Ruhestatt.

7. April 2019

Man kommt zu nix, wenn man Urlaub macht, es ist zum Haare-raufen. Ewiges Faulenzen, in der Sonne sitzen, gut essen, den Vögelein beim Zwitschern zuhören, den Bienen beim Summen, ja – so ein Urlaub ist schon stressig. Deswegen war hier auch Ruhe satt, so blogmäßig.

Aber wie kriege ich jetzt den literarischen Bogen von Ruhe satt zu Ruhestatt?, jahahahaaa, da staunen Sie, das ist ja gar nicht schwer. Wir haben natürlich nicht nur gefaulenzt im Urlaub, wir waren auch touristisch unterwegs. Und weil wir das mitunter ein bisschen anders touristisch machen als andere Touristen, zieht es uns auch in den Vogesen und im Elsaß immer mal wieder auf Friedhöfe. Gibts genug davon, und ein Gutteil sind Soldatenfriedhöfe. 20. Jahrhundert, Geschichte undsoweiter, naja, Sie wissen schon.

In diesem Fall stießen wir durch Zufall auf einen amerikanischen Soldatenfriedhof, davon gebe es weltweit überhaupt nur 25 Stück, lese ich mit Staunen in einem kleinen Faltblättchen. Der hier, bei Epinal, wirkt so gigantisch groß auf mich, dass es mir schier den Atem nimmt. 5251 Gräber sind hier, 5251 weiße Steinkreuze für 5251 Jims und Bobs und Johns und Montgomerys und wie sie alle hießen, die jungen Männer aus Texas und aus Arkansas, aus Minnesota und New York.

Junge Burschen, die sich zwischendurch gefragt haben werden, warum sie den Kopf hinhalten müssen, weil ein Größenwahnsinniger von Deutschland aus im fernen Europa sein blutiges Unwesen trieb. Der Glanz ihrer Taten wird niemals vergessen, heißt es in dem kleinen Faltblatt pathetisch, und irgendwie möchte ich mit den Zähnen knirschen und gleichzeitig auch dankbar sein. Es ist kompliziert.

Die US-Regierung jedenfalls hegt und pflegt diesen riesigen Soldatenfriedhof mitten im Nirgendwo der Hochvogesen, vor uns, neben uns und hinter uns brummen vier Männer auf Rasentraktoren nach einer ungeschriebenen Choreographie durchs Gelände, einer harkt, einer kehrt, einer wässert mit feinem Gerät ein Stück vornehmen Rasen. Ein anderer stutzt die Rhododendronbüsche und die japanischen Kirschen, er arbeitet akkurat wie ein Friseur, er schneidet und schaut, schneidet, tritt einen Schritt zurück und nimmt Augenmaß, schneidet hier ein bisschen, korrigiert da. Alles zu Ehren der toten Soldaten. Und für die amerikanischen Angehörigen, die immer wieder hier herkommen, um ein Grab zu besuchen, ein paar Blümchen dazulassen.

Zurück zuhause, stelle ich fest, dass ich hier in der Region gar keine Soldatenfriedhöfe kenne. Was ich kenne, sind die Kriegerdenkmäler aus den vergangenen Kriegen. 1870/71, Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg. Bald in jedem Dorf findet man sie, mal mehr, mal weniger aufwändig gestaltet und gemeißelt, und oft finden sich auf jedem Denkmal, für jeden Krieg, immer wieder die selben Familiennamen, wieder und wieder. Da haben Frauen ihre Väter, Männer und Söhne verloren, ihre Großväter und Onkel, über die Jahrzehnte hinweg, halbe Ahnenreihen. Ein Albtraum.

Auch auf unserem Friedhof steht ein solches Kriegerdenkmal, auch hier immer wieder die gleichen Namen, solche, die bis heute zum Dorf gehören. Ich denke darüber nach, ob es nicht sinnvoll wäre (vielleicht wird es längst gemacht), wenn Kinder oder Jugendliche einmal in ihrer Schullaufbahn eine Exkursion zu den dorf-eigenen Denkmälern unternehmen würden, mit einem Geschichtslehrer. Zu all diesen bekannten, vertrauten Namen, die da in den Stein gehauen sind. Jedes der Kinder würde jemanden kennen, der mit diesem oder jenem auf dem Stein verwandt gewesen ist. Und dann könnte man nochmal ganz neu, ganz un-theoretisch, nachdenken über Hass und Krieg und Mord, über Nationalismus im schlechtesten Sinne.

P.S. Ich käme zu einer solchen Exkursion sofort mit dazu. Nicht zuletzt, um zu erfahren, wieso eigentlich auf dem inzwischen bald übervollen Kriegerdenkmal auch die Pfarrer offenbar begraben sind. Und der Ordensfrauen gedacht wird. Was haben die mit Krieg zu tun? “Des war scho immer so”, erklärt mir eine Friedhofsbesucherin mit wissendem Kopfnicken, das ist soetwas wie die hiesige Generalantwort auf derlei Fragen. Hm. Sind die auch für Volk und Vaterland gestorben? Gotteskrieger im Heiligen Kampfe? Nein, nein, nein, es muß einen anderen Grund haben, einen, der bis heute gültig ist, denn es liegt sogar eine ganz schicke moderne Metallplatte da, die dem Besucher glänzend ins Auge sticht, zwischen all den ehrwürdigen alten Steinen, die war mir bis eben unbekannt.

Und warum kommen soviele der Dorffriedhöfe völlig baum-los daher, ohne schattige Plätze zum Sitzen, Denken und Erinnern? Wieviele Stunden habe ich schon auf Bänken unter Bäumen auf parkähnlichen Friedhöfen verbracht, in Berlin, in Köln und Freiburg. Ach, Fragen über Fragen. Und a propos Freiburg: wenn Sie da mal sind, sollten Sie den alten Friedhof in Herdern besuchen. Und besonders die schlafende Schöne, in die ich schon als Kind verliebt war. Einer der schönsten Orte der Welt, wenn Sie mich fragen. Aber mich fragt ja wieder keiner.

  • 11 Kommentare
  • Die Schwalbe 7. April 2019

    Als ich, damals noch ein Kind, zum ersten Mal an so einem Soldatenfriedhof mit den vielen weißen Kreuzen vorbeigelaufen bin, war ich zutiefst geschockt.
    “Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen.” -Plato

  • Roswitha 7. April 2019

    Baumlos sind die Friedhöfe hier in den Dörfern, weil die grabpflegenden Angehörigen “schöne Blumen” aufs Grab wollen. Und sie möchten kein Moos an den Grabsteinen. Dafür fielen in Schefflenz wunderbare alte Eiben, die zuviel Schatten warfen. Da werden die Bäume gefällt, weil sie Laub böswillig auf Gräber werfen. Und manchmal verschneiden gärtnerisch nicht ausgebildete Männer so grandios, dass nur noch Fällen hilft.
    In meiner Zeit als Gemeinderätin war dieses Thema wie ein hoffnungsloser Kampf gegen Windmühlen.

    • Eva 8. April 2019

      Ja, genau das mit dem Laub dachte ich auch sofort. Wir sind ja hier schließlich im Land der Kehrwoche. Das gilt bis über den Tod hinaus.
      Ich persönlich möchte gerne (hoffentlich erst viel später) zu den Eichhörnchen ziehen. Und die gibt’s nur, wenn alte Bäume da sind!
      Liebe Grüße
      Eva

  • Astridka 7. April 2019

    Es sind nicht nur die Angehörigen…meinem Großvater fahren sie über den Leib, weil die Wege verbreitert wurden für entsprechende Nutzfahrzeuge. Solche Friedhöfe mag ich nimmermehr besuchen, musste auch als Kind dort zu oft, zu viel in heißen Sommern gießen. –
    Ist mir übrigens als Kind schon aufgefallen bei den Kriegerdenkmälern, dass da in den diversen Kriegen immer der ganze männliche Nachwuchs der Armen, der Außenseiter des Ortes regelrecht “verheizt” wurde und nur die Töchter übrig blieben. Bei den “Honoratioren”, dem Dorf”Adel” sah das ganz anders aus. Hat mir schon damals Brechreiz und Wut verursacht. “Iss halt so” habe ich nie leiden können…
    Alles Liebe!
    Astrid

  • Uwe 8. April 2019

    Was ist denn das für ein Denkmal. Soldaten vom 1. und 2. Weltkrieg, Pfarrergräber und eine moderne Gedenktafel mit Pfarrer- u. Schwesternname?
    Das passt doch alles nicht zusammen oder?

    • LandLebenBlog 8. April 2019

      Ich weiß ja auch nicht…

    • Andreas 8. April 2019

      Sieht auch ein bisschen überfüllt aus.

  • Franziska 8. April 2019

    Man kann es gerne morbide nennen, ich finde eigentlich auf jedem Friedhof Ruhe und auch die eine oder andere schöne Stelle, mal mit Skulptur, mal einfach nur ein schicker Grabstein, über dem am besten ein alter, knorriger Baum wacht. Der Friedhof Ohlsdorf in Hamburg ist so ein richtiger Friedhofspark, wo man mich fast nicht mehr wegbekommen hat. Viel Freifläche, aber auch viel alter Baumbestand. Der Göttinger ist noch richtig toll, auch wieder mehr wie ein Wald, da sind wir mit einer Freundin gerne zum Photographieren hin. Der in Vaihingen/ Enz hat auch aus familiären Gründen einen Platz in meinem Herzen. Da liegt Mama. Manche Gräber sind so schön gestaltet, und dann auch noch auf dem Hang. Beste Lage sozusagen. Und mein absolutes Highlight ist der in Ebeltoft, man kann bis zur Ostsee schauen.

    Ob man Schüler wirklich für so eine Führung begeistern könnte? So wird Geschichte lebendig, aber vermutlich gäbe es außer gähnender Langeweile und Zoten keine gescheite Resonanz. Solange man jugendlich und gesund ist, hat man mit dem Tod in der Regel wenig am Hut. (Und damit dann auch mit Heimatgeschichte nicht so sehr.)

    Mir persönlich fehlt noch der Melaten und dann hier direkt vor der Haustüre der Alte Friedhof in Bonn-Mitte. Irgendwann! (Meistens bin ich schon so genervt auf dem Weg quer durch die Stadt, das jedesmal die Entscheidung zur Flucht nach Hause fällt.)

    Vermutlich haben städtische Friedhöfe deshalb so viel Baumbestand und große Hecken, weil man zwei Punkte damit erledigen konnte: Ein Liegeplatz für die Ewigkeit und ein wenig Natur mitten in der Stadt. Omis Friedhof in Gingen/ Fils hat für einen dörflichen Gottesacker zumindest ein paar Hecken und Bäumchen. Allerdings gefällt er mir ganz und gar nicht, weil er direkt an die B10 grenzt. Schade!

  • Wibke 11. April 2019

    Wenn wir nach Südfrankreich fahren, nehmen wir uns immer viel Zeit für den Weg und kommen zwangsläufig durch die Gegenden, die von vergangenen Kriegen geprägt sind. Im letzten Jahr kamen wir auf dem Hinweg durch Vogesen und zum Hartmannswillerkopf und auf dem Rückweg fuhren wir noch recht gezielt nach Verdun. Die schier unfassbar großen Friedhöfe, die Spuren in der Landschaft, die vor sich hinrostenden Kriegsgerätschaften in manchen Dörfern: Tiefe Traurigkeit, kalter Zorn und große Dankbarkeit erfüllen mich. Letztere für die Verständigung und die Solidarität zwischen einst verfeindeten Nationen. Für einen langewährenden und teuer erkauften Frieden in unseren Ländern hier. “Was für eine Verschwendung”, dachte ich oft, wenn ich mir die Namen der oft schrecklich jungen Männer und wenigen Frauen durchlas, deren Gräber ich abschritt. Christliche, muslimische und jüdische Grabsteine. Sammelgräber. Meere von weißen Kreuzen und Namen auf Gedenksteinen.
    Es scheint mir das Eigentümlichste an der Menschheit an sich zu sein, dass sie zu den unvorstellbarsten Grausamkeiten in der Lage ist, um sie dann wieder zu etwas Gutem zu wenden. Und so weiter, immer weiter …

    Diese Friedhöfe und auch die in Dörfern oder Melaten hier in Köln schätze ich als Orte, die einen zum Wesentlichen zurückbringen. Wir werden alle sterben, eines Tages. Der Tod ist ein Teil des Lebens. Alle, die tot dort liegen, lebten einst. Ich mag es, mir vorzustellen, wer sie mal waren und woran sie wohl glaubten. was sie liebten und hassten, ob sie gute Menschen waren und welche Spuren sie auf der Welt und in den Herzen der Überlebenden hinterließen.

    Wenn Du mal über Melaten gehen möchtest: Ich wüßte da eine, die Dich gern begleitete.

    • Franziska 12. April 2019

      Mich hat gerade die sprachliche Vielfalt begeistert! Auf Arbeit und auch so, traue ich mich schon fast nicht mehr, Tempi anzuwenden. Dürfte ich mit zur ganz persönlichen Melatenführung? :)

      Liebe Grüße unbekannterweise,
      Franziska

  • Michael 18. April 2019

    Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mit 19 beim (ersten und bisher einzigen) Besuch im Heimatdorf meines Vaters den Familiennamen auf einer Gedenktafel entdeckt habe. Das hat mich schon sehr betroffen gemacht, obwohl derjenige so weit entfernt verwand war (oder vielleicht auch gar nicht), das der Name auch meinem Vater unbekannt war.

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