Stellen Sie sich mal vor, es verginge ein Tag, ein einziger nur, ohne dass man was Neues dazulernt. Ja, davon träume ich manchmal. Ach, das müsste schön sein, mal 24 Stunden, ohne dass das Hirn wieder irgendwas verarbeiten muss. Für meine freien Tage nehme ich mir manchmal sowas vor, das Hirn braucht schließlich auch mal eine Pause. Ist aber leider essig auf dem Lande, dauernd gibt es was zu erfahren, zu erforschen, zu entdecken, immer wieder stolpere ich über Themen, die mir komplett neu sind, wo ich dann eben doch wieder das Doofchen aus der Großstadt bin, naja, Sie wissen schon.

Jedenfalls habe ich mich an meinem freien Tag, als eigentlich das Hirn auslüften sollte, mit dem Thema Brieftauben auseinandergesetzt, eine wahrhaft spannende Thematik, wie sich alsbald herausstellen sollte. Freier Tag hin, Hirn-Lüftung her: Vor der Haustür saß eine Taube auf dem Gehweg, und sehr frisch und munter sah sie nicht aus. Sie tippelte da schon seit dem Vortag herum, berichteten andere Anwohner, an Fliegen war wohl nicht zu denken, allenfalls an hysterisches Flattern. Was nun zu unternehmen sei mit dem armen Tier, darüber herrschte allgemeine Ratlosigkeit. Ich stellte erstmal etwas Trinkwasser zur Verfügung, davon trank sie gierig.

Ich nahm die vielgescholtenen Sozialen Netzwerke zu Hilfe und bat bei Twitter um Unterstützung. In Minutenfrist schickte mir jemand einen Link zu einem Nachschlagewerk, das ich mir sogleich für ähnliche Zwecke auf den Rechner downloadete. Es handelt sich hierbei um die deutschlandweite Liste der Brieftaubenzuchtvereins-Vertrauensleute, geordnet nach Postleitzahlen. Man sollte solche Listen immer griffbereit haben, wer weiß, wozu man sie noch brauchen kann. Es stellte sich heraus, dass einer der Brieftaubenzuchtvereinsvertrauensmänner nur ein paar Dörfer weiter wohnt, ihn rief ich über die hinterlegte Handynummer an und schilderte ihm den Fall.

Ganz einfach, sagte er ins Telefon, Sie fangen die Taube ganz einfach und rufen die Telefonnummer an, die auf dem Ring ums Bein steht. Gegebenenfalls würde er selbstverständlich auch vorbeikommen und helfen. Ob ich das könne, eine Taube fangen? Ja, aber klar!, hörte ich mich großspurig behaupten, ich kann ja auch Hühner fangen! Dass ich Hühner nur dann fangen kann, wenn es stockfinstre Nacht ist und die lieben nachtblinden Hühner reglos schlafend auf der Stange sitzen, ließ ich unerwähnt. Ebenso unerwähnt ließ ich, dass ich nichts gräßlicher finde als hysterisches Geflatter in unmittelbarer Nähe meines Kopfes, meines Körpers.

Jedenfalls verbrachte ich die nächste halbe Stunde damit, leicht angespannt neben der tippelnden Taube herzutippeln, ich verfolgte sie mit schweissnassen Händen die Straße rauf, die Straße runter, ich lotste sie hierhin und dahin, ich redete vor mich hin, sprach ihr (und mir) gut zu und bückte mich hin und wieder zu ihr herunter. Die Nachbarn hielten mich vermutlich für endgültig durchgeknallt werden sich ihren Teil gedacht haben. Irgendwann war ich ihr nah genug, und zack! mit einer blitzartigen Bewegung hatte ich sie gepackt und in einen Pappkarton verfrachtet. Uff.

Dank der Telefonnummer auf dem Ring am Fuß war der Taubenzüchter schnell gefunden, er kam wenig später, um die müde Taube abzuholen. Etliche seien ihm bei einem Flug Tage zuvor abhanden gekommen, er freute sich sichtlich über das Wiedersehen und die glückliche Heimkehr. Wie haben Sie die denn gefangen?, fragte er, ich meinte, eine kleine ungläubige Bewunderung herauszuhören, setzte mein Pokerface auf (oder das, was ich dafür halte) und antwortete maximal lässig, naja, halt einfach zack, gepackt, gefangen, ist doch ganz easy.

Ich lernte in diesem Zusammenhang, dass manche Züchter eine verlorengegangene Taube gar nicht wiederhaben möchten, wer will sich schon Umstände machen wegen einem Looser, der nicht mal mehr allein nach Hause findet? Dass man eine Brieftaube aber nicht einfach aussetzen und fliegen lassen kann, sie ist gewöhnt, ihr Fressen serviert zu bekommen und fände sich in freier Wildbahn erstmal nicht zurecht. Ich lernte auch, dass für gute Brieftauben bis zu fünfstellige Summen bezahlt werden und dass die Chinesen und die Araber ganz wild auf Brieftauben und Wettflüge sind und Tauben kaufen, dass es grad so kracht.

Ein Bekannter habe gar sein solides Handwerk an den Nagel gehängt und sei von Deutschland in die Emirate gezogen, um hier in Taubenzucht zu machen, für allerlei wohlhabende Scheichs, schaffe muss der ansonsten nix mehr, sagte der Züchter.

Also, wieder was gelernt, wieder mal einen Einblick in eine andere Welt bekommen, außerdem einen Taubenzüchter kennengelernt und einen hilfsbereiten Taubenzüchtervereinsvertrauensmann. Dabei wollte ich doch einfach mal 24 Stunden gar nichts lernen, sondern einfach nur das Hirn auslüften. Naja, Sie wissen schon.

3 Kommentare zu “Tauben fangen.”

  1. Einfach großartig, diese Lektüre am frühen Samstagmorgen !
    Danke dafür und natürlich auch für die Brieftauben-Rettung… sollte ich je einer begegnen,
    weiß ich nun was zu tun ist ;-)
    ♥liche Grüße

  2. Moin, ja, wenn das eine wirkliche Rettung ist – toll. Doch mein Mann behauptet (sein Großvater war Taubenzüchter), dass eine Taube die nicht nach Hause findet, im Kochtopf landet. Sie ist für einen Züchter wertlos und ein nutzloser Fresser.
    Vielleicht haben sich da inzwischen die Zeiten geändert? Es wäre zu schön!
    Liebe Grüße, Juliane

  3. Ich hatte mit sowas auch schon einzweidreimal zu tun. Mir hat ein Züchter erklärt, dass die Taube schon sehr wohl in der Lage ist, heimzufinden – nur ist sie zu erschöpft. Sonst würde sie ja auch nicht am Boden herumtippeln. Dass sie erschöpft ist wiederum kann Ursachen haben, die sie nicht zu verantworten hat. Ein Sturm oder ein Raubvogel zum Beispiel. Da relativiert sich das mit dem Loser schon wieder, finde ich.

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