Die Pferde hier oben haben ja keine Ahnung von dem historischen Grund, auf dem sie stehen. Keine Ahnung davon, daß sie das Gras fressen, das über die Geschichte gewachsen ist. Daß ihre Weide jahrzehntelang ein Pulverfaß war.

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Es war einer der ersten warmen Tage im Frühjahr 2014, als ich diesen besonderen Ort mitten im Odenwald besucht habe. Nur mit einem ollen Handy habe ich seinerzeit ein paar Fotos gemacht und darüber nachgedacht, wie die Zeit über die Geschichte hinweggeht. Dieser Tage fiel mir der Ort, fiel mir der Blogbeitrag wieder ein, und plötzlich scheint vieles so aktuell wie nie, deswegen erzähle ich die Geschichte nocheinmal.

Warm also war es, wie jetzt, mitten im Dezember. Und doch dreht sich hier oben alles um die Kälte. Um den Kalten Krieg und um die politische Eiszeit, die von den 50ern bis in die 80er Jahre dauerte, zwischen Ost und West.

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An diesem sonnigen Tag also stolpere ich durch ein Stück deutscher Geschichte. Über eine ehemalige Raketenabwehr-Stellung der Amerikaner, mitten im Odenwald. Mehr als 50 solcher Stellungen hat es in West-Deutschland seinerzeit gegeben, viele von ihnen sind inzwischen dem Erdboden gleichgemacht, andere verrotten vor sich hin, hier oben nutzt ein Pferdezüchter das riesige Gelände. Zu irgendwas muß des G’lump ja gut sein, sagt er grinsend. Der Kalte Krieg ist weit weg und lang vorbei an diesem frühlingswarmen Tag Anfang März 2014.

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Die Amerikaner blickten von hier aus gebannt nach Osten, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Die Raketen wurden unter Sirenengeheul jeden Tag neu in Stellung gebracht, NIKE-Raketen mit atomaren Sprengköpfen. Ein Fingerschnipp aus dem Hauptquartier, und der Ernstfall wäre eingetreten. Von vielen Höhen des Odenwaldes aus wären die Raketen Richtung DDR und UdSSR geflogen, und vielleicht wäre wieder einmal die halbe Welt dabei explodiert.

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Die Leute unten im Dorf wussten nicht wirklich, was hier oben los war, sagt mein Begleiter. Man kam ja da auch gar nicht ran. Wenn sich einer unbefugt dem Gelände hier genähert hat, haben die Amis gleich geschossen.

In den Bunkern wachsen Moos und Schimmel und Unkraut, und oben drauf grasen die Pferde. Die Natur holt sich auch die riesigen Gerätehallen zurück, und den Befestigungswall rund um die Anlage. In den ungenutzten Gebäuden arbeiten der Rost und die Zeit Hand in Hand daran, daß von den Zeugen dieses Kalten Krieges bald nicht mehr viel übrig ist.

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Mein Begleiter bei dieser Ortsbegehung steht bis heute in Kontakt mit Soldaten, die hier oben stationiert waren. Facebook machts möglich. Die wollen dann schon wissen, wie es inzwischen hier so aussieht, schließlich haben sie Jahre hier verbracht, und da entwickelt man dann schon Gefühle. Als seinerzeit der Befehl zum Abzug kam, haben sie trotzdem minutenlang so laut gejubelt und geschrieen, daß man es bis runter ins Dorf gehört hat.

So schlendern wir über das Gelände, im Frühjahr 2014. Die Pferde freuen sich sichtbar über die ersten Sonnenstrahlen, kommen neugierig an uns heran. Mein Begleiter blickt über die sanften Hügel, auf denen an diesem Tag noch nicht viel wächst.

Mensch, das waren schon unglaubliche Zeiten. Kalter Krieg. Wahnsinn. West gegen Ost. Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Und was für ein Segen, daß es sowas nicht mehr gibt. Oder?

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21 Kommentare zu “Kalter Krieg.”

  1. kleine Berichtigung: Die Unterkünfte der Soldaten stehen nicht mehr. Die Kaserne war im Tal Richtung Dallau, in der Nähe des Tierheimes. Heute ist dort ein Industriegebiet. Bin sehr froh, dass dieses Thema mal wieder aufgegriffen worden ist. Ich kann mich erinnern (damals war ich noch klein) dass es in dieser Kaserne mal zu einer Schießerei kam, bei der mehrere Menschen ihr Leben verloren. Im Netz finde ich darüber allerdings nichts. Vielleicht kann sich noch jemand daran erinnern??

  2. Ja, trauriges Kapitel in der Nachkriegsgeschichte – und wie oft es da zu „üblen“ Zwischenfällen kam…haaresbreite von irgendwelchen schlimmen Folgen muss man hier nicht erwähnen.
    Ich habe das als Kind am Rande mitbekommen, denn mein Papa war Natobeauftragter für Hessen – zum Schweigen war er verpflichtet und das tat er auch – aber anhand seines Gemütszustands konnte ich spüren, dass es gerade ziemlich belastend war.
    Übrigens großartige Beantwortung der 11 Fragen…..ich musste ja mal über die Hühnerdiktatur lachen :)
    HG
    Birgit

    1. Natobeauftragter ausgerechnet in Hessen, das dürfte ein ziemlich aufreibender Job gewesen sein, auch von wegen Terrorismus seinerzeit!

  3. Danke für diesen tollen Bericht… da werden auch bei mir sämtliche Kindheitserinnerungen wach. Oben wurde ja schon geschrieben, dass die Unterkünfte unten im Tal waren, das kann ich nur bestätigen. Ich wohnte damals genau in dieser Straße und kann mich noch wage an die letzten Soldaten, bevor diese dann endgültig abgezogen wurden, erinnern. Aber da war ich noch ziemlich klein. Die Kaserne steht ja nun leider nicht mehr.

    Als Kind, nachdem alles verlassen war, haben wir uns oft dort hineingeschlichen, um drinnen zu spielen und alle Räume zu bestaunen. War unglaublich spannend!

    Die Bilder sind übrigens sehr gelungen, vor allem wenn man das Gebäude bzw. Gelände kennt und weiß, wie heruntergekommen da mittlerweile alles ist. Schade eigentlich wie ein so bedeutendes Stück Geschichte einfach so vor sich hin rottet.

    Im Übrigen waren die Amerikaner sehr freundlich gegenüber der Dorfbevölkerung gesinnt. Meine Mutter erzählt heute noch, wie die „Amis“ an die Dorfleute ihre Pakete mit Schokolade, Zigaretten, Kaugummis und
    anderen Konsumartikeln verteilt hatten, weil sie selbst viel zu viel davon hatten. Da war sie aber selbst noch Kind und sie haben immer alles in verschiedene Schüsseln sortiert. Und so hat mein Urgroßvater mit 80 noch das Rauchen angefangen, weil man die guten Klimmstengel ja nicht wegschmeißen konnte :-)

    Viele Grüße
    Pamela

  4. Hallo alle zusammen!
    Meine Schule (Nicolaus-Kistner-Gymnasium Mosbach) hat eine Geschichts-AG ,an welcher ich teilnehme! Nun machen wir bei einem Deutschlandweitem Geschichtswettbewerb mit, bei dem wir die Nike-Base in Dallau vorstellen werden! Jedoch benötigen wir noch jede Menge Informationen, sodass wir das Projekt möglichst ausführlich gestalten können! Wir freuen uns über jede Information.Danke für die Hilfe im Vorraus :-)

  5. Warum lernen viele Menschen so wenig aus der Geschichte? Säbel werden gerasselt, statt das das Gehirn eingeschaltet wird. Prestige und Macht der Drahtzieher sind wichtiger als mal das Risiko einer Kooperation einzugehen.
    Und die Macher /Politiker und Politikerinnen rasen um die Welt: Wann haben sie Zeit zum stillen Nachdenken? Zum Vordenken?
    Die Reste im Odenwald wurden sicher auch mal eingeweiht und begrüsst!

  6. Sehr beeindruckend. Ob der Segen aber tatsächlich da ist oder lange da sein wird? Ich wage Zweifel. Wir haben es nur noch nicht vor der Haustür. Und dann brauchen wir keine Vorstellungskraft mehr. Das merkte ja auch schon der erste Kommentator an.

  7. Whut? Atomraketen im Odenwald? Man lernt ja nie aus. Damit war Mosbach ja auch ein Ziel der Gegenseite.

    Ich ging damals immer davon aus, dass Michelstadt keine Bombe wärt wäre und nur die Frankfurter ein Problem hätten. Nicht dass das letztlich einen allzu großen Unterschied gemacht hätte, tststs, Schülerlogik halt.

    Aber Atomsprengköpfe auf Flugabwehrraketen kannte ich auch noch nicht. Mal nachgeschlagen, NIKE, max. Reichweite 180 km. Damit hätte man die DDR aber gerade mal so erreicht. Die Dinger waren eher dazu bestimmt auf bundesrepublikanischem Boden zu explodieren. Nice!

    1. Naja, sie waren wohl dazu bestimmt, feindliche Flieger über bundesdeutschem Gebiet abzuschießen. Das mit der Reichweite wusste ich so auch noch nicht, aber es passt ja von der Logik. Im Übrigen war der halbe Odenwald voll mit solchen Stellungen.

  8. So ganz vorbei ist das noch nicht. Im Fliegerhorst Büchel in der Eifel lagern nach wie vor amerikanische Atombomben. Außenminister Westerwelle verankerte 2009 deshalb im Koalitionsvertrag, dass sämtliche US-Atombomben aus Deutschland abgezogen werden sollen. 2012 gab es dann die Kehrtwende: Die Atombombensystem werden nun stattdessen modernisiert. Und die Bundeswehr will „etwa 250 Millionen Euro ausgeben, um ihre Tornado-Kampfflugzeuge, von denen die US-Atombomben im Kriegsfall abgeworfen werden sollen, noch bis zum Jahr 2024 einsatzfähig zu halten“, berichtete 2012 die Frankfurter Rundschau.

    @ Kai: Erinnern Sie sich denn nichtmehr an The Fulda Gap?

    1. Oha, das wusste ich auch noch nicht. Und da hat die Bundeswehr sich ja was vorgenommen, wenn ich lese, daß jedes zweite Tornado-Flugzeug nicht einsatzbereit ist, jetzt, wo wir doch eben mal rasch Richtung Krieg fliegen wollen.

      1. Als ich neulich im Radio hörte, dass unsere Verteidigungsministerin Tornados nach Syrien schicken will, habe ich laut gelacht. Weiß doch jeder, dass der größte Teil der Tornados nicht einsatzbereit ist und die, die noch fliegen, das auch nur noch tun, weil die Piloten und Mechaniker basteln, improvisieren und ohne Ende Überstunden schieben, damit die Dinger überhaupt noch vom Boden abheben. Das ist seit Jahren öffentlich bekannt. Trotzdem taten dann alle ganz überrascht, als ein oder zwei Tage nach dieser Entscheidung im Radio vermeldet wurde, dass der größte Teil der Tornados gar nicht einsatzbereit ist. Da habe ich dann nochmals laut gelacht. Und mich gewundert, wie kurz eigentlich das Gedächtnis der Nachrichtenredakteure ist, denn dass die meisten Tornados gar nicht einsatzbereit sind, hätten die von Anfang melden können und müssen.

  9. Ich dachte ja, ein Kriegseinsatz (ja, es ist einer und davor gabs auch schon welche, egal, wie man es nennt!) wäre vom Grundgesetz untersagt. Aber ich bin ja bloß ein dummer (Nicht)wähler.

    Und unsere amerikanischen Freunde stellen zur Zeit wieder neue Atomraketen bei uns auf, wie ich kürzlich irgendwo lesen mußte. Und keinen regt es auf.

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