Durch den matschigen Wald gestolpert und wieder mal darüber nachgedacht, wie privilegiert wir hier auf dem Lande leben. Die Corona-Zahlen steigen und steigen, aber ich kann nicht behaupten, dass ich mich in meinem Bewegungsradius schwer eingeschränkt oder bedrängt fühle. Doch: die Begegnungen mit Freunden fehlen, die Unbeschwertheit. Das ist so gesehen ja Bedrängung genug.
Demnächst droht eine nächtliche Ausgangssperre, ob das nun in der tiefen Stille des nordbadischen Hinterlandes ein probates Mittel ist, die Pandemie in den Griff zu bekommen: keine Ahnung. Ist auch müßig, darüber nachzudenken, es kommt, wie es kommt. Ich werde es nicht ändern. Ich will auch nicht dauernd über das doofe Virus nachdenken, es macht mich ganz mürbe. Reicht ja, wenn es im Wald matschig ist. Müssen nicht auch noch Herz und Hirn matschig werden.
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Wenn wir schon nicht dauernd über das doofe Virus diskutieren wollen am Esstisch, und auch nicht ständig über Kant und Hegel reden können, haben wir uns dieser Tage über die Müllabfuhr unterhalten. Ja, da staunen Sie! Ich staune auch. Erfahre ich doch bei dieser Gelegenheit, dass es hier in den Dörfern eine organisiert-motorisierte Müllabfuhr offenbar überhaupt erst seit der legendären Kreisreform Anfang der Siebziger Jahre gibt. Und davor? Hatte man keinen Müll, sagt der Freund aus dem Nachbardorf. Was problemlos brannte, kam in den Kamin oder auf eine Art Scheiterhaufen. Der Rest wurde irgendwo auf dem Hof gelagert und ein- oder zweimal im Jahr in den Wald gefahren. Mit dem Bollerwagen, dem Ochsen- oder Pferdegespann.
Im Wald gab es ein paar Bombenkrater, tiefe Löcher, in die alles hineinversenkt wurde, was sich so angesammelt hatte und nicht mehr zu verwenden und zu reparieren war. Olles, unbrauchbares Metall, Küchengeschirr, Ölreste, ganze Autos. Wo ich morgens manchmal mit Frau Lieselotte laufe, dürften noch ein paar Fahrzeuge in der Erde schlummern. Ich stelle mir vor, wie eines Tages Archäologen darauf stoßen. Oder ich buddle da selber mal. Noch besser: ich lasse buddeln, Frau Lieselotte macht das sicher gerne.
Ich selber kann mich im Übrigen an gar nichts anderes erinnern als an die brüllenden Müllfahrzeuge, die unser Berliner Mietshaus allwöchentlich ansteuerten. Die metallenen Mülltonnen standen im Hinterhof und mussten durch den Keller hinaus auf die Straße transportiert werden, sechs oder acht Stück an der Zahl. Die Müllmänner trugen riesige Handschuhe, wie mir damals schien, und sie legten ihre ebenso riesigen Pranken auf einen Knauf auf dem Deckel der Tonne, brachten die Tonne dann in eine Schräglage und rollerten sie elegant, aber lärmend neben sich her über den steinernen Kellerfußboden. Eine Fertigkeit, die uns Kinder im Haus schwer beeindruckte, und manchmal versuchten wir das auch: Tonne anpacken, schieflegen, losrollern. Leider ging das meistens daneben, die Tonnen krachten mit ohrenbetäubendem Rumms auf den Kellerboden, der ganze stinkende, staubende Inhalt kullerte raus, und – naja, lassen wir das.
Also, Sie sehen, das Thema ist hochinteressant, und wenn Sie mal in die Geschichte der Müllabfuhr so ganz generell einsteigen möchten, bitte sehr, (Klick!) hier können Sie damit anfangen. Allemal besser als ewiges, blödes Virus.
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Ich habe mich, erst privat, dann dienstlich, mit Supermarktverkäuferinnen unterhalten. Darüber, wie sie diese Zeiten erleben. Immer vorne an der Konsumfront, immer im Gedränge, immer ohne frische Luft. Und immer öfter mit Kunden, die nörgelig, maulig, nervös, ungehalten bis unverschämt sind. Die Nerven liegen blank, das merken die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Supermarkt vielleicht wie kaum eine andere Berufsgruppe. Je unfreundlicher der Kunde wird, umso freundlicher werde ich, sagt die Frau hinter der Metzgerei-Theke, es ist wie eine Art Selbstschutz. Was meine Leute hier täglich aushalten müssen, ist schon ganz schön arg, sagt die Chefin, die doch sonst immer wirkt, als könne sie so gar nichts aus der guten Laune bringen. Ich denke bei mir: Hallooo? Oder etwas deutlicher formuliert: Seien! Sie! Nett! Zu! Verkaufspersonal! Echt jetzt. Die sorgen immerhin dafür, das wir was zu essen und zu trinken haben, also bitte.
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Wenn Sie waschechter Badener sind (im Gegensatz zu mir), dann kennen Sie ja sicher das badische Wappentier (im Gegensatz zu mir). Wobei der Greif ja jetzt nicht so wirklich ein Tier ist, wie ein Elefant oder eine Giraffe, die man im Zoo begucken könnte. Der Greif ist ja ein Fabelwesen, eine etwas wüste und eher unsympathisch anmutende Mischung aus Vogel und Löwe.
Ich habe ihn erst jüngst kennengelernt, als ich in Baden mal wieder einen Podcast für die Freie Universität Berlin sprechen durfte, und mir also Berliner Wissenschaftler erklärten, was es mit dem badischen Wappen-Greif so auf sich hat. Können Sie folgen? Durch die Brust ins Auge, sozusagen, aber ich habe wieder was gelernt, das ist ja mal die Hauptsache. Wenn Sie mal ein Stündchen Zeit haben, und Lust auf einen Wissenschaftspodcast über Wissensgeschichte, dann hören Sie mal (Klick!) hier rein, da lernen Sie den Greifen näher kennen, und noch allerlei mehr. Was den Greif allerdings als badisches Wappentier qualifiziert, bleibt unklar. Ich werde da mal nachfragen müssen.
Den Gedanken an und über die Verkäuferinnen und Verkäufer im Super- und anderen Märkten hatten meine Frau und ich erst heute wieder. Wenn einen selbst schon merkwürdig zumute ist beim Zusammensein mit vielen Menschen auf beschränktem Raum, wie muss es denen ergehen, die jeden Tag diesen Druck und dieses Gefühl von Berufs wegen auf sich nehmen?
Die Frau eines Kollegen ist jüngst erst positiv getestet worden und hat sich sehr wahrscheinlich auch auf Arbeit im Supermarkt infiziert. Mir schwant, dass sie nicht die Einzige ist. Andernorts spielt man bereits mit der Option, positiv getestete Pflegekräfte weiter arbeiten zu lassen auf den Stationen.
Naja – wir lassen das Fest des Friedens und der Freude auf uns zukommen und geniessen weiter die zwangsweise „ruhige“ Zeit. Zumindest mir geht der Stoff und die Arbeit nicht aus und die „Knipse“ gibt´s ja auch noch.