Welcher Gastronom hat denn bitteschön Rücklagen?, fragt der Mann vom Hotel- und Gaststättenverband mich am Telefon, und die Frage ist natürlich rhetorisch gemeint. Kaum einer hat Rücklagen, sagt auch Karin Jaegle vom Prinz Carl in Buchen. Der Prinz Carl ist – so hätte man das früher genannt – das Erste Haus am Platze, also so richtig feine Küche, jahrhundertelange Tradition, stilvolle Einrichtung, knarzendes hochglänzendes Parkett, gehobene Preise (für hiesige Verhältnisse), und in den Hotelzimmern oft Geschäftsleute, die zu den ganz großen Firmen in der Region wollen, global Player, hidden Champions, naja, Sie wissen schon.

Auch Jens Jaegle und seine Frau Karin haben es so gemacht wie viele andere, – auf Take-away und Lieferservice umgestellt. Allerdings hatten sie das Haus erstmal zwei Wochen ganz zugeschlossen. Nachdenken. Rechnen. Planen. Die alten Fensterrahmen streichen. Tischdecken nähen, im Akkord, sagt Karin Jaegle und lacht, lauter so Sachen, die man schon lange machen wollte und zu denen man sonst nicht kommt.

Überhaupt wird viel und gerne gelacht bei den Jaegles im Prinz Carl. Machen die sich denn gar keine Sorgen, wälzen die sich nicht nachts schlaflos in den Betten? Bei dem riesigen Betrieb, den vielen Mitarbeitern, den hohen Fixkosten? Nein, das liegt uns nicht in den Genen, sagen die beiden, und ändern würde es ja auch nichts.

Also: erst nachgedacht und überlegt und gerechnet, jetzt Take-away. Für einen Prinz Carl heißt das natürlich nicht take-away, sondern Genießen zuhause, business-lunch und so. Und es heißt: die Speisen werden schön wie immer auf den klassisch-eleganten Tellern drapiert, nach allen Regeln der gehobenen Küchenkunst, dann Folie über den Teller, und ab in die riesige Thermo-Box. So holen es die Leute ab, so wird es auch auf Wunsch ausgeliefert. Und bei einer nächsten Tour werden Teller und Boxen wieder eingesammelt. Stilvoll und deutlich umweltverträglicher als der ganze Plastikkram, der am Ende im Müll landet.

Es läuft gut, sagen die Jaegles. An Ostern lief es bei ihnen und all ihren gastronomischen Kollegen so gut, dass es zwischendurch schon eng wurde. Hilfe, wir haben keine Teller mehr! Also flugs rüber zum Gasthaus am anderen Ende der Straße und Teller ausgeliehen. Der Egon in der entgegengesetzten Ecke des Städtchens hat keine Sahne mehr? Los, fahr schnell hin und bring ihm welche, wir haben genug! Kollegialität in der Provinz, ich sags ja nur. Geht hier schon immer so, sagen die Jaegles, und in diesen Zeiten nochmal doppelt. Ob das in der Großstadt auch so läuft? Ich habe keine Ahnung. Vielleicht wissen Sie ja was.

Küchenchef Jens Jaegle

Mitarbeiter nach Hause geschickt, Finanzhilfe beantragt, das in diesen Zeiten Übliche halt. Die Stammkundschaft rettet uns, sagt Küchenchef Jens. Manche von denen kommen jetzt schon seit März zweimal die Woche und bestellen etwas. Zum Essen nehmen sie eine Flasche Wein mit, oder die feine Salatsauce, die Jaegle jetzt endlich mal in Flaschen abgefüllt hat und verkauft. Oder das Wildgericht im Glas. A propos Wild: Eine Stammkundin des Hauses ist Jägerin. Die hat hier neulich 50 Kilo Wild abgeliefert, als Geschenk, einfach so, sagt Karin Jaegle, das ist alles so unglaublich.

Und die Hotelzimmer? Leer, die meisten, sagt Karin Jaegle, es gibt ja derzeit keine Dienstreisen mehr bei den Firmen hier in der Region, die haben ja auch alles runtergefahren. Die Geschäftskunden bleiben aus, die Touristen dürfen ja nicht kommen. Da wünsche ich mir schnell eine Verbesserung, sagt Karin, es ist doch nicht einzusehen, warum ein Ehepaar aus Köln oder Hamburg nicht ins Hotel kommen darf, um hier im Odenwald zu wandern oder Radtouren zu machen. Viele Leute, gerade ältere, hätten jetzt genau die Zeit für solche kleinen Reisen, und viele von denen kommen seit Jahren in den Prinz Carl nach Buchen. Die würden auch jetzt kommen. Wenn sie denn dürften.

Lisa Jaegle.

An der Rezeption gibt es also für Tochter Lisa derzeit nicht soooo irrsinnig viel zu tun, zumindest nicht, was Reservierungen angeht. Lisa kümmert sich umso mehr um die Werbung und die Kommunikation, um die Website und den facebook-Auftritt. Alles immer aktuell halten, auf Tagesangebote hinweisen, auf Anfragen antworten. Digitalisierung undsoweiter. Die meisten Gastronomen auch im Odenwald haben das inzwischen begriffen, wie wichtig die nicht mehr ganz so neuen Neuen Medien auch fürs tägliche Geschäft sind. Und in der Krise umso mehr.

Wird das Haus die Corona-Zeiten überstehen? Na, klar, sagen die Jaegles. Den Prinz Carl gibt es seit dem 18. Jahrhundert, der wird noch ein paar Jahrhunderte machen. Vielleicht nicht genauso wie bisher, vielleicht anders. Weil aus Krisen immer auch neue Entwicklungen, neue Ideen, neue Chancen entstehen.

Hier (Klick!)) gehts zur Website vom Prinz Carl.

Ich will Ihnen hier in loser Folge ein paar Gaststätten und Restaurants aus meiner Nachbarschaft vorstellen, die derzeit irgendwie mit dieser Corona-Krise umgehen müssen. Die Grund- Idee dazu habe ich hier bei diesem großartigen Fotografen abgeguckt, auf den mich ein Blogleser hingewisen hat. Ich mache sowas sonst nur ungerne, Ideen abgucken, aber ich glaube, für einen guten Zweck darf man auch mal abgucken. Wenn Sie bisher ohnehin immer mal essen gegangen sind und sich das auch derzeit irgendwie leisten können: Unterstützen Sie die Wirtschaften und Restaurants in Ihrer Nähe. Sie müssen kein take-away-Fan sein, hier gehts nicht um Ästhetik im Alltag, sondern um Solidarität. Ganz einfach. Und Gutscheine, Sie können jetzt auch Gutscheine kaufen und dann später verschenken, wenn die Restaurants alle wieder in ihren ganz normalen Alltag zurückgekehrt sind. Und nein, ich bekomme für diese Werbung kein Geld, ich mache das aus reiner… Naja, Sie wissen schon.

6 Kommentare zu “„Die Stammkunden retten uns“”

  1. Ja, das erste Haus am Platze, für uns& unsere Verwandten sehr lange. Aber da zuletzt nur das Essen im großen Familienkreise aus Anlass der Beerdigungen unserer Eltern stattfand, ist die Tradition beendet. Seitdem sind wir nicht mehr dorthin gekommen. Und jetzt, in häuslicher Isolation seit fast sechs Wochen, geht schon gar nichts, auch wenn Kölner willkommen sind.
    Die Reihe ist ein schöner Einblick in eine ländliche Kultur, die mir verloren gegangen ist.
    Bleibt gesund!
    Astrid

  2. In Kreuzberg läuft das Take-away-Geschäft nur sehr sporadisch. Nur wenig Gastronomie ist geöffnet abgesehen von den Imbiß-Buden. Die Restaurants und Cafes leben hauptsächlich vom Tourismus, und der fällt aus. In manchen Fensterscheiben gibt es Hinweise auf die Möglichkeit Gutscheine per Internet zu erwerben. Diese sind dann später einlösbar. Auch von den Geschäften, die jetzt eigentlich schon wieder öffnen dürften, sind relativ wenige geöffnet.

    In den eher bürgerlich geprägten Stadtvierteln – so höre ich – läuft es teilweise anders.
    Danke für die Geschichten aus der Gastronomie bei Ihnen in der Provinz.

  3. H. kann nur immer wieder sagen: Welch wunderbare Beiträge Sie bringen.
    Hier in München läuft es mit der Solidarität und dem To-Go-Essen relativ gut. Es wäre noch Luft nach oben.

  4. Was für ein toller Bericht und was für coole Bilder. Da ich die Jaegles auch gut kenne, kann ich das alles gut nachvollziehen. Sie haben schon immer mit vielen Gastro-Kollegen alle zusammen an einem Strang gezogen. Das finde ich so klasse.

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