Seit einem geschlagenen Jahr hat mein zukünftiger Chef vergeblich jemanden für diesen Posten gesucht: Aufbau eines Hörfunk-Korrespondentenbüros mitten auf dem Land, tief drin im Odenwald. Niemand hat sich gefunden, alle potenziellen Kandidaten haben abgewunken, junge Kerle zumeist, die eben erst das Journalisten-Leben in der Großstadt zu schätzen lernen, gestandene Kollegen, die Frau und Kinder haben. Lauter Absagen. Bis ich dem Herrn aus heiterem Himmel direkt in den Schoß falle.

Hervorragende Ausbildung an einer der besten Journalistenschulen, die das Land zu bieten hat, gute Referenzen, viel Erfahrung, den ersten Journalistenpreis schon in der Tasche. In der regionalen Branche habe ich einen kleinen, aber feinen Namen, und meine signierte  Autogrammkarte hat ihren Weg in manches Fan-Album gefunden. Bis zu diesem Tag ist meine Karriere gradlinig und vergleichsweise vorhersehbar verlaufen.

 

Auch der zukünftige Chef kennt meinen Namen schon seit langem. „Frau Kroitzsch?“, fragt er ungläubig-staunend ins Telefon, als ich ihn eines Morgens anrufe, „was kann denn jemand wie ich für jemanden wie Sie tun?“. Ich komme gleich zur Sache. Von Kollegen habe ich erfahren, dass er einen Provinz-Korrespondenten suche. „Wenn Sie mir jemanden empfehlen könnten – das wäre ja großartig!“ sagt er hoffnungsfroh. Empfehlen? Naja… „Mich!“ antworte ich tollkühn.

Stille in der Leitung. Dann: „Ich glaube, wir sollten uns kennenlernen. Das müssen Sie mir persönlich erklären.“

 

Jetzt also sitze ich ihm im großen Landesfunkhaus gegenüber und bemühe mich höflich um den Job als radiophone Landpomeranze. „Sie wissen, dass dieser Posten deutlich schlechter dotiert ist als das, was Sie bisher verdient haben?“, fragt der zukünftige Chef vorsichtig. Ich weiß es. Alles schon durchkalkuliert. Müsste hinkommen. Er holt tief Luft und hebt zur alles-entscheidenen Frage an, zu der, an der bisher noch jedes dieser Gespräche gescheitert ist:  „Und Sie wissen, dass wir erwarten, dass Sie dort auch – (Kunstpause) – leben?“, fragt er zögernd. „Weiß ich“, antworte ich wie aus der Pistole geschossen. Und frage mich insgeheim noch einmal – wie so oft in den vergangenen Wochen – , ob ich das wirklich will.

 

„Ja, ich will!“, schiebe ich feierlich hinterher, als wollte ich von meinem Gegenüber einen Ehe-, keinen Arbeitsvertrag. Ich will: wieder ran an die vermeintlich „einfachen“ Menschen, ran an die kleinen, großen Geschichten, runter vom Karriere-Karussell, raus aus dem Job-Gedränge und der Großstadt-Glitter-Show, rein ins wirkliche, ursprüngliche Leben. Raus aus der stinkenden, lärmenden Metropole, rein in die Stille, rein in den Wald. Will nach Feierabend nicht ins stickige Fitnessstudio gehen und schwitzende Möchtegerne-Helden gucken, sondern in klarer Landluft mit fröhlichen Landmännern singend mein Feuerholz für den Winter hacken. Sehe mich schon mit Kopftuch und in Gummistiefeln die Kühe durchs Dorf treiben, morgens die frischen Eier aus dem Hühnerstall holen und abends in der Wiese die Kräuter für das Abendessen sammeln.  „Back to the roots!“ steht in Leuchtschrift auf meiner Stirn geschrieben. Und offenbar überzeugt der leuchtende Schriftzug auch den zukünftigen Chef. Ein Handschlag, und der Job-Deal ist perfekt. Mein Chef kann sein Glück kaum fassen. Ich meines auch nicht.