Freund Klaus war seit heute früh eingeschlossen in den eigenen vier Wänden. Ein Gefangener im eigenen Haus. Der Aussiedlerhof umstellt von bewaffneten Männern. Die Straßen ringsherum gesperrt, kein Durchkommen. Ich wollte auf einen Kaffee zu ihm und seiner Frau. Zu gefährlich, bleib bloß weg, sagt er am Telefon. Wir sind hier im Auge des Orkans, überall Geballer und Gebelle.

Foto: Klaus Hilger, ausm Vorgarten heraus, sozusagen.

Foto: Klaus Hilger, ausm Vorgarten heraus, sozusagen. Die Herren warten auf die Sau.

Treibjagd im Odenwald. Muß wohl sein, hin und wieder. Wer – wie wir – den Speisezettel voller Wildfleisch hat, muß sich mit sowas arrangieren. So oder so.

Es ist schon ein paar Jahre her, da war ich zum ersten Mal selber zu einer Treibjagd eingeladen. Naja, was heißt „eingeladen“ – sie brauchten noch ein paar Mann Fußvolk, und in ihrer Not nahmen sie auch eine Frau. Die Not muß groß gewesen sein, denn bis dato hatte es noch nie eine Frau gegeben, die bei einer Treibjagd rund ums Dorf als Treiberin dabei war.

Ein historischer Moment also sozusagen, als ich in dicker Hose, dicker Jacke und mit dicken Schuhen am Ausgangspunkt auftauche. Als ich mich – ganz Großstädterin – höflich vorstelle und erkundige: „Ich gehöre zu den Treibern – wo muß ich hin?“: Geraune und Geglotze, aber leider keine Auskunft.

Die Lage ist trotzdem schnell durchschaut am Anfang dieser Treibjagd damals. Auf dem einen Haufen stehen die Jäger, ältere Herren zumeist, in feinem Loden, schwere Waffe um die Schulter. Kläffende, ungeduldige Hunde, die als ordinärer Dackel durchgehen würden, aber in Wirklichkeit alpenländische Bracken sind oder niederösterreichische Schweißhunde.

Die Herren wärmen sich an diesem eisigen Morgen schon mal auf und glühen vor. In die Tassen fließt die Jägerschorle, halb Kaffee, halb Cognac. Morgens um Acht. Ob die nachher noch gut zielen können? Naja, egal, jetzt kann ich nicht mehr kneifen.

Auf der anderen Seite des Hofes das Fußvolk. Die Treiber. Die Landwirte aus dem Dorf, die den Sauen mal so richtig den Appetit auf ihren Mais verderben wollen. Für sie ist die Treibjagd eine Art Schadensbegrenzung. Feindesabwehr im Voraus. Zum Vergnügen machen sie hier nicht mit, eher aus Notwendigkeit. In Gummistiefeln und Anoraks sind sie angerückt, bekommen grellgelbe Schutzwesten, damit die Jäger auch nach Jägerschorle noch Keiler von Treiber unterscheiden können. Auf den einen sollen sie schießen, auf den anderen bitte nicht, lautet die Anweisung.

Was sie mit mir anfangen sollen, wissen die Treiber jetzt noch nicht so recht. Ob ich überhaupt schon mal im Wald war? Ja, war ich. Gut. Ob ich brüllen kann? Kann ich auch, mach ich mit meinem Mann fast jeden Tag, haha. Der Punkt geht an mich. Und Ausdauer? Hab ich, keine Sorge. Na, dann.

Im Hänger eines Traktors geht es für die Treiber rumpelnd an den Start, alles schaukelt durcheinander, so kommt man sich trotz Wind und Kälte näher. Und die ersten Rufe, gegen den Motorenlärm: „Paßt mir uff die Fraa Kroitzsch uff!!“ Der Treiber-Chef befiehlt, und alle passen auf. Helfen mir am Ziel sogar gentlemanlike vom Hänger runter. Die Jäger fahren derweil in ihren Range-Rovern mit Sitzheizung an ihre vorher festgelegte Position.

In den kommenden fünf Stunden stolpere ich durchs Odenwälder Unterholz und bearbeite mit einem langen Stock wild brüllend die Bäume, die sich mir in den Weg stellen. Das erste und letzte Mal in meinem Leben so laut gebrüllt habe ich als Teenie auf einer Schülerdemo am Wittenbergplatz. Ging damals wahrscheinlich gegen Atomkraft. Heute gehts gegen Odenwälder Schweinereien. Durch unseren Höllenlärm sollen die Sauen aufgeschreckt und den Jägern vor die Flinte getrieben werden. Wir laufen, stolpern und kriechen nach einer unsichtbaren Choreografie durchs Dickicht, immer da lang, wo die Sauen vermutet werden.

Sehen kann ich die Mit-Treiber nicht. Nur hören. Irgendwo rechts neben mir: ein Baß: Hooooo, hoooo! Zack!, kracht der Stock gegen den Baum. Hooo hoo! Zack! Von links hinten ein dünner Tenor: oioioioioiiiiii! Zack! Oioioioiiiiii! Zack! Dazwischen immer wieder die fernen Rufe des An-Treibers: „Is die Fraa noch do??“. Irgendeiner aus meiner Nähe brüllt dann zurück in den Wald „Jooo!! Do isse!!“ Das erste mal eine Frau dabei – und die dann auf Nimmerwiedersehen im Wald verschollen, ein Albtraum für die Jagdgesellschaft, offensichtlich.

Nach zwei, drei Stunden werden wir uns schon vertrauter, obwohl – oder vielleicht grade weil keiner den anderen sieht: „Is des Mädle noch do???“, brüllt inzwischen der Chef durch den Wald, und ich denke „meint der mich??“, brülle vorwitzig „JA“ zurück, zwischen hohohooo! und oioioioiiiii! und Zack!

Am Ende geht es noch durch ein regendurchweichtes Rapsfeld. Die Pflanzen locker 2 Meter hoch. Alles voller Wasser, der Blick reicht keine 20 Zentimeter weit. Da liegen sie sicher drin, bestimmt der An-Treiber den Einsatz, ich mache mir vor Angst fast in die klatschnassen Hosen, mime aber die erfahrene Treiberin. Am Ende angekommen, sehe ich aus wie nach einer Schlammschlacht und damit so, wie alle anderen auch. „Gut gemacht, Mädle“ adelt mich der 16jährige mit der oioioiii-Fistelstimme, der die ganze Zeit in meiner Nähe war.

Geschossen wurde seinerzeit nichts. Vielleicht waren die Sauen einfach schlauer als wir. Ich ertappe mich, daß ich mich in solchen Momenten heimlich freue. Für die Sauen. Mädle halt.

Ich war seitdem noch auf ein paar Treib- und Drückjagden, dann nicht mehr als bestaunte Exotin, sondern als ganz normales Mitglied der jeweiligen Jagdgesellschaft. Vor ein paar Monaten wurde in der Nähe ein Treiber erschossen, von einem Querschläger. Ich bleibe jetzt erstmal zuhause.

 

 

 

7 Kommentare zu “Wildes Treiben.”

  1. Bei uns war heute auch Treibjagd, Sohnemann war dabei,24 Wildschweine,
    10 Rehe und 2 Füchse waren das Ergebnis, dann großes Essen und Trinken,
    nun ist er glücklich und zufrieden und hundemüde, beim Ausnehmen war er
    auch dabei, naja , mit fast 13…Seine Schwester war in Angst, dass
    ihn eine Kugel trifft, sonst speit sie Gift gegen ihn, Geschwisterliebe
    halt. Wild essen wir auch gerne, aber das vorher brauch ich nicht.

    1. Naja, ohne das „vorher“ halt kein Wild aufm Teller – so einfach ist das. Aber ich halte dieses „vorher“ für sehr viel vertretbarer als alles, was Discounter-Schnitzel & Co „vorher“ so durchzustehen haben. Insofern…..

  2. Ein paar Luchse und Wölfe dahin zurückbringen, wo sie hingehören, und „das Mädle“ braucht nicht mehr durchs Dickicht zu kriechen und sich Sorgen um Querschläger zu machen. Okay, dann hätten wir natürlich das Problem mit dem leeren Teller … ;-) Und jetzt: Feuer frei für alle Freunde der Jagd! ;-) ;-)

  3. Also ich denke auch, einmal reicht, denn diese Querschläger scheinen mir nicht kontrollierbar. Zur Not und für den Teller gäbe es sonst die anderen Formen der Jagd? Ich wünsche mir hier noch viele Artikel, bei denen ich oft herzhaft lachen muss! :)

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