Ich habe dieser Tage in einer kleinen hölzernen Waldhütte Rast gemacht, und da einmal mehr festgestellt: Graffitis sind keine Erfindung unserer Zeit, und die unselige Angewohnheit, Lisa/Jaqueline/Erwin was here irgendwo einzuritzen, die gab es auch schon vor hundert Jahren. Wobei, was heißt eigentlich unselig: wenn man nur 80, 90 oder 100 Jahre wartet und die Einritzungen dann erst wieder betrachtet, haben sie ja durchaus historischen und spannenden Charakter.
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Neulich im Städtchen, im Café sitzen am Nebentisch zwei elegant gekleidete Frauen und ein schlaksiger Teenager, sie bestellen halb mit Händen und Füßen und halb auf gebrochenem Englisch mit russischem Akzent, dann sitzen sie beisammen und starren schweigend erst auf den Tisch, dann in ihre Kaffeetassen. Erst beim Hinausgehen dämmert mir, dass das vielleicht kein russischer, sondern ein ukrainischer Akzent war. Dass der Krieg längst auch im Odenwald angekommen ist.
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Heute früh im anderen Städtchen, eben hat der arabische Händler gegenüber von meinem Büro seinen Laden aufgeschlossen und die Obst- und Gemüsekisten vor die Tür gestellt. Ein älterer Mann lotst mit den Armen eine Frau und drei Kinder in Richtung des Ladens, er baut sich vor den Obst- und Gemüskisten auf, zeigt auf die Äpfel und sagt Äpfel! Die Frau wiederholt, Äpfel!, dann geht es weiter, Zwiebeln! sagt der Herr laut und zeigt auf die Zwiebeln, Zwiebel! antwortet eines der Kinder. Ich schließe das Bürofenster, vor lauter Sorge, ich könnte losflennen, aus den verschiedensten Gründen.
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In einem der Lieblings-Restaurants mit der Chefin geplaudert. Freunde und Verwandte von ihr sind gebürtig aus Kasachstan, leben seit Jahren und Jahrzehnten in Deutschland, aber jetzt sind das alles plötzlich Russen, sagt sie, dabei haben die nie etwas mit Russland, nie etwas mit Putin am Hut gehabt. Müssten sich trotzdem dauernd rechtfertigen, dauernd erklären.
Ob ich eine Quelle für Sonnenblumen- oder Frittier-Öl hätte, irgendeinen Geheimtipp vielleicht, fragt sie mich zum Schluß. Wenn das so weitergeht, gibts ab nächster Woche keine panierten Schnitzel mehr, und keine Pommes, sagt sie, nirgendwo sei das entsprechende Öl aufzutreiben, nicht mal in den Großmärkten. Eigentlich müsste doch spätestens das die Menschen in Deutschland aufrütteln und auf die Straße treiben, witzeln wir ein bißchen sparsam, eigentlich müsste doch spätestens dieser Umstand den Politikern Beine machen in diesen unseligen Zeiten: dass es ab nächster Woche keine Pommes mehr gibt. Wir lachen etwas gequält.
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Die fußballbegeisterten Teile der Region sind in heller Aufregung, und endlich ist es mal etwas Erfreuliches: Die Amateur-Kicker im kleinen Nachbardorf empfangen am kommenden Samstag die Profis vom großen SV Waldhof, und das ist zumindest bis zum Anpfiff ausgesprochen erfreulich und aufregend. Sowas hat es ja noch nie gegeben.
Wie es dann nach 90 Minten Spielzeit aussieht, nun ja, das wird man abwarten müssen, ob das dann immernoch erfreulich ist, aber Alles unter zweistellig ist ein Erfolg, sagen die vom SV Wagenschwend. Wenn Sie das genauer wissen wollen, bitte sehr, (Klick!) hier gibt es einen Artikel und ein kleines Video beim SWR dazu, da wird Ihnen geholfen.
Jedenfalls macht sich der Sportplatz zwischen Wiesen und Äckern grade schick für den Ansturm von bis zu 2000 Fans, davon viele aus Mannheim, na, das kann ja was werden. Der SV Wagenschwend hat mich gebeten, diesen historischen Nachmittag rund um das Jahrhundertspiel fotografisch zu dokumentieren, ich bin geehrt und mache das natürlich gerne. Und was das Ergebnis angeht: Bleiben Sie dran, wir halten Sie auf dem Laufenden. David gegen Goliath und so, kennt man ja, die Geschichte, und am Ende hat der Winzling dann sogar gewonnen. Man wird ja wohl noch hoffen dürfen.
…bin einmal mehr begeistert von der Fähigkeit, große historische Sachverhalte in ihren Wirkungen auf die einzelne Person im Alltag anrührend und dennoch sachlich zu vermitteln — Chapeau!