Wir sitzen beim Abendessen, es ist nach Acht, draußen ist es grau und naß. Es klingelt an der Tür. Das ist nun für hiesige Verhältnisse etwas ungewöhnlich, also öffne ich eher zögerlich die Haustür. Hier, von der Kirche, für Palmsonntag! sagt eine dünne Jungen-Stimme hinter einer FFP2-Maske, und ein Arm streckt mir schüchtern einen kleinen gebunden Strauß aus Buchs und Weidenkätzchen entgegen. Sowas haben wir in all den Jahren ja noch nie erlebt.
Nach der ersten, kurzen Überraschung greife ich reflexartig in die Hosentasche. Darf ich Dir dafür eine Spende mitgeben? Der Junge schüttelt den Kopf, nein, das gibt es so. In meinem protestantischen Hirn rotiert es, Palmsonntag, ja, kenne ich, weiß ich, Einzug in Jerusalem undsoweiter, Palmarum, naja, Sie wissen schon, aber puh, was hat es mit dem Sträußchen auf sich? Ich oute mich als äußerst un-katholisch. Das können Sie an die Wand hängen oder in eine Vase stellen, erklärt der Junge, nachdem er offenbar aus meinem Gesicht die geballte Ahnungslosigkeit herausgelesen hat, ich muß jetzt leider weiter, ich muß noch in die anderen Häuser.
Wir sind ganz furchtbar evangelisch, dürfen wir das Sträußchen trotzdem behalten?, frage ich noch reichlich dämlich, als er sich schon zum Gehen wendet. Na klar, antwortet er ganz ernst.
Wir machen uns erstmal schlau, was es eigentlich mit dem geweihten Palmstrauß im Detail auf sich hat, der Gatte schleppt die alten Brockhäuser herbei und lässt die dicken Schinken krachend auf den Esstisch fallen, ich fummle mich derweil durchs Internet. Das Essen wird kalt. Aber jetzt lesen wir, was wir vorher nur diffus wussten: Ein uralter Brauch aus dem 8. Jahrhundert, (Klick!) hier habe ich dazu allerlei Interessantes gefunden. Jedenfalls wird da irgendwo auch empfohlen, mit dem Palmstrauß in der Hand dreimal um das Haus zu gehen, um Blitz und Donner, Feuersbrünste, Krankheit und überhaupt alles Unglück fernzuhalten.
Ich werde das nun heute nacht mal machen, dreimal ums Haus stolpern mit dem Palmstrauß in der Hand. Um das Haus und um den Hühnerstall. Und dann vielleicht einfach weiterstolpern, um die gesamte Gemeinde und den ganzen Landkreis herum, um Baden-Württemberg herum, um ganz Deutschland, dann weiter um West- und Ost-Europa herum, so ein bißchen ellipsenförmig Richtung Osten werde ich mich halten, dann aber auch weiter, immer weiter, um diesen oder jenen Kontinent, ich werde das gesegnete Odenwälder Palmsträußchen in aller Welt schwenken und schwenken und inständig hoffen, dass es was hilft.
Vielen herzlichen Dank für die Aufklärung und sonntägliche Grüße aus der ebenfalls erz-evangelischen Nachbarschaft!
Danke! Lauf Friederike, lauf! Die Welt hat’s dringendst nötig!
Den Brauch gibt (gab) es auch im bayerischen Innviertel.
Ich war gestern mit Mutter (99) im Gottesdienst um den Buchs aus dem Garten segnen zu lassen. Jetzt stecke die Zweige überall auf dem Hof, im Haus, Scheune, Stall in einer Wandfuge oder hinter dem Elektrokabel. Die alten Zweige vom letzten Jahr habe ich gelassen. Man kann ja nie wissen…
Im oberbayerischen Dörfchen kurz vor der Zugspitze fand die Palmweihe heute ökumenisch und in Begleitung eines Esels statt. Hier werden nach ganz alter Tradition Palmbuschen mit buntem Krepp-Papier für den Herrgottswinkel in der Stube und große grüne Buschen auf langen Stecken für den Stall gebunden und gesegnet. Meine Buschen habe ich zufällig in einem Dorfladen entdeckt, der dort örtliche Kindergarten hat sie gemacht.
https://www.merkur.de/lokales/garmisch-partenkirchen/palmbuschen-segnung-am-sonntag-wegen-corona-ohne-glaeubige-13638711.html In diesem Artikel sind die Buschen schön zu sehen.
Wie schön wäre es, wenn der Glaube daran reichen würde, um die Menschen wieder zur Besinnung und zu Verstand zu bringen. Dankeschön für diesen Text. Ulrike
Wie haben das in der Küche hängen, das beschützt Euch das ganze Jahr über
vielen vielen Dank für deinen Einsatz, das ist ja mehr als nötig. Und wie mich dieses Bild tröstet und ermutigt. Danke. (am 15. August gibt es die nächste Gelegenheit, einen Schutzkranz zu binden bzw weihen zu lassen. Meine Mutter nannte ihn ‚Werzberschel‘, Ein Sträußchen aus Sommerblumen – und Kräutern, an Mariadings geweiht und dann im Stall oder Hergottseck aufgehängt. Im Odenwälder Freilichmuseum gab es früher Bindekurse. Ich befürchte, wir werden jeden Schutz gebrauchen können.)
Ein Brauch, wie ich ihn auch kenne. Mir ist der Palmbuschen auch eine Erinnerung an meine Kindheit. Ich finde es schön, an die „Magie“ des Verbindenden, Guten zu glauben. Und es ist doch der gleiche Gott, an den evangelische wie katholische Christen glauben. Der liebe Gott jedenfalls macht da hoffentlich überhaupt keinen Unterschied!
Eine wunderbare Begegnung jedenfalls und sehr berührend beschrieben!
Lasse liebe Grüße hier! C Stern