denke.
Während meiner Schulzeit in einer Kreisstadt in der Eifel war ich überrascht, dass MitschülerInnen mein Dorf nicht kannten – nur 15 km entfernt. Zum Glück lebte meine Verwandtschaft etwas weiter verstreut bis ins Rheinland und Ruhrgebiet. So lernte ich als Kind schon, dass es ganz unterschiedliche Lebensorte gibt. Und fand es sehr spannend, jeder Ort hatte seine eigenen Vorzüge.
Als Erwachsene habe ich dann aber mal über mich den Kopf geschüttelt als ich bemerkte, dass ich nie hinter dem Siebengebirge war und ganz erstaunt feststellte, wie schön es „dahinter“ weiter geht. Es war mir echt peinlich. Aber dazwischen liegen schon wieder dreißig Jahre, meine Wege führen mich regelmäßig auf die „andere Seite“ des Rheins. Seitdem ich imkere und einen Garten bewirtschafte, gern davon erzähle, höre ich häufig von FreundInnen oder KollegInnen, dass ihnen viele Zusammenhänge gar nicht klar waren (schönes Wetter, aber kein Wasser zum Gießen z. B. und auch im schlimmsten Fall kein Nektar für die Bienen). Also erzähle ich weiter, wenn es sich ergibt.