Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitarbeiter des Institutes der Deutschen Wirtschaft,
ich sehe Sie förmlich vor mir, wie Sie jetzt jahrelang nichts anderes getan haben, als auf allen Vieren durch Deutschland zu kriechen. Jeden Stein haben Sie umgedreht, ob in der Uckermark oder in München, in Märkisch-Oderland oder in Waldshut, in Stuttgart und Berlin, in Leipzig oder Kiel, in der Grafschaft Bentheim oder im Landkreis Waldeck-Frankenberg. Jeden Stein umgedreht, und nichts ist Ihren kritischen Blicken verborgen geblieben.
Ob es um Schulabgänger ohne Abitur geht, oder um naturnahe Flächen, ob um Steuerkraft oder Überschuldung, ob um Straftaten oder Lebenserwartung, alles haben Sie in Ihre schicken Laptops getippt und daraus nun das sogenannte Regionalranking gebastelt. Eine Hitparade aller 402 Städte und Landkreise in Deutschland sozusagen. Wo sind die Wirtschaftsstarken und die Lebenswerten, wo die Loser und Zurückgebliebenen? Das kann man aus Ihrem Regionalranking aufs Feinste herauslesen. Wenn man will.
Die Odenwälder wollen allerdings nicht so recht. Maulen irgendwas von roter Laterne und Schlußlicht. Und das in einem Bundesland, das (gemeinsam mit den Bayern) mit Abstand die meisten der Top-100-Kommunen und Kreise stellt. Eigentlich. Nur der Odenwald stinkt da etwas ab, zugegeben.
Mir macht das alles nichts. Ich freue mich über Ihr Regionalranking 2014.
Gibt es mir doch endlich die handfesten Antworten auf meine Lebensfrage. Die da lautet:
Ach, Du liiiebe Zeit. Wie kann man nur?
Wie kann man nur von Berlin in den Odenwald ziehen? Aus der schillernden Metropole an der Spree nach badisch-Sibirien im finstren Tann? Ausgerechnet! Diese Frage bekomme ich ja mantraartig jedes Mal gestellt, wenn ich hier im Odenwald auf mir noch fremde Einheimische treffe. Und ich kann Ihnen sagen: mir sind hier noch viele Einheimische fremd. Die Frage kommt also nahezu täglich. Wöchentlich mindestens. Und das seit nunmehr 13 Jahren.
Ich stelle mir diese Frage, zugegeben, ja manchmal auch selber. In schwachen Stunden. Wenn ich hier in der Provinz verzweifle, an diesem oder jenem. Wie konnte ich nur. Coole Cafes und Kneipen eintauschen gegen Gastwirtschaft mit Fremdenzimmer, 50er Jahre ahoi. Sensationelles Nahverkehrsangebot gegen Schulbus, zweimal täglich. Hippe Szeneviertel gegen Nullachtfuffzehneinfamilienhäuser. Superschlaue Akademiker gegen biederbrave Landbevölkerung. Den weltstädtischen Atem der Spree gegen den morgendlichen Güllemundgeruch des Dorfes. Undsoweiter, undsoweiter.
Klischee komm raus, Du bist umzingelt.
Da kommt mir Ihr Regionalranking also gerade recht. Jetzt weiß ich,was ich insgeheim schon ahnte. Daß es tatsächlich richtig war, der alten Tante Berlin den Rücken zu kehren. Daß es sich hier im tiefen Wald nämlich nicht schlechter lebt, auch, wenn einem das dauernd irgendeiner einflüstern will. Im Gegenteil. Man muß den Blick halt nur auf die entscheidenden Werte richten.
Lebensqualität ist so ein Wert, und was auch immer sich genau dahinter verbergen mag: der Odenwald bekommt von Ihnen die Gesamtnote Drei. Be-frie-di-gend. Anders gesagt: Platz 152 von 402. Nicht schlecht. Heißt unter anderem: Viel Natur, wenig Straftaten, wenig Überschuldung.
Besser als Berlin allemal. Die schillernde Metropole hat sich zum Thema Lebensqualität bei Ihnen eine Vier eingefangen, oder Platz 290. Ätsch. Heißt unter anderem: Weniger Natur, jede Menge Kriminelle, viele Leute überschuldet.
Daß der Odenwald dafür unter den Stichworten Arbeitsmarkt und Wirtschaft schlecht abschneidet (wenngleich noch immer besser als Berlin, hört, hört), liegt nicht zuletzt an der hohen Zahl von Schulabgängern ohne Abitur, an der niedrigen Akademikerquote und den wenigen Firmengründungen. Was allerdings das eine mit dem anderen zu tun hat, offenbar zwangsläufig, das erschließt sich mir noch nicht. Das werden Sie mir eines Tages noch erklären müssen. Wenn Sie mal zum Urlaub hier sind, oder so. Lohnt sich, siehe oben.
Was allerdings tatsächlich grottenschlecht ist hier im Landkreis , das ist die sogenannte Dynamik, also die Entwicklung der vergangenen fünf Jahre, ob zum Guten oder Schlechten. Da hat sich im Odenwald nicht viel bewegt. So ziemlich gar nichts, genau gesagt.
Aber sehen Sie uns das doch bitte nach, der Odenwälder an sich lebt nicht dynamisch, sondern, – nun, wie soll ich sagen – , nachhaltig. Solide. Oder wie auch immer Sie das nennen wollen. Dynamik ist hier mitunter sowas wie ein Fremdwort.
Wir haben das schließlich schon immer so gemacht. Seit 150 Jahren. Basta. Aber wir arbeiten dran. Versprochen.
Berlin dagegen entwickelt sich so schnell, – wohin auch immer – , daß einem fast die Luft wegbleibt. Schnappatmung als Lebensphilosophie. Gesünder klingt das aber auch nicht.
A propos Luft, und a propos gesund: Was ich ein bißchen vermisse in Ihrem Ranking, ist die Luftqualität. Andersrum gesagt: Der Feinstaub. Der ist ja derzeit grade doch in aller Munde. Oder in aller Lungen, wie man will. Bundesweiter Spitzenreiter: die Messstelle an der Berliner Silbersteinstraße, dicht gefolgt von der Frankfurter Allee, ebenda.
Ich würde Ihnen zur Ergänzung Ihres Rankings ja gerne die Daten aus dem Odenwald durchgeben, allein: wir haben nicht mal eine Messstelle.
Die Luft ist einfach zu gut hier.
In diesem Sinne: nochmal herzlichen Dank für Ihre Mühe.
Mit freundlichen Grüßen aus der Provinz,
usw usw.
Einfach GENIAL…..
Als Tagesspessarter vom anderen Ende des ehemaligen leiningschen Lehens zieht sich mir ob dieses Beirags ein breites Grinsen über das Gesicht.
Aber, ja: das Handwerk. Ein Metzgerlehrling nur in den Landkreisen Aschaffenburg & Miltenberg.
Ich bin in Sorge.
Oh weh, ich muß mich gleich mal erkundigen, wieviele Metzgerlehrlinge es hier gibt.
HIER wird einem das Tauschen richtig schmackhaft gemacht, habt ihr noch ein Plätzchen im Odenwald für mich?:-)
Wenn wir irgendwas genug haben, dann Platz. ;-)
pssst…… nicht sooooo laut das landleben bewerben…… ist gerade so schön hier oben auf der insel…. soooooo ruhig
Herrlich!!! Eine gute Zeit da oben!