Mannomann, Manne.

30. Januar 2023

Ich muß aufpassen, dass ich mich nicht zu sehr aufrege. Sonst kriege ich wieder eine Gallenkolik, das ist ein äußerst unangenehmes Ereignis, und im schlimmsten Fall muss ich dann per Notarzt ins kleine Krankenhaus im kleinen Städtchen. Es wäre nicht das erste Mal. Er wolle sich mal eine Art “Rabattsystem” für mich und meine Gallensteine ausdenken, hat der operierende Arzt beim letzten Mal gesagt, wir sähen uns ja vermutlich in Zukunft regelmäßig. Ich habe nur etwas gequält gelächelt.

Ein kleiner großer Trost: das Krankenhaus ist klasse, die Ärzte gut und zugewandt, die Atmospäre familiär, die Pflegerinnen und Pfleger immer freundlich, trotz aller Widrigkeiten, mit denen die sich alle da so rumschlagen müssen, Tag für Tag. Und irgendwen Bekanntes trifft man immer auf den Fluren, Ach, Sie auch hier?, das ist ja immer tröstlich, wenn da ein vertrautes Gesicht vorbeihinkt, vorbeirollert. Und der Gatte kann mich besuchen, eine Viertelstunde Autofahrt, oder ich ihn, das hatten wir ja auch schon. Alles bestens, alles super, alles meine Erfahrungen, bitte sehr, naja, Sie wissen schon.

Aber ich schweife ab. Was ich eigentlich berichten wollte, und was meine Gallensteine in gefährliche Wallung bringt, ist dieser Satz hier: Die romantische Vorstellung, ein kleines schnuckeliges Krankenhaus sichert quantitativ und qualitativ flächendeckend eine Grundversorgung, ist eine romantische Mär. Hat der badenwürttembergische Gesundheitsminister Manfred Manne Lucha grade gesagt. Der muß es ja wissen.

Das Wort Mär hatte ich ja auch schon lange nicht mehr gehört oder gelesen, ich habe deswegen zur Sicherheit nochmal bei wikidingsbums gegoogelt: Heutzutage wird die Bezeichnung Mär vor allem abwertend für Geschichten oder Vorstellungen verwendet, die sich als falsch und unwahr herausgestellt haben.

Wir Dummerles vom Land haben doch tatsächlich geglaubt, wir seien hier ganz gut versorgt mit unseren zwei, drei kleinen Krankenhäusern! (Hier müssen Sie sich jetzt ein Schenkelkolpfgeräusch dazudenken). Das ist also eine romantische Mär, ein Märchen! Und wir sind drauf reingefallen, all die Jahre! Realitätsverweigerung de luxe. Und wenn Krankenhäuser schon schnuckelig sind, kann das ja auch nichts werden mit der Grundversorgung, quantitativ und qualitativ nicht. Da arbeiten vermutlich nur die letzten Flitzpiepen.

Und überhaupt, das lernen wir bei Manne Lucha: Die Entfernung zum nächsten Krankenhaus ist doch nicht entscheidend! Wenn das nächste Groß-Uni-super-duper-Krankenhaus eines Tages 60 Kilometer weit entfernt ist, und der regionale Nahverkehr auch nur so semi – so what? – Hauptsache, da arbeiten dann gute Leute. Oder, um es mit Herrn Lucha zu sagen: Entscheidend ist Qualität und die personellen Ressourcen, diese Qualität umzusetzen.

Mann, Manne, gehts noch?, möchte man ihm zurufen. Wenn es einen Wettbewerb gäbe, wer am schnellsten alle ländlichen Räume in Baden-Württemberg gegen sich aufbringt, alle Bewohner strukturschwacher Regionen, alle Beschäftigten kleiner Krankenhäuser, dann hätte Manne große Chancen auf den ersten Platz. Der Mann ist immerhin Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz, also nicht ganz unwichtig, wenn es um die geplante bundesweite Krankenhausreform geht. Ich hatte ja den Herrn Bundesgesundheitsminister Lauterbach so verstanden, dass die Reform Krankenhäuser stabilisieren soll, nicht abschaffen. Aber was weiß ich sozialromantisches Dummerle vom Land denn schon.

  • 10 Kommentare
  • Gabriela 30. Januar 2023

    Vielen Dank für den Kommentar! Tatsächlich ging es mir beim Hören der entsprechenden Nachricht ebenfalls so, daß mir etwas bänglich wurde, ob hier mal wieder eine Kahlschlagreform zur weiteren “Effizienzsteigerung” unter dem Deckmantel der Qualitäts-Sicherung im Gange ist.
    Wie sehen das die anderen geschätzen Leser*innen? Und: Gibt es Ideen, als Bürger*in und potentielle Patient*in deutlich zu machen, daß wir Ländler*innen als Betroffene durchaus sehr zufrieden sind mit dieser “märchenhaften Grundversorgung”, s.o. ?
    Schönen Gruß!

  • roswitha 30. Januar 2023

    in adenau und gerolstein sollen die krankenhäuser geschlossen werden, die nächste geburtsabteilung aus daun/eifel ist in trier(60 km) – der blödsinn mit den krankenhäusern scheint flächendeckend. es kommt doch auch niemand auf die idee, die feuerwehr abzuschaffen, weil es so selten brennt! früher hieß es, die krankenhäuser gehörten zur daseinsvorsorge, diese versorgung wird schlechter. gar nicht daran zu denken, dass angehörige nicht mal eben vorbeikommen können in der nächsten stadt. es begann hier schon damit, dass die geburtsabteilung in mosbach geschossen wurde. alle unterschriftensammlungen oder demos hier wie in der eifel nutzten nichts. manchmal denke ich, die betriebswirte sind maßgeblich. der kostendeckungsgrad aller lebensnotwendigen einrichtungen darf nicht der maßstab des erhaltes der krankenhäuser oder ähnlicher einrichtungen sein. herzlichen gruß, roswitha

  • N. Aunyn 30. Januar 2023

    Es wird immer mehr zentralisiert und eingespart, ob im Bildungsbereich oder im Gesundheitswesen. Im Blick scheint nur noch die Hightech-Medizin zu sein und wie diese am besten finanziert werden kann. Dass zur Gesundheit und zum Gesundwerden mehr gehört scheint bei den verantwortlichen Personen in Vergessenheit zu geraten.

  • Bauer Willi 30. Januar 2023

    Bei Schwangerschaft und Geburtshilfe kann ich als Mann nur bedingt mitreden. Wenn ich mich aber an die Geburt unseres ersten Kindes erinnere (Vom Eintreffen in der Klinik bis zur Geburt zwanzig (20) Minuten, weiß ich nicht, ob man nicht demnächst schon kurz nach der Zeugung in Richtung Krankenhaus aufbrechen muss…(gut, ist jetzt ein ganz klein wenig übertrieben…)

  • nina wippsteerts 31. Januar 2023

    Der Schenkelklopfer schlechthin
    und passiert leider an so vielen Orten (ich wollt hier kein Kind unter Notsituation zur Welt bringen wollen, wenn ich nur etwas ländlicher wohnen tät…)
    Liebe Grüße,
    Nina

  • C Stern 31. Januar 2023

    Bestens retourniert, dem Manne! Der Beitrag ist KLASSE und absolut auch aus der Ferne NACHVOLLZIEHBAR!!! Da mache ich mir sogar um meinen Solitär in der Gallenblase Gedanken, weil ich mich für solche Politiker fremdschäme – und da kommt durchaus auch mein Gallensaft in Wallung: Ich kann es nicht haben, wenn solche Leute hochnasig IHRE Mär verbreiten. Vielleicht möchte sich der Manne mal beim Volk informieren, bevor er der Bevölkerung mit Geschwätz kommt. Ja, den Ärger kann ich voll und ganz nachvollziehen!

    Danke für immerzu tolle Beiträge, selbst, wenn sie soviel Ärger beinhalten, bin ich immer voller Erwartung!

    Und ja, tatsächlich, Betriebswirt*innen können ganz schlimme Fehlentscheidungen in die Wege leiten, überhaupt gehen sie mir gehörig auf die Nerven, wenn sie einem mit Begriffen wie “Human Resources”, “Humankapital”, usw. kommen. Was für eine Abgewandtheit von Menschen, die ganz viel leisten! Wir wollen NICHT als MATERIAL bezeichnet werden!
    Herzliche Grüße aus Oberösterreich,
    C Stern

  • Ragna 1. Februar 2023

    Wie das ist, wenn man auf dem Land oder in einer strukturschwachen Region wohnt, kann vermutlich auch nur richtig nachvollziehen, wer da schon ein paar Jährchen wohnt. Wir leben in der Ortenau, ich arbeite als Ärztin an einem mittelgroßen Krankenhaus, bei uns geht auch die Angst um. Die kleinen Häuser in der Region wurden bereits geschlossen. Unser Einzugsgebiet geht weit rein in den Schwarzwald. Bei all den Reformen wird der Aspekt des Menschlichen, der sich eben nicht in Zahlen und Gewinn ausdrücken lässt, vernachlässigt. Wie sehr gerade die alten Patienten davon profitieren, wenn der Partner oder die Familie (und sei es nur für 30 min) zu Besuch kommen kann, Stütze sein kann. Oder wenn die Pflegekräfte in der Region verwurzelt sind, die “gleiche Sprache” sprechen wie die Patienten.
    Und welche Pflegekraft will täglich 50km zum Arbeitsplatz fahren? am besten abends nach der Spätschicht nach Hause und morgens um 6 Uhr dann wieder auf der Matte stehen. Da werden sich einfach viele entscheiden, den Beruf an den Nagel zu hängen oder gleich in eine richtige Großstadt zu ziehen und nicht in die größere Kreisstadt, in der dann das einzig verbliebene Krankenhaus angesiedelt ist. Schon meine ärztlichen Kollegen, die zur Hälfte noch immer in Freiburg wohnen, stöhnen regelmäßig über die Pendelei (Stau auf der A5, Zugausfälle bei der DB) und die fangen in der Regel um 8 Uhr an. Um 6 Uhr gibt es ja selbst bei uns oft gar keine Möglichkeit mit ÖPNV rechtzeitig bei der Arbeit zu sein oder am Abend dann nach 20 Uhr nach Hause zu kommen! Der Personalmangel im Gesundheitssystem hat so viele Aspekte und so viele werden meines Eindrucks nach von der großen Politik ausgeblendet und dann damit schön geredet, dass es nur größere und spezialisiertere Zentren braucht.

  • sk 3. Februar 2023

    Darüber habe ich mich auch sehr geärgert.

    Ich denke hier auch an die vielen alten Paare, die ich kenne – seit Jahrzehnten zusammen, über 80, und dann wird einer krank. Die Fahrt in die Nachbarstadt kriegt man gerade noch so hin, ob mit dem Auto, dem Bus oder dem Taxi.
    Aber 60 km weit, als alter Mensch? Das schafft man mit dem Auto nicht mehr, mit dem öffentlichen Nahverkehr (falls vorhanden) müsste man x-mal umsteigen, und ein Taxi kostet für eine solche Strecke ein Vermögen.
    Dann liegt also ein Teil des alten Paares ganz allein in einem fremden, weit entfernten Krankenhaus, und der langjährige Partner kann ihn nicht besuchen. Und womöglich ist es der letzte Krankenhausaufenthalt, der Kranke stirbt, ganz allein, und der Partner ist nicht da.

    Ich wünsche mir so sehr, Politiker würden auch mal an den menschlichen Faktor denken und nicht immer nur an Effizienz und Geld. Dass vertraute Menschen öfters vorbeikommen können, trägt schließlich auch zur Genesung bei, nicht nur moderne Geräte und gut ausgebildetes Personal. Davon redet aber niemand.

  • Siewurdengelesen 3. Februar 2023

    Lucha redet hier lediglich den Krankenhausbetreibern das Wort.

    Für diese sind im inzwischen nahezu durchkommerzialisierten Gesundheitswesen große Zentren freilich lukrativer als verteilte Einzelstandorte und das nicht nur, weil sich dann das Personal besser binden und einsetzen lässt. Wen interessiert da schon der Patient, die Beschäftigten oder ein wenig persönliches Ambiente der kleineren Häuser?

    Hier wurden im Umfeld (ca. 100km Radius) mindestens 5 kleine Krankenhäuser geschlossen, zwei Entbindungsstationen ebenfalls inklusive der daran angeschlossenen Hebammenzentren und dafür alles auf einen immerhin noch kreisbetriebenen Krankenhausverbund von 3 Häusern plus 2 Großkliniken in der Kreisstadt konzentriert.

    Kurz nach dem Schließen der letzten städtischen Geburtsabteilung kamen bereits Beschwerden über das völlig unerwartete Überlasten der neuen Geburtsabteilung der Uniklinik – wer hätte es gedacht! Die unnötig verlängerten Anfahrten bei Besuchen und Notfällen sind dabei noch nicht einmal eingebunden.

    Solange das Gesundheitswesen in erster Linie dem Profit der Klinikbetreiber dient und dann noch wie alleine bei den Fallpauschalen eher unnötige, aber lukrative Behandlungen gefördert werden, wird sich daran nichts ändern, denn die öffentliche Hand hebt derweil die Hände und verweist auf die fehlenden Mittel, um diese Daseinsvorsorge zum Wohle der Bürger auszugleichen. Das dafür durchaus vorhandene Geld wird lieber unter weitestgehenden Entzug der Kontrolle über die Ausgaben für überteuerte Großprojekte, dem Pampern von Unternehmen und Rüstung versenkt.

  • Siewurdengelesen 9. Februar 2023

    Ein Beitrag des SWR findet sich heute dazu.

    Nur damit es nicht vergessen wird…

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