Was mich in Berlin hält und warum ich nicht aufs Land ziehe.

 

Friederike hat mich gefragt, ob ich für das Landlebenblog nicht einen Beitrag schreiben will, warum ich in Berlin bin und warum ich nicht aufs Land ziehe. Da ich das Landlebenblog sehr gerne mag, habe ich natürlich gerne zugesagt. Da beginnen allerdings die Probleme schon (Im Folgenden wird es länger dauern, bis ich endlich zum Thema komme. Aber für diesen Sprung braucht man halt ein bisschen Anlauf).

 

 

 

Nach Berlin kam ich 1997. Nach einem Jahr Auslandsstudium musste ich mich zusammen mit meiner Freundin um das berufliche bzw. studentische Weiterkommen kümmern. In Bayern oder Thüringen, unseren Heimatländern, hätten wir beide nichts an einem Ort gefunden. Von einer Mitstudentin kam der Tipp, es doch mal in Berlin zu versuchen. Dort ergab sich tatsächlich für uns beide eine Perspektive. Ich war in den sieben Jahren davor sechs Mal umgezogen und hatte sicher nicht die Vorstellung, dass ich länger als zwei, drei Jahre in Berlin bleiben würde. Little did I know.

 

 

 

Berlin war die erste richtige Großstadt, in der ich wohnte, und es herrschte ein etwas anderer Umgangston, als ich ihn aus Augsburg, Jena oder Edinburgh kannte.* Nun bin ich nicht gerade ein Fan der Unfreundlichkeit, aber ich lernte es bald zu schätzen, dass man zumindest klare und direkte Rückmeldungen bekam.

 

 

Nach den kurzen Jahren in Thüringen war mir auch klar, dass ich wenig Lust hatte, wieder irgendwo im Westen zu wohnen. In Jena hatte ich gesehen, wie praktisch für alle Leute das Leben komplett auf den Kopf gestellt wurde, zu Hause in Bayern hatte ich nicht das Gefühl, als sei irgendjemand bewusst, was eigentlich gerade geschieht, sondern man zerbrach sich weiter den Kopf über triviales Zeug. In Berlin hat und hatte man allerdings die ganzen sozialen und politischen Probleme immer deutlich und unmittelbar vor Augen. Ich halte das für einen Vorteil. Manche Dinge treffen einen dann zumindest nicht unvorbereitet. Wenn ich ab und zu nach Hause ins Allgäu komme, komme ich mir manchmal vor wie in einem Museumsbauerndorf.

 

2013-09-26 22.10.11

 

Bevor ich nach Berlin kam, hatte ich keine richtige Vorstellung von der Stadt, weder Christiane F. noch David Bowie hatten auf mich besonderen Eindruck gemacht; ich hatte insbesondere auch keine irgendwie gearteten großstädtischen Ausstiegsfantasien. Das hatte ich alles schon in der Provinz abgearbeitet. Da ich insoweit keine Erwartungen hatte, konnte ich die Stadt so nehmen wie sie war.

 

 

 

Unser Hochzeitsfoto 2000 zeigt meine Frau und mich vor der Haustür unserer Mietwohnung an der Brunnenstraße, das Haus mit abgeplatztem Putz und Schmierereien an der Tür. War uns beiden gar nicht aufgefallen, führte bei einigen anderen aber zu Stirnrunzeln. Mitte wurde uns dann aber doch irgendwann zu viel, so dass wir 2002 nach Pankow zogen. Für ein Kind vom Dorf wie mich war es dort verträglicher. Nicht umsonst ist der Untertitel meines Blogs „Irrelevantes von den Wegesrändern des kleinstädtischen Berlins“. Über die Jahre haben meine Frau und ich zwar des Öfteren die Arbeitsplätze gewechselt, irgendwie aber den Moment zum Absprung verpasst. Unsere Kinder sind Berliner (Reinickendorfer sogar).

 

 

 

 

Als Zugezogener, insbesondere wenn man aus Bayern oder Schwaben kommt, sieht man sich bald mit der Frage konfrontiert, ob man überhaupt in Berlin wohnen darf. Einige hier sind der Meinung, eher nicht (das ist auch bei Zugezogenen sehr beliebt, man nimmt das eigene Ankunftsdatum, und beschließt nach eingehendem und objektivem Überlegen, dass alle, die nach einem kamen, eigentlich schon zu viel sind). Ich muss zugeben, dass ich da etwas bockig bin, weil ich es vom Allgäu her gekannt habe, dass überall die Berliner waren (bei uns kamen auch die Vorsitzenden vom Trachtenverein aus Berlin).

 

 

Die Änderungen in der Stadt sind sicher beängstigend, aber manchmal frage ich mich, ob den Berlinern klar ist, dass das kein exklusiv Berliner Phänomen ist. Es wird nur wenige geben, die die Orte ihrer Kindheit und Jugend jetzt noch genau so wiederfinden. An meinem Heimatort stehen Neubauten auf den Wiesen, auf denen ich früher Grashüpfer gefangen habe. Der Ort ist inzwischen doppelt so groß, weil nach und nach die München-Pendler immer weiter ins Umland fliehen. Die Bauern bauen jetzt nur noch Biomasse-Mais und Raps an, die Kühe stehen nur noch im Stall und nicht mehr auf der Weide. Auch dort: Es ist nix mehr wies mal war. Um nicht falsch verstanden zu werden: Der Unterschied zu Berlin ist klar: Eine Verdrängung der angestammten Wohnbevölkerung findet dort nicht in dem Maße statt. ,

 

2013-09-26 22.13.03

 

 

Ich finde die unfertige und zugemüllte Stadt interessant. Vielleicht auch eine Nachwirkung einer Kindheit in einer Umgebung, die vom Siebziger-Jahre-Zweckbauten-Chic geprägt war.  Auch Natur findet man in Berlin genug; nicht zuletzt das Unkraut, das sich ausdauernd einen Weg bahnt. Meine Kinder kennen wahrscheinlich mehr Tiere als ich in dem Alter, bei uns gab’s eigentlich nur Kühe; in Pankow auf dem Kinderbauernhof gibt’s dazu noch Esel und Schweine. Und wie schon vorher geschrieben, man hat nicht die Möglichkeit, die harte Wirklichkeit der Stadt auszublenden. Wenn man in Berlin regelmäßig S- und U-Bahn fährt, hat man eine klare Vorstellung davon, was so im Land los ist. Und trotzdem muss man der Stadt lassen, dass sie zwar nicht unbedingt gut gelaunt, aber doch recht entspannt und pragmatisch ist und aus den merkwürdigen und manchmal erschütternden Voraussetzungen das Beste macht. Das ist etwas, was mir über die Jahre immer mehr imponiert.

 

 

Ich habe das Gefühl, dass man auf dem Lande bei ähnlichen Problemen mehr zur Überreaktion neigt als in Berlin.

 

 

Natürlich hätte ich gerne etwas mehr Ruhe (und z.B. nicht die Flugzeuge im Landeanflug Tegel 400 m über meinem Dach). Aber wenn ich mich ans Dorf erinnere, erinnere ich mich vor allem auch an die Kreissägen am Samstag um 8 Uhr. Natürlich hätte ich gerne mehr Sauberkeit, etwas mehr Landschaft als in den märkischen Steppen. Trotzdem mag ich nicht mehr aufs Land ziehen. Ich komm da her. Ich kenn das. Das Landleben hat zwar den großen Vorteil, dass es überschaubar ist, dass man von einigen eher unangenehmen Erscheinungen der Neuzeit verschont bleibt. Allerdings sollte man sich nicht täuschen lassen, die paradiesischen Zustände gibt’s vielleicht in der Phantasie und in der „Landlust“, aber nicht in den Gegenden, die ich etwas besser kenne.

 

 

In der Kleinstadt, aus der ich kam, wurde in unserer Straße einmal ein Mord begangen. Es gab einen Feuerteufel, der verschiedene Häuser angezündet hat, der sich dann als Sohn aus dem Haus gegenüber herausstellte. Mir hat einmal jemand ein Messer an die Kehle gehalten, einem Freund von mir jemand eine Pistole an den Kopf. Aus Schul- und Kindergartenzeiten haben viele nicht das 20. Lebensjahr erreicht, weil sie bei Autounfällen umkamen. Harte Drogen waren ohne Weiteres verfügbar. Allgäu, nicht Neukölln. (Nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: ich will hier nicht den Eindruck einer alpenländischen Ghetto-Jugend erwecken; meine Jugend war eher wohl behütet. Was ich sagen will: Eine heile Welt gibt es nirgends.)

 

 

Die Fassade auf dem Land  ist sicherlich schöner, die Deliktshäufigkeit geringer, aber die Menschen sind, wie sie sind, egal wohin man geht. Und der größere Zusammenhalt auf dem Land geht gerne einher mit stärkerer Ausgrenzung anderer. Mir ist bewusst, dass diese Erkenntnisse anekdotisch und nicht empirisch sind, aber jeder, der nun tatsächlich paradiesische Zustände irgendwo in der Botanik beschreiben kann, taugt auch nicht zur Widerlegung. Mein Punkt ist lediglich, dass es genauso wahrscheinlich und möglich ist, angenehme Leute und eine glückliche Umgebung in Berlin zu finden wie an irgendeinem anderen Ort. Hängt wahrscheinlich ein bisschen von einem selber ab, wo man Frieden findet. Aber an kaum einen anderen Ort sieht man die Buntheit, Schönheit und auch die Hässlichkeit der Menschen deutlicher als in Berlin. Und das finde ich immer mehr bewundernswert.  Vielleicht gibt es irgendwann einen Grund, wieder einen anderen Ort zu suchen. Aber das wird dann eher weniger mit der Stadt, als mit anderen Dingen zu tun haben.

 

2013-08-08 21.27.16

 

*Zwei Beispiele, die mir vom Beginn im Gedächtnis bleiben: Als wir nach längerer Wohnungssuche fündig wurden, und in den Wedding zu Domäne fuhren, um eine paar Lampen zu kaufen, kam mir beim Möbelhaus ein Typ entgegen, der seinem halbwüchsigem Sohn gerade erzählte: „Det Sofa bringen wir Mama mit – die freut sich dann ein Loch in den Arsch.“ Später habe ich einmal gesehen, wie bei einem Einkaufszentrum ein junger Typ schnell herausrannte, sich hektisch umsehend, hinter ihm mit einigem Abstand der Verkäufer eines Gemüsestandes, der ihm hinterherruft, der junge Typ kommt zu einer Ampel, rennt bei Rot rüber, der verfolgende Verkäufer läuft noch hin, läuft aus und bleibt an der Ampel stehen, der Typ ist entkommen. Der Chor der Berliner, die das alles interessiert angesehen haben: „Mensch, musste schon schneller loofen, wenn du den kriegen willst!“ „So wird das nichts!“ etc.

 

 

 

 

 

Gastbeitrag von Ackerbau Pankow

Ich hatte von Berliner Bloggern wissen wollen, was sie in der Stadt hält, Ob Landleben nicht cooler wäre.

 

 

 

 

 

 

Ein Kommentar zu “Was mich in Berlin hält.”

  1. Das ist ein richtig typischer „Ackerbau“-Beitrag. So wunderbar über die Zugezogenenbefindlichkeit geschrieben, dass es schon fast von einem Ur-Berliner hätte kommen können. Klasse. Danke schön.
    Ich erlebe hier übrigens gerade, dass die Kiwis beim Nennen von Berlin als Wohnort mit der Zunge schnalzen und vor Wonne die Augen verleiern. Die Stadt wird als megacool und toll empfunden. Andernorts, wie gesagt. Der Berliner an sich kann ja nie genug meckern ;-)

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