Ein Ausflugstipp

15. Juli 2020

Also, unter uns: Der Geschichtsunterricht damals in der Schule in Berlin, das ist so ziemlich das langweiligste, woran ich mich überhaupt in meinem Leben erinnern kann. Herr Dr. Melzer sprang auf langen dürren Beinen vor der Tafel herum, er skizzierte mit langen dürren Armen und einem Stück Kreide irgendwelche Völkerwanderungen oder Schlachtverläufe, und er war bei alledem extrem begeistert. Deswegen erinnere ich mich auch so lebhaft. Nur irgendwie vermochte er die Begeisterung nicht rüberzubringen, also mir jedenfalls nicht. Nichts konnte ich mir merken, nichts interessierte mich.

Ich bin da eher so der Typ fürs Anschauliche, und vielleicht ist Reenactment für mich erfunden worden, diese Nachstellung historischer Begebenheiten in möglichst authentischer Form. (Klick!) Hier können Sie nochmal genau nachlesen, was es damit auf sich hat. Manche Historiker rümpfen über diese Art der Geschichtsvermitlung die Nase, aber für mich passt das ganz gut.

Und ausserdem fasziniert mich die Frage, was Menschen heutzutage dazu bringt, sich regelmäßig mit Haut und Haar, und mit Klamotten und Utensilien in eine längst vergangene Zeit zurückzubeamen. Mit teilweise historischer Akribie und Detailverliebtheit. Da wird der Atomphysiker zum germanischen Krieger, die feministische Stadträtin zum Heimchen am römischen Herd, der Bankangestellte zum Bauern im Dreißigjährigen Krieg. Alles nur vorübergehend, aber mit großem Engagement und jeder Menge Hintergrundwissen.

Also, wie dem auch sei, ich wollte Ihnen doch einen Ausflugstipp geben: Im Odenwälder Freilandmuseum Gottersdorf können Sie noch bis inklusive Sonntag eine solche Reenactment-Truppe erleben, die be-leben das Museum, sie haben es sich in einem Haus gemütlich gemacht und leben dort haargenau so, wie man es in den 50er Jahren auf dem Lande tat.

Ausserdem machen sie sich bei jedem Aufenthalt im Gelände nützlich, letztes Jahr haben sie Fensterrahmen gestrichen, dieses Mal reparieren sie irgendeinen uralten Traktor, wenn ich das richtig verstanden habe. Natürlich nur die Männer. Die Frauen kochen Marmelade, machen die Wäsche, putzen das Haus. Wir sind ja schließlich mitten in den Fuffzigern. Und die Museumsbesucher können bei alldem zuschauen, Fragen stellen, viel lernen, über eine Zeit, die noch gar nicht so lange her – und doch so fremd ist.

Alle Fotos: Daniela Arnold/Freilandmuseum Gottersdorf

Ich kenne die Truppe bereits, war aber aktuell noch nicht wieder im Museum, um ein bißchen mit ihnen zu plaudern. Nette Leute sind das, und ja, ich bin der Meinung, Sie sollten da mal hingehen, wenn Sie irgendwann bis Sonntag inklusive Zeit haben. Auf der Website des Museums steht noch nichts dazu, es war wohl eine ziemlich spontane Aktion, und nun sind die Leute einfach da und leben bis zum Wochenende in Gottersdorf. Und weil ich selber noch nicht da war, schmücke ich diesen Beitrag mit fremden Federn: Das Freilandmuseum war so nett, mir die großartigen Fotos von Daniela Arnold zu überlassen, die gestern oder heute entstanden sind. Also: hingehen! Eintauchen in eine andere Welt, in eine andere Zeit.

Das Freilandmuseum in Gottersdorf bei Walldürn hat dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, die Reenactment-Gruppe ist noch bis inklusive Sonntag vor Ort.

  • 7 Kommentare
  • Astridka 16. Juli 2020

    Irgendwie ist es so, wie es war und doch irgendwie nicht, hab ich die Zeit ja miterlebt. Ich glaub, die Farben der Stoffe sind zu farbig, ich hab alles so verwaschener in Erinnerung. ? Wär auch nicht die Zeit, in die ich noch mal zurückversetzt werden wollte. – Schade, dass Geschichtsunterricht manchmal so abtörnend ist! In der Grundschule konnte man das sehr viel lebensnaher gestalten und an den Fragen und Interessen der Kinder dran bleiben. Es ist toll, dass es solche Museen wie Gottersdorf gibt, die einen Eindruck geben, wie die allermeisten Menschen früher gelebt haben. Meine Schüler waren immer höchst interessiert beim Besuch des rheinischen Pendants zu Gottersdorf ( Kommern ). Ich weiß natürlich nicht, wie & was in Erinnerung geblieben ist ( hoffentlich kein Dr. Melzer ).
    Alles Liebe!
    Astrid
    P.S. Es existiert ein Foto wie meine Tochter im weißen Kleid vor dem blauen Haus Mist gabelt ?

  • Maritta Kuhn 16. Juli 2020

    Unbedingt muß man das Freilandmuseum besuchen, wir waren als Gruppe am vergangen Samstag da und haben das Bofsheimer Bauernhaus bespielt. wir stellen das Jahr 1890-1910 da. Es hat richtig Spaß gemacht. Im August um den 22.08. sind wir wieder dort und wollen den Backofen anheizen.

  • Provinzei 16. Juli 2020

    Na ja…jetzt zerstöre ich mal diese heile Welt.
    Wenn ich die Typen mit ihren Wehrmachtsmützen sehe, das Design ist nun mal orginär von dieser Organisation, will ich das nicht sehen.
    Natürlich haben die Männer damals diese Mützen getragen, waren ja genug übrig, sonst war ja nix da, OK. Und auf alten Fotos sieht man tatsächlich ständig die Dinger, aber 10 Jahre vorher auch.
    Haben die das damals getragen weil nichts anderes da war oder war/ist das ein Statement ??
    Na ja, schon Bruno Labbadia sagte mal, mal solle nicht alles so hochserilisieren.

    • LandLebenBlog 16. Juli 2020

      Ich glaube, da gehts gar nicht um heile Welt, sondern einfach tatsächlich um möglichst authentische Darstellung. Im Freilandmuseum gibts auch eine Gruppe, die einmal im Jahr die Besetzung des Dorfes durch die amerikanischen Truppen darstellt, das ist auch weit entfernt von heiler Welt. Aber ich verstehe Deinen Ansatz.

    • Uwe Klein 24. Juli 2020

      Nein…..das tragen dieser Mützen ist KEIN irgendwie geartetes Politisches Statement….hier geht es rein um die korrekte Darstellung der Zeit , und auf Nachfrage erfährt gerne ein jeder Besucher das es diese Kopfbedeckungen bis in die 80er Jahre hinein bei jedem Raiffeisenmarkt oder ähnlichen Geschäften noch zu kaufen gab. Einen schönen Gruß auch von einem der ” Typen “

  • Hauptschulblues 16. Juli 2020

    Schade, dass H. so weit weg wohnt.

  • Dirk Ingo Franke 17. Juli 2020

    Ich hatte Berlin-Reenactment als Geschichtsunterricht. Herr Weber, der in Nachkriegswirren ein Geschichtslehrer-Jodeldiplom abgelegt und über Schuljahrzehnte jegliche Motivation verloren hatte, verbrachte jegliche Geschichtsstunde damit uns eine von drei Stories aus seiner frühen Jugend, Berlin 1945, vorzuführen. Über den Verlauf von zwei Jahren auch nicht das Gelbe vom Ei.

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