Die Zeiten sind schwierig, aber schließlich ist Advent, und da möchte ich Ihnen doch mal wieder eine besinnliche Odenwälder Geschichte mit Niedlichkeitsfaktor 10 präsentieren. So halb aktuell, und halb aus dem Archiv, die Fotos sind von anno Tobak, also wundern Sie sich nicht.

Wie dem auch sei: Ich bin da neulich mal wieder bei Freunden vorbeigefahren, die wohnen hinter den Sieben Bergen, sehr idyllisch, und wie ich also mein Auto vor dem uralten Fachwerkhaus abstellen möchte, stehen auf der Straße vor mir plötzlich ein großer Hund und ein ebenso großer Rehbock. Seit an Seit. Beide sind völlig ungerührt und kommen sogar näher, als ich aus dem Auto steige.

Das heißt, so ungerührt ist der Rehbock nicht, man sieht förmlich die Herzchen in seinen Augen und über seinem gehörnten Kopf, sie steigen rosarot auf, wie in so einem blödsinnig-kitschigen Zeichentrickfilm, er scharwenzelt um den Rüden herum und stupst ihn und leckt ihn und besteigt ihn dann rammelnd von hinten. Das wiederum ist jetzt nicht so sehr besinnlich, ich gebe es ja zu, es liegt offensichlich hier ein Mißverständnis vor, es läßt den Hund aber vollkommen kalt, er kennt das wohl schon. Hast Du eine Meise?, frage ich perplex in das ansonsten stille Dorf hinein, eine saudumme Frage, in der Tat, mir fällt auf die Schnelle nichts Schlaueres ein, und ich bekomme auch keine Antwort.

Langer Rede kurzer Sinn: Die Nachbarn meiner Freunde hatten mal wieder ein verletztes Kitz aufgezogen, irgendwer bringt ihnen ab und an die Tiere, sie päppeln sie auf und entlassen sie dann wieder. Irgendwann gehen sie einfach, über die Straße durch das Dorf, hinaus auf die Wiesen, dann in den Wald, vielleicht kommen sie nach ein paar Tagen mal wieder vorbei, um dem Hund Hallo zu sagen, dann verschwinden sie wieder, und irgendwann schließen sie sich da draußen wohl Artgenossen an und kommen nie mehr zurück.

Vor ein paar Jahren war das schon mal so, da war der Hund noch klein und knuddelig, das Kitz war im Unterholz gefunden worden, nachdem einer die Mutter überfahren hatte. Das Waisenkitz wurde also mit der Flasche großgezogen, lautes Geschrei, alle drei Stunden, ein kleines Böckchen, das mit klimpernden Wimpern alle Herzen im vielzitierten Sturm eroberte, auch das des Hundes. Und der seinerseits liebte zurück.

Die zwei jungen Herren genossen ihre gleichgeschlechtliche Beziehung. Wobei das Wort „genießen“ wohl wörtlich zu nehmen ist: Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Wenn das Reh die Flasche bekam, sah es hinterher aus wie die Sau. Und dann kam der Hund zum Einsatz und schlotzte die ganze süße Milch vom ganzen süßen Kitz ab. Böckchen musste sich da fühlen wie in der Autowaschanlage. Fand es aber offensichtlich herrlich. Ansonsten wurde gespielt und geschmust, dass es grad so krachte, ich habe das selber beobachten dürfen, sie waren quasi unzertrennlich, bis der Rehbock eines Tages ging und nie mehr wiederkam.

Inzwischen also ist der Hund das Vierfache von seinem damaligen Format, dafür auch nicht mehr ganz so tapsig und so stürmisch, und er hat mehrere Kitze kommen und gehen gesehen. Sein aktueller Kumpel, der vom Anfang dieses Beitrags, kommt inzwischen auch nur noch sporadisch, um Hallo zu sagen, dann verschwindet er wieder für ein paar Tage im Wald.

Und ich male mir derweil aus, dass der Hund, der ohne Leine, Kette oder Zwinger lebt, dass der manchmal heimlich über die Straße durchs Dorf, und dann über die Wiesen, und dann in den Wald, naja, Sie wissen schon. Wäre das nicht rührend?

 

 

 

2 Kommentare zu “Kitzologie.”

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