Hin und wieder verschlägt es mich beruflich in die Großstadt, diesmal war es einmal mehr München, und immer nehme ich mir vor, es in vollen Zügen zu genießen. Stattdessen leide ich in überfüllten U- und S-Bahnen.

Hochsommerlich schwitzende Haut an Haut, an meinen Schultern andrer Leuts wogender Busen, wahlweise spitze Ellenbogen in meinen Rippen, an jeder Station kommt Bewegung in die träge dampfende Masse, ein klebriges Geschiebe und Gedränge, hektisches Rempeln. Aus den Sitzbezügen im Waggon könnte man vermutlich eine Suppe kochen, und in den Bahnhöfen riecht es nach Urin und Kotze.

Vielleicht wäre es schlauer – und unserer Beziehung zuträglicher – , ich würde mich in Großstädten nur zu Fuß bewegen, zumindest würde es das Streß- und Aggressionslevel vor vornherein etwas runterschrauben. Ich werde darüber nachdenken. Allerdings heißen Großstädte nicht umsonst Großstädte, sie sind in der Regel äußerst groß, da könnte das mit dem Ausschließlich-zu-Fuß-gehen ein Problem werden, naja, Sie wissen schon.

Und a propos Kotze: München und ich, das ist ohnehin so ein Thema, jedes Mal (jedes!Mal!), wenn ich in der Weltstadt mit Herz ankomme, kotzt mir direkt irgendjemand vor die Füße, das passiert mir in keiner anderen Stadt in dieser Regelmäßigkeit. Auch diesmal war es so, ich verschone Sie an dieser Stelle mit Details. Hatte aber schon wieder die Schnauze voll, bevor ich überhaupt im Hotel angekommen war. (Vielleicht liegt das natürlich aber auch an mir, das fällt mir eben so ein, ich werde auch darüber selbstkritisch nachdenken müssen.)

Und doch gibt es Dinge, die ich sehr genieße in großen Städten, zuallererst sind da die Rolltreppen zu nennen. Ich lebe in einem der größten Landkreise in Baden-Württemberg, eintausendzweihundert Quadratkilometer groß, aber Rolltreppen? Fehlanzeige. Nach meinen Recherchen gibt es hier nicht eine einzige ernstzunehmende Rolltreppe, es ist zum Weinen.

So muß ich bei Aufenthalten in der großen Stadt also Rolltreppe fahren, bis der Arzt kommt, ich pfeife auch nach stundenlangem beruflichem Herumsitzen auf alle Gesundheits- und Fitness-Tipps und nutze jede Rolltreppe, die sich mir in den Weg stellt. Am liebsten würde ich mehrfach rauf und runter, rauf und runter, rauf und runter, aber was sollen denn die Leute denken. Ich möchte ja nicht als schrullige Alte erscheinen. Oder als piefige Landpomeranze, die ich aber inzwischen offenbar ohne Zweifel geworden bin.

Wenn ich nicht grade Rolltreppe fahre oder anderweitig beschäftigt bin, stehe ich an gigantischen Kreuzungen, glotze staunend dem tosenden Verkehr zu und versuche gleichzeitig, nicht von Radfahrern, E-Scootern oder anderen Fortbewegungsmitteln überfahren zu werden, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. So sehr glotze ich, dass der UPS-Lieferant in seiner Mini-LKW-Elektro-Rikscha mich anlacht und mir zuwinkt, das ist schön. Er hat mich vermutlich erkannt als das, was ich bin, siehe oben.

Bei allem Staunen, aller Überforderung bewege ich mich in anderen Momenten gleichsam traumwandlerisch sicher durch die Großstadt, 25 Jahre Berlin haben doch ihre Spuren hinterlassen, ich weiß mit dem brüllenden Junkie auf dem Bahnsteig umzugehen, erkenne vermeintliche oder tatsächliche Bedrohungen und Nervereien rechtzeitig, bewege mich wie ferngesteuert zielstrebig durch die Menschenmassen am Hauptbahnhof, während blöde Touristen dauernd und überall ratlos und rollkoffernd im Weg herumstehen. Komme mir aber gleichzeitig vor, als sei ich im falschen Film. Es ist verwirrend.

Jedenfalls bin ich nun drei Tage als sup-dupi Journalistin in der Großstadt unterwegs, übernachte in einem feinen Hotel, gebe tagsüber in einem äußerst schicken Bürogebäude das geballte Wissen meines bisherigen Berufslebens an die journalistische Nachwuchselite weiter, beim Mittagsessen Tisch an Tisch mit den großen Schreib-Vorbildern der Süddeutschen Zeitung, blablabla, undsoweiterundsoweiter. Bei der Rückfahrt mit der Bahn in der 1. Klasse fühle ich mich dann nochmal doppelt mondän.

Auf dem Küchentisch im klitzekleinen Dorf im Odenwald warten zwei gerupfte, frisch geschlachtete Hühner auf mich. Gleich nach der Ankunft am späten Abend fachmännisch zerlegen, einfrieren für Herbst und Winter. Daseinsvorsorge.

Prioritäten halt.

16 Kommentare zu “Einmal Großstadt und zurück.”

  1. Mach Dir nichts draus, ich bin ( nach 35 Jahren Italien )hier auch zur Landpomeranze geworden und fuehle mich manchmal ganz wohl dabei….. lol !!!

  2. Einmal Stuttgart und schnell, im Überschall, aus S21 zurück ins Ländle (the Länd“ zieht mir schon die Brustwarzen hoch! Aber Rolltreppen gibt es auch dort!! 50 Jahre Großstadt reichten uns, der „Max-Eyth-See in unserer direkten Nachbarschaft hat uns bestens versöhnt.
    Also Großstadt – nur wenn unvermeidbar!

  3. Kann einem doch Wurscht sein, als was die Leute einen gerade sehen, ich denk, die „sehen“ einen sowieso und eigentlich nicht. Und der Fahrer hat jeden Tag mit so viel mürrischen Menschen zu tun, die meckern, dass er sich über Dein offenes, freundliches Gesicht gefreut hat!
    Aber jetzt die andere Ruhe daheim genießen
    Liebe Grüße
    Nina

  4. Die Begeisterung für Rolltreppen kann ich gut verstehen. Als Kind habe ich mir immer vorgestellt, dass Erwachsen sein heißt, ich darf solange Rolltreppe fahren wie ich will.

  5. Das kenne ich sooooooo gut! Ich habe viele Jahre in Frankfurt gearbeitet und wohne jetzt in einem Kaff an der Ostsee. Hier gibt es nichts außer Möwen, Wind und Wellen und ich bin jeden Tag aufs Neue unendlich dankbar dafür.

    1. Interessant, ich wohne gegensätzlich, in den südtiroler Bergen mit 38 Mitbürgern und auf
      1300 m Meereshöhe. Was es allerdings gibt sind jede Menge Rindviecher ( 4 haxerd ) die auch Anspruch auf Betreuung haben in der Form von Sommerfrische auf 2000m.
      Für nix auf der Welt möchte ich tauschen, aber das Meer würde ich schon gerne auch einmal sehen.

  6. Zählt denn München schon als Großstadt??? Als Berlinerin darf ich das fragen ;)
    Verstehe ich total, mir gehen die vielen Menschen in der Hauptstadt inzwischen auch auf die Nerven. Viele Grüße in den Odenwald

  7. Wenn Sie wieder einmal nach München kommen, melden Sie sich bitte zwecks Kost und Logis. Und ich zeige Ihnen viele schöne Ecken ohne Kotzerei (die es in jeder Stadt gibt).

    1. Ich weiss in der Theorie, wie schön München ist, ich habe ja sogar mal ein Jahr dort verbracht, aber irgendwie kommen wir nicht zusammen. Vielleicht müsste ich wirklich mal als Touristin da hin.

  8. Wunderbar geschrieben. So gut, dass ich irgendwie dabei war. Nach Jahrzehnten des „mondänen“ Flughafen, Hotel, Meeting, Flughafen Rhythmuses, teile ich die unendliche Dankbarkeit meines Landleben Daseins 🙏🏽🥰☀️🌻. Würde auch für alle Rolltreppen dieser Welt nicht mehr tauschen, nehme am Liebsten die, die im Frankfurter Flughafen runter ins Parkhaus führt, um nach Hause zu fahren 🥰🌻☀️

  9. Wenn Sie noch bei der SZ sind, dann ganz liebe Grüße an Alexandra Föderl-Schmid (so Sie sie sehen!) Sie war meine heißgeliebte Chefin…..

  10. Wie gut kann ich das alles verstehen.
    Ich lebe in einer Kleinstadt mit 46 TSD. Einwohner, auch mit Rolltreppen ;-)
    Aber dem Himmel sei Dank wohne ich ruhig und etwas Abseits am Stadtrand, hie und da hört man, je nach Windrichtung, einen Hahn krähen.
    Stadtleben, nein Danke!
    Liebe Grüße

  11. Wie immer wunderbar geschrieben, zum Miterleben bestens geeignet. Sehr gerne gelesen!
    Nur vom Lesen über die „Vorzüge“ der Großstadt rotiert der Kopf und der Kopfdruck nimmt zu, ebenso steigen mir die beschriebenen „Düfte“ von Ausdünstungen und sonstigem Unangenehmen in die Nase.
    Wie gut, dass ich wieder im Odenwald mitlanden kann!

  12. Ich liebe den Geruch der U-Bahn. Das war schon als kleiner Teenager so. Der endlich aus der Allgäuer Provinz ins ferne München kam. Standartausflug der Schulen immer Besuch im Deutschen Museum. „Gähn“, ich habe es gehasst und habe echt Jahre gebraucht mich mit diesem wunderbaren Museum anzufreunden. Aber die U-Bahn die liebe ich… Großstadt Feeling – geht mir auch heute noch so. Endlich weg aus der Provinz und rein ins Großstadt Leben – einfach herrlich…

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