Mein berufliches Sozialleben ist heute komplett eskaliert. Ich habe zwei Vor-Ort-Termine gehabt und insgesamt vier Menschen face-to-face gesehen. Mehr als an irgendeinem Tag in den vergangenen Wochen. Natürlich alles mit Mindestabstand, ist ja klar. Von diesem sozialen overflow, dieser Reizüberflutung, muss ich mich jetzt erstmal erholen, man ist ja nichts mehr gewöhnt.

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A propos eskaliert: Schauen Sie sich mal das Video an, dass ich am Morgen bei Twitter fand. Langsame Lockerungen und so. Menschen, ey. Man wundert sich.

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Heute früh im Geriatriezentrum in Walldürn. Die Einrichtung ist derzeit abgesperrt, Betreten verboten. Besucher skypen mit ihren über 90jährigen Angehörigen. Unten aus der Lobby rein in die Zimmer, via Internet. Geht alles. Die Tablets sind private Leihgaben. Mal die alte Mutter in den Arm nehmen, ihr mal wieder über den Kopf streichen, das wäre auch schön, sagt einer. Aber so gehts auch. Besser als gar nix. Die 95jährige Mutter redet via Skype mit dem Sohn, als habe sie ihr Leben lang nichts anderes getan.

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Unterwegs Fundstück 1

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Nachmittags dann Gespräch mit der Leiterin eines Seniorenheims in Buchen. Alles nicht so einfach im Moment. Den Bewohnern den Ernst der Lage klarmachen. Ihnen die teilweise drastischen Einschränkungen erklären. Erklären, warum kein Besuch mehr kommt, und dass niemand im Moment Besuch bekommt. Wir haben bei allem, was wir entscheiden müssen, keinerlei Erfahrungen, auf die wir zurückgreifen könnten, sagt die Leiterin. Mal eben eine Quarantäne-Station im Haus einrichten? Puh. Einfach machen. So, wie wir uns das vorstellen.

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Die Evangelische Gemeinde im Städtchen hat Banner gestaltet und sie an alle Alten- und Pflegeeinrichtungen gehängt. Auch nur ein winziges Zeichen, aber eines, das angekommen ist bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, sagt die Leiterin. Die findet im Übrigen sowieso, dass sie tolle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hat, und wie die im Moment zusammenhalten und sich gegenseitig helfen, über alle Abteilungen hinweg, das ist unglaublich.

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Unterwegs Fundstück 2

Ob es im Sinne des Erfinders und im Sinne des Infektionsschutzgesetzes ist, Schutzhandschuhe nach dem Gebrauch auf die Gasse zu werfen, darüber muss ich noch nachdenken. Ich fürchte aber eher: Nein. Menschen, ey.

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Hunderunde nach Feierabend. Die Natur tut, als wäre nix gewesen und wirft sich in Schale. Hier oben fängt sogar der Raps schon an zu blühen.

Alles ein bisschen Händi-unscharf heute.

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Und am Abend dann wieder Take-away bei einem der vielen Restaurants in der Gegend, die das momentan anbieten, um irgendwie über die Runden zu kommen. Ich habe mir das ja vorgenommen, so lange, wie mein Kontostand sowas zulässt. Aber erstens gebe ich ja ansonsten momentan kaum Geld aus, und zweitens gucke ich einfach gar nicht auf den Kontostand. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Und außerdem bin ich drittens in der verdammt glücklichen Lage, dass sich diese ganze Krise bislang kaum auf mein Einkommen auswirkt.

5 Kommentare zu “Rückzug XXII”

  1. Wir wohnen hier an der Landesgrenze Sachsen zu Brandenburg. In Sachsen sind Baumärkte nur für Gewerbetreibende geöffnet, in Brandenburg für alle. Die ganze vorige Woche kamen gefühlt alle sächsischen Haus und Gartenbesitzer zum einkaufen. Als ob alles vor Ostern noch erledigt werden muss. Aber die teure Osterschokolade liegt im Supermarkt wie Blei in den Regalen.

  2. Und immer wieder auch bei mir „Ja, Menschen, ey …“ – manchmal auch in einem Maß über das Erträgliche hinaus.
    Danke für diesen Text.
    Herzlichst, Ev

  3. Alte Bekannte, diese Heime… Was bin ich froh, dass meine Eltern das nicht mehr mitmachen müssen (und ich auch nicht). Jetzt nur den alten Gefährten schützen, dreifach Risiko…
    Alles Gute! Bleibt gesund!
    GLG
    Astrid

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