Wenn Sie Hundehasser sind, sollten Sie nicht weiterlesen. Ich gebe jetzt nämlich eine zu Herzen gehende Tiergeschichte vom Lande zum Besten. Manche Leute lesen sowas gerne, angeblich. Also, bitte.
Dieser fliegende Köter im Glück ist Praline. Prall-Line. Eigentlich Line, aber am Anfang dick und prall, also Prall-Line. Prallline, sozusagen.
Dick und prall, als sie zu uns kam. Sieben, acht Jahre war sie damals angeblich alt, ein südländisches Tierschicksal. Ursprünglich rappeldürr, zerzaust und stinkend. Zwischendurch aufgepäppelt und prall-iert auf einer deutschen Pflegestelle.
Hysterisch ängstlich. Vorsichtig formuliert.
Den Berichten nach hatte Praline in ihren ersten sechs oder acht südländischen Lebensjahren nie das Haus verlassen. Das Haus, das eher ein ummauerter, bewohnter Müllhaufen gewesen sein dürfte. Zusammengepfercht, geschlagen und getreten lebten hier lauter identisch aussehende Hunde aller Altersklassen und ungezählte Katzen.
Zu fressen gab es Müll. Wenn Praline uns heute mit ihren wenigen windschiefen Zähnen anlächelt und dabei mit warmen Atemwölkchen seufzt, tief aus der verschrumpelten Magengegend heraus, dann glauben wir das gerne. Bei der Räumung des Hauses sei der Besitzer direkt in die Psychiatrie eingewiesen, sein tierisches Inventar beschlagnahmt worden.
Und irgendwie landete diese Töle also bei uns im Odenwald. Ein Bündel Angst. Niemanden ließ sie an sich heran, verkroch sich zitternd und gekrümmt unter Tische und Bänke. Irgendwie schaffte ich es, ihr in einem unerwarteten Moment mit blitzartiger Bewegung ein meterlanges Wollfädchen ans Halsband zu knübbern, das sie fortan hinter sich herzog. So konnte ich sie langsam und vorsichtig zu mir herziehen, wenn sie an die Leine sollte.
Spaziergänge an der frischen Luft waren ein Albtraum für sie. Sie schleppte sich neben mir her, als ginge es zur eigenen Beerdigung. Sie schnüffelte nicht, sie schaute nicht, sie schlich gesenkten Kopfes neben mir her, ergeben in ihr Schicksal, betend, daß der Spuk nur bald vorüber sei.
Der Hund muß aufs Land, hatte die Dame bei der Vermittlung gesagt, reizarme Gegend undsoweiter.
Reizarm, hahaha. Hühner und Hasen im Garten stellten eine tödliche Bedrohung dar. Eine Mülltonne am Straßenrand: Alarmstufe rot. Ein brummender Traktor: Herzinfarktgefahr. Die Kühe am Wegesrand brachten Praline um den Verstand. Verstellte ein Grashälmchen den Weg, wurde sie hysterisch, streifte ein Blättchen ihren Fuß, rastete sie aus. Querliegende Äste im Wald bedeuteten den sicheren Tod.
Das sündhaft teure Sicherheitsgeschirr machte seinem Namen alle Ehre und sich jeden Tag bezahlt. Wie wir ihr das komplizierte Teil überhaupt ersteinmal angezogen haben, verschweigen wir an dieser Stelle lieber. Es gab kein Entrinnen. Aber Spaß machte es nicht. Nichts machte Spaß. Weder ihr noch mir.
Über Wochen legte ich mich zum Lesen oder Nachdenken auf den Fußboden in ihre Nähe. Vertrauen aufbauen, ohne etwas zu fordern. Redete ununterbrochen blödsinnig vor mich hin, um sie an meine Stimme zu gewöhnen. Ließ sie ansonsten in Ruhe. Sie hockte verkrampft in irgendeiner Ecke und starrte mich an. Wartete auf einen Angriff, der nie kam. Schlief schließlich erschöpft vor Angst im Sitzen ein.
Streckte ich nach Wochen vorsichtig den Arm aus, um sie zu berühren, zuckte sie zurück und verschwand. Nahm irgendwer einen Gegenstand in die Hand, ein Buch, eine Wasserflasche, einen Schlüssel, flüchtete sie panisch. Monatelang ging das so. Manchmal kochte ich vor Wut. Innerlich. Dieser Hund forderte eine Geduld von mir, von der ich nicht gewußt hatte, daß ich sie jemals aufbringen könnte. HerrgottnochmalDuScheißköter, merkst Du denn nicht, daß wir nur Dein Bestes wollen? dachte ich.
Nach sechs Wochen tat sie zum ersten Mal etwas, das man mit viel Phantasie und noch mehr gutem Willen als Schwanzwedeln erkennen konnte. Ich war begeistert. Klatschte vor Wonne in die Hände. Schon war sie wieder unter irgendeinen Tisch gekrochen.
Dieses Vieh brachte mir Geduld bei. Ich kann Ihnen sagen. Brachte mir bei, wie meine innere Haltung die äußeren Umstände beeinflußt. Brachte mir bei, daß man mit Nervosität und Hektik nicht weit kommt im Leben. Ich hatte schon manch einen Hund, und bin an manchem Köter schon gescheitert, kläglich. Von keinem habe ich so viel gelernt wie von Praline.
Und, Sie ahnen es: es hat sich gelohnt. Der Angsthund wuchs und wuchs. Über seine Angst hinaus. Jeden Tag ein bißchen. Ließ sich irgendwann anfassen. Wedelte immer öfter. Nahm Blickkontakt auf. Kommunizierte. Ich war sehr stolz, und bin es noch.
Den letzten Schliff gab ihm das schwarzweiße Hündchen, das kam, sah und siegte über alle Angst. Ich will einen Hund, nicht ein hysterisches Bündel, hatte Geo gemault, nach anderthalb Jahren erfolgloser Annäherung an Praline, so kam es zum Zweithund namens Hündchen.
Hündchen wickelte Geo um den kleinen Finger, flirtete auf Teufel komm raus, alles natürlich nur zu therapeutischen Zwecken, is ja klar, und Praline schlich ihr hinterher und guckte zu. Guckte zu und dachte nach. Nehme ich jetzt mal so an.
Zwei lange Jahre nach ihrem Einzug bei uns verschaffte sie sich jedenfalls eines Nachmittags Zutritt zu Geos mittäglicher Ruhestätte, betrachtete den bislang verhassten Kerl, nahm seine schlaftrunken herabhängende Hand vorsichtig ins Maul, schlotzte sie minutenlang geräuschvoll ab und machte sich vom Acker. Geo tät, als schliefe er und flennte heimlich in die Kissen. Wenn keiner zuguckt, ist mein Geo ein Gefühlsmensch.
Praline und das Hündchen sind inzwischen ein Dream-Team. Zwei dauergrinsende ältliche Damen, die gemeinsam oder in wechselnden Rudeln durchs Leben flitzen und sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Zwei strubbelige lebensfrohe Köter, die ihre seltenen Unsicherheiten allenfalls mit Lautstärke kompensieren. Die Zuneigung einfordern. Frech werden. Mir mit ihren tätlichen, übergriffigen Liebesbezeugungen schon auf die Nerven gehen können, zwischendurch.
An Pralines Müllvergangenheit erinnern heute nur noch die fehlende Erziehung, seltene hysterische Anfälle und ihr heißer Atem. Letzteres ist der Horror, zugegeben. Aber wir haben ja eine Entschuldigung. Sie müssen wissen: Armes südländisches Tierschicksal, mißhandelt undsoweiter, sage ich dann, wiege bedeutungsschwer den Kopf und presse die Lippen zusammen.
Das zieht immer.
Wenn Sie eigentlich Hundehasser sind (oder zumindest jemand, der nicht unbedingt einen Hund haben muß, was kein Mensch versteht, aber sowas solls ja geben) – wenn Sie also trotzdem bis hierhin durchgehalten haben, dann gibts zur Belohnung hier noch ein kleines literarisches Leckerli für Sie: (Klick!) Herr Buddenbohm und sein ganz perfider Plan.
Wollen Sie mich zu Tränen rühren ?
Morgens, noch vor dem Frühstück ?
Haben selbst so einen Köter.
Ein Lauf im Eimer, Schwanz mit der Heckenschere abgeschnitten.
Aus Rumänien.
Kann jedes Wort nachvollziehen, da es Uns fast genau so ging.
Nur hat es nicht ganz so lange gedauert.
So, Tränen getrocknet, weiter machen.
;-) Gruß an den Hund!
Wunderbarer Text. Ich bin nur sonntags gelegentlich mit einem Labrador auf Leihbasis im Wald unterwegs – aber ohne Hund macht eine Wanderung eigentlich gar keinen Sinn.
Laufen mit dem Leasing-Labrador, sozusagen? Ja, ohne ist blöd.
Ooooooooooohhhhhhh. Schön! Kommt mir alles seht bekannt vor. Trotzkist Vorgänger lag ein Jahr unter der Küchenbank.
Ohjemineh. Und Sie auch immer daneben?
Denken Sie sich einfach ein paar Buchstaben weg, ja?
Was hat die Praline für ein Glück gehabt. Mit Ihnen.
Was für ein Glück für Praline, dass sie bei Euch ein echtes zuhause gefunden hat und sich ihr Leben so zum Guten gewandelt hat! Und ja, Geduld zahlt sich aus, nicht nur bei Tieren.
So siehts aus.
Wunderbar……………nun läuft dank der Erkältung eh schon alles und obwohl ich an dieser Lebensgeschichte ja ganz dicht dran war – laufen beim Lesen die Kullertränchen.
Und immer wieder bin ich begeistert was Sie aus diesem Pralinchen im Team mit Hündchen gemacht haben!!!
Und das Lernen mit unseren vierbeinigen Lebensbegleitern hört nie auf!!!
Naja, ohne Ihre tatkräftige Unterstützung und Ermutigung hätten wir das gar nicht hingekriegt. Danke dafür!
Was für eine sagenhafte Geschichte!!!
Hab mir erlaubt, das mal in die höchst wohlgesonnenen gesellschaftlichen Kreise zu verlinken …
http://susips.blogspot.de/2015/01/hamborg-wie-der-ami-so-sacht.html?showComment=1422981389708#c7943737373343858112
Bitte, immer gerne.
Wenn man hier von Sicherheitsgeschirr liest, und dann heute sieht das Praline ohne Geschirr rumlaufen darf damit sie beim fotografiert werden natürlicher aussieht,zeigt es doch wie sehr Mensch Hund vertraut und umgekehrt. Eine sehr schöne Geschichte von hingebungsvoller Liebe und Vertrauen ineinander.Es wurde von mir mit einem weinenden und einem lachenden Auge gelesen.Schön das es solche Menschen wie Sie es sind gibt auf dieser Welt. DANKE !
Coll, gell? ;-)
Darf ich die Geschichte auch schön finden, wenn ich vor Hunden eher Angst habe und nie den Wunsch hatte,einen zu besitzen? Ich hab mir halt das Geduldigsein von Kindern anerziehen lassen, jetzt bin ich bald Buddhist, mehr geht nicht mehr.;-)
Alles Liebe und weiterhin solch schöne Spaziergänge, wie ich auf den Foto vermute!
Astrid
Ach.
Sieht ja fast genauso aus wie Meine und hat ein mindestens so schlimmes Schicksal hinter sich.
Bei meiner ging es etwas schneller, bis sie sich eingekriegt hat, aber es erforderte viel Geduld und Liebe und Hingabe.
Eine so schöne Geschichte, liebe Friederike, die mir wirklich die Tränen der Freude in die Augen treibt.
Praline hat großes Glück gehabt auf Euch und die schwarz-weiße Freundin zu treffen.
Bei Praline hats vermutlich so ewig gedauert, weil sie einfach sehr, sehr lange schlechte Erfahrungen gemacht hat.
Ja. Außerdem war meine erst 6 Monate alt (Tötungsstation Spanien), und Eure hat jahrelang schlimme Dinge erlebt. Klar, dass das dauert.
Aber dass Praline dann doch Vertrauen gefasst hat grenzt doch an ein Wunder.
Habe im Labor wohl einen gebissen – war meine Rettung, aber meine Angst da drausen ist sooooo groß – wie Praline. Und ich weiß nicht, wie ich dem anderen Ende der Leine hefen soll. Dabei kuschel ich so gerne mit ihnen…
wieder ganz großes seelchenkino :-)
merci 1
Sehr schöne Geschichte, schön dass es den zwei Damen bei Ihnen so gut geht!
Ich bin ja kein Hundemensch an sich (wenn sie knuddelig und lieb sind, okay, aber sonst bin ich eher durch ein Kindheitstrauma ängstlich), sondern gehöre der anderen „Fraktion“ an – ich bevorzuge Katzen. Aus Tierheim oder vom Bauernhof, quasi Köter in Katzenform. Meine kleine alte Dame war auch so ein Knäuel Angst, wenn auch nicht ganz so extrem. Aber Vertrauen aufbauen dauerte auch viele viele Monate. Und vor Männern wich sie noch lange danach zurück. Jetzt (nach 10 Jahren ;) ) ist sie noch immer nicht die mutigste, aber sehr anhänglich und lässt sich auch schon mal von Fremden betatschen. Wenn sie grad mag halt. :)
Also, es geht schon auch ohne Hunde, aber ohne Tiere? Nicht denkbar.
Wunderschön zu lesen. Kopfnicken, verständnis, ein Grinsen um den Mund und ja ein paar Tränchen im Auge. Ich freu mich das die pralle Line so ein schönes zu Hause gefunden hat.