Ich komme in diesen Tagen immer wieder an einem Sonnenblumenfeld vorbei. Während drumherum die Natur plötzlich Farbe annimmt, Grün und Gelb und Rosa, während überall pelzige kleine Knospen wachsen und wachsen und sich durch braunes Laub im Unterholz frische Hälmchen ans Licht drängeln, stehen die alten, übriggebliebenen Sonnenblumen da wie ein Schwarm hochbeiniger schwarzer, schlechtgelaunter Vögel.
Sie wissen, dass ihre Zeit längst abgelaufen ist, und miesepetrig wollen sie uns jetzt den Spaß am Frühling verderben. Als wollten sie darauf hinweisen, dass doch alles grau in grau ist, und dass das Düstere immer länger hält als alles Frische, Grüne, Neue. Wie vertrocknete Reiher oder zerknitterte, verbitterte Schwarzstörche stehen sie da herum mit ihren faltigen Hälsen und lassen die Köpfe hängen, als wollten sie das Leid der Welt beklagen.
Kaum zu glauben, dass auch sie irgendwann in den kommenden Wochen einknicken und das Feld räumen werden, für neue, grüne, gelbe Sonnenblumen. Sie werden das Feld räumen müssen, das war noch immer so. Hoffnung ist die erste Christenpflicht, pflegte die Großmutter zu sagen, und wie üblich hatte sie recht. Mich erinnert das verdorrte Sonnenblumenfeld ein bisschen an das Gedicht Das Zeichen. Ich sollte es beim nächsten Mal den schlechtgelaunten Pflanzenvögeln einfach mal vorlesen.
Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt,
ist das nicht in Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?
Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.
Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht.
Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,
das bleibt mir ein Fingerzeig
für des Lebens Sieg.
(Schalom Ben-Chorin, 1942)
Danke an die freundliche Frau Frauke von nebenan mit ihrer wöchentlichen Anregung zum #Schwarzweissblick.
Ein wunderbarer Post!
Ich habe jedes Wort und jedes Bild genossen – vielen Dank für’s Verlinken … Frauke