Die wöchentliche Lektüre des lokalen Amtblattes ist wieder und wieder ein Quell der Freude. Jeden Donnerstag trägt ein freundlicher Mensch diese Zeitung im DIN-A-4-Format aus, und jeden Donnerstag steht mein Geo nachmittags am Fenster und fragt in unbestimmte Richtung Ist das Amtsblatt schon da?
Im Amtsblatt steht eigentlich alles, was man wissen muß, Berichte von Gemeinderatssitzungen, Sterbefälle, Taufen, Hochzeiten, Veranstaltungen und Gottesdienst-Termine, dazu die Werbeanzeigen der lokalen Unternehmen und Einzelhändler. Jede Gemeinde hat ihr eigenes Amtsblatt, und es ist vermutlich das meistgelesene Print-Erzeugnis im Odenwald.
Diese Woche erfreut uns die Anzeige einer überregionalen Getränkefirma, siehe oben, eine kleine Einführung in den Kapitalismus. Oder ein Druckfehler, wer weiß das schon. Ausserdem entnehmen wir dem Amtsblatt, dass der Hundesportverein in einem der Nachbardörfer sein traditionelles Schlachtfest im Vereinsheim feiert. Eine Tradition, die mir alljährlich die eigenwilligsten Bilder im Kopf verursacht, ich sehe mich mit meinen Hunden zum Schlachtfest hin-gehen, und ohne sie, aber satt, zurück-kehren. An die Schlachtfeste mit Hähnchengrill beim Gefügelzuchtverein habe ich mich ja inzwischen gewöhnt, beim Hundeverein muß ich daran noch arbeiten. Naja, Sie wissen schon.
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Bei strammem Wind und milden 15 Grad drehe ich morgens die Hunderunde auf den Feldern, es ist ein bißchen wie an einem grauen Frühlingstag an der Nordsee. Das Handy schickt mir eine Warnung für Montagfrüh, Achtung, Glättegefahr!, man versteht das alles nicht mehr. Muß man ja vielleicht auch nicht. Aber nur gut, dass ich gestern bei 25 Gard Aussentemperatur die Winterreifen schon bestellt habe.
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A propos Winterreifen: Ich schlafe seit Tagen schlecht und wälze mich unruhig im Bett hin und her, weil ich heute in eine große Stadt, in eine Innenstadt sogar, fahren muß. Die Fahrt als solche macht mir keinen Kummer, ich bin täglich viele Kilometer mit dem Auto unterwegs und habe die Grundlagen ja schließlich in Berlin gelernt, sechsspuriger Kreisverkehr an der Siegessäule und Feierabendverkehr auf dem Kudamm inklusive.
Was mir den Schlaf raubt, ist die bange Frage: Werde ich einen Parkplatz finden? Und schaffe ich es überhaupt noch, rückwärts einzuparken? Ich lebe seit 20 Jahren im Odenwald und kann mich nicht erinnern, hier jemals einen Parkplatz gesucht zu haben, geschweige denn einen, bei dem ich rückwärts einparken muß. Ich fahre zu derlei Zwecken manchmal nach Heidelberg oder Mannheim, einfach, um in Übung zu bleiben. Ich versuche also seit Tagen und Nächten zu rekonstruieren, wann ich das letzte Mal… und wie das nochmal ging… Naja, drücken Sie mir die Daumen.
Das erinnert mich übrigens an meine Führerschein-Prüfung in Berlin, als der Prüfer mich zum Abschluß der ansonsten zufriedenstellenden Fahrt an eben jenem Kudamm zur Hauptverkehrszeit rückwärts einparken ließ. Ich kurbelte also schweißgebadet hin und her, vor und zurück, und am Ende kam das Auto irgendwie zum Stehen, komplett schräg, mit der Schnauze noch satt Richtung Fahrbahn und etwa einen Meter vom Bordstein entfernt.
Der Prüfer glotzte von der Rückbank aus grimmig Richtung Bordsteinkante (es fehlte noch, dass er ein Fernglas aus der Tasche holte), dann grimmig Richtung meiner verzweifelten Augen im Rückspiegel, dann wieder Richtung Bordsteinkante. Die Stille im Wagen zog sich eine gefühlte Ewigkeit, mein Fahrlehrer versank im Beifahrersitz, und irgendwann sprach der Ur-Berliner Prüfer Wissense, wie SIE Ihr Auto am Kudamm einjeparkt kriegn, kann MIR doch eigentlich scheißejal sein, und damit hatte ich die Prüfung bestanden.
Wo fange ich heute an? Ach, mal von hinten.
Ich habe meinen Führerschein im Bayerischen Wald gemacht, im Sommer. Da lernt man dann im ersten Winter auf Schnee und bei Glätte (Tipp: besser nicht!) zu fahren, und was man macht, wenn man mit einem Kleinwagen plötzlich auf einer Offroad-Piste landet. Überland und Autobahn hat man schnell drauf, weil, sonst kommt man ja nirgendwo hin, wo es menschliches Leben gibt. Dann zog ich nach Regensburg, und dann nach München. Danach dachte ich, ich hätte die bescheuertsten Stadtfahrer der Republik hinreichend kennen gelernt. Dann aber, ja: Dann kam Berlin …
Das örtliche Amtsblatt (hier „Gemeindebote“ genannt) erscheint leider nur alle zwei Monate, dafür auf Hochglanzpapier im typischen Word-Layout, also ein gestalterisches und typografisches Meisterwerk. Die Papiersorte muss sein, so hat man mir erklärt, weil den Gemeindeboten eben nicht der Gemeindebote bringt, sondern der Postbote, und der Gemeindebote nicht mit einer Werbebeilage der Tageszeitung (nein, nicht die taz!) verwechselt werden soll. Ansonsten verfügt der Gemeindebote durchaus über inhaltliche Highlights. Hier ein paar Beispiele:
– Das Grußwort des Bürgermeisters. Da schaltet mein Stilblütendetektor schon auf „high alert“. Aber wer weiß, er ist moderner Technologie gegenüber ja offen, wie er sagt. Vielleicht entdeckt er mal ChatGPT.
– Das Kochrezept. Jahaaa, der katholische Hausfrauenbund! Ich bin kein Meisterkoch, aber sowas bekomme ich bei Nebel und im Blindflug hin. Eigentlich ist das sowieso nur Werbung für ihre Koch- und Backbücher (Selbstverlag, ohne ISBN).
– Das Ausmalbild für Kinder. „Malen nach Zahlen“, Quelle: Internet. Ich muss gestehen, während der Corona-Maßnahmen habe ich beim Aufräumen originalverpackte Filzstifte gefunden und eins ausgemalt. Hat irgendwie Spaß gemacht, denn es gab ja sonst nichts.
– Der Veranstaltungskalender. Auch wenn mich die Versammlung des Krieger- und Veteranenvereins „mit anschließendem geselligen Beisammensein beim xyz-Wirt“ nicht interessiert, der Hinweis hilft mir, das Wirtshaus an diesem Abend zu meiden. Da kann ich ja gleich zum Sommerfest der AfD gehen.
– Die Fotos. Immer wieder Grund zu tiefsinnigen Interpretationen. Ein paar Kinder von hinten und viele Bäume bei Regen: Waldkindergarten. Fünf alte Männer mit Pokalen in einem Lokal, Bild leicht verwackelt: Geflügelzüchterverein. Ein hochglanzpoliertes Feuerwehrauto auf einer Wiese: Kann alles sein, bringen die bei JEDEM Artikel über die Freiwillige Feuerwehr.
Aber das absolute Highlight des Jahres, das Weihnachts-Special, die Ausgabe, die jeder haben will:
– Der MÜLLABFUHRKALENDER fürs nächste Jahr. Eigenhändig kopiert und schlecht eingefügt von der Website des Landratsamts, die alle Jahre wieder ankündigen, dass die Müllabfuhr-App „demnächst“ kommen wird.
Ich meine, da gibt es Flughäfen, die schneller fertig werden. Womit wir wieder am Anfang und gleichzeitig Ende dieses Beitrags wären.
:-) Herzlich gelacht!!
Beim Lesen der Ankündigung des Schlachtfests des Hundesportvereins kam mir auch der Gedanke: Na,sind wir denn in China?
Danke für die inmitten norddeutschen Regens stimmungsaufhellende Fahrschul-Anekdote!
Gut, dass ich mangels Gemeindeblatt Blogs zum Lesen habe.
Eine köstliche Werbeschaltung – ob sich jemand dafür verantworten musste?
Solche Amtsblätter würde ich auch gerne lesen. Ich könnte mit dem Kirchenblatt vorlieb nehmen, aber das wandert dann doch immer recht flott zum Altpapier. Muss ja schon lange nicht mehr daran glauben, was da drin steht ;)
Mein Führerschein war problemlos errungen, was mich heute, ein Vierteljahrhundert danach, noch verwundert. Mangels Talent, städtische brenzlige Verkehrssituationen nervlich zu überstehen, bin ich ganz schnell wieder auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen. Auch der Grüngürtel ist in meiner Gegen gut an das Öffi-Netz angebunden und so kann ich Dank sei Gott auf die täglichen Qualen hinter dem Volant gut verzichten.
Keine Frage, ich drücke die Däumchen für die Einparkerei!
Einfach herrlich, wieder hier gelesen zu haben, immer eine Bereicherung!
Auch den Gemeindeboten, den Alwin genau studiert, würde ich gerne mal zu Gesicht bekommen – sensationell ;)
Alle Daumen hoch für den Beitrag und ALLE Kommentare!
Diesen Blog zu lesen ist immer ein Genuss und heute war es ein Besonderer!
Merci vielmals.
wie immer wunderbar. You made my day! (himmel, so viele Ypsilons)