Gardinenpredigt.

27. Juni 2019

Ich war dieser Tage bei den Freunden auf dem Aussiedlerhof, es war ein schöner Sommerabend, am Himmel lachten der Mond und die Sterne, im Stall gegenüber muhten und schnauften die Kühe, ein leichter Wind wehte den Geruch von gemähten Wiesen und staubigem Waldboden heran, und über allem hing eine friedliche Ruhe.

Aber natürlich täuschte die Bilderbuch-Idylle, aber sowas von, denn es brauchte auch hier wieder nur ein paar Minuten, dann saßen, Zack!, zwischen Wein- und Wassergläsern, zwischen Salat und Salzstreuer die Hetzer und die Pöbler mit am Tisch, die Aufmärsche, die Fahnen und die Springerstiefel, die Rechtsextremisten, die Anschläge, das Entsetzen und die Angst. Der Herr Lübcke saß auch mit am Tisch, und mit ihm all die anderen Opfer rechten Terrors in diesem Lande. Unser ungläubiges Kopfschütteln, unsere Rat- und unsere Sprachlosigkeit.

Ein Symbolfoto. Bei Waldhausen.

Ach!, seufzte ich in die Fassungslosigkeit hinein, – ich seufze das immer, wenn ich nicht mehr weiterweiß -, ach, was soll man denn machen, was soll man denn tun?. Dann wurde das Essen aufgetragen, wir versanken eine Weile in gefräßiges Schweigen, wie meine Urgroßmutter zu sagen pflegte, und wechselten danach nur allzu gerne das Thema.

Heute nun ist Donnerstag. #DonnerstagDerDemokratie, hat unser Aussenminister uns ans Herz gelegt. Eine Aktion, mit denen wir all jenen Mut machen sollen, denen die Hetzer Angst einjagen wollen. Die Kommunalpolitiker und die Ehrenamtlichen, und die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker, die sollen wir ins Rampenlicht stellen. Ihr seid für uns da, wir sind für Euch da.

Erst fand ich das ein bisschen albern, zugegeben. Aber je länger ich darüber nachdenke, umso besser gefällt mir der Gedanke. Nicht zuletzt, nachdem ich dieser Tage in den Nachrichten hörte, dass immer mehr auch Lokalpolitiker Zielscheibe von Hetzern werden. Die Droh-Mail, der Droh-Brief – das gehört offenbar selbst für die da unten inzwischen schon zum täglichen Geschäft.

Die da unten. Die vor Ort. Die wir brauchen, und die uns brauchen. Klingt ja sehr pathetisch, ist aber wohl wahr. Ich denke an die vielen kleinen Bürgermeister (und die paar Bürgermeisterinnen hierzulande) in ihren klitzekleinen Rathäusern (wenn ich das so sagen darf, als arrogante Berlinerin, naja, Sie wissen schon), in ihren Amtsstuben, die nicht selten noch den modrigen Charme der 60er und 70er verströmen. Mit einer Handvoll Mitarbeiter und für vergleichsweise moderates Gehalt reißen sie sich jeden Tag den Arsch auf, Sie verzeihen das Kraftwort, aber man kann es gar nicht anders sagen. Wenn die da oben Mist bauen, machtgeil an ihren Stühlen kleben, mit Lobbyisten kuscheln, dann müssen die da unten es auch immer mit ausbaden.

Die haben Ideale von einer besseren Welt, von einer funktionierenden Gemeinschaft, von einem guten Miteinander. Viele von denen sind so bodenständig, die nehmen das mit dem christlich und dem demokratisch im Namen ihrer (hier beherrschenden) Partei noch ausgesprochen ernst. Die planen und entwickeln, die hören sich um und hören zu, die sitzen am Stammtisch, die vermitteln, schlichten und versöhnen.

Sie kümmern sich um Kläranlagen und um Kindergärten, um Laternen und Latrinen, um Bauanträge, Bürgersteige, Nahversorgung, Grundversorgung, Einzelhandel und Verkehr. Um Kneippbecken und Grünanlagen. Um Flüchtlinge, Glasfaser und Gewerbesteuer, um Friedhof und um Leichenhalle, um Spielplätze, Hundekot und Gülle.

Und noch eines zeichnet die braven Bürgermeister hierzulande aus. Sie treffen ihre Wähler und auch ihre Gegner täglich, und das ist in Zeiten der offenbar allgemeinen Verrohung auch nur noch so halb-lustig. Beim Bäcker treffen sie ihre Freunde und ihre Feinde, beim Metzger sowieso, dazu beim Vereinsfest, bei der Züchterschau, beim Jubiläumsturnen der Damengymnastikgruppe, beim Geburtstag des Pfarrers, bei der Blasmusik, beim Chorfest, auf dem Sportplatz. Überall dort, wo Bürgermeister semi-freiwillig ihre Abende und ihre Wochenenden verbringen, während unsereiner auf dem Sofa hockt und in die Glotze glotzt und über die da oben schimpft oder ratlos auf das Weltgeschehen schaut.

Von Ortschafts- und Gemeinderäten will ich da noch gar nicht reden, von all jenen, die das auch noch ehrenamtlich machen, sich zur Wahl stellen und dabei riskieren, abgewatscht zu werden, dann Akten wälzen, Sitzungen absitzen, sich sehen lassen, sich womöglich beschimpfen lassen, via facebook oder auf offener Straße. Und glauben Sie mir: Ein übler shitstorm, der aber nur in Hinterposemuckel und den umliegenden Dörfern stattfindet, kann auch sehr ätzend sein. Alles eine Frage der Relation.

Würde ich Bürgermeisterin sein wollen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eins: Die Leute haben unseren Respekt und unsere Unterstützung verdient, und ich fürchte, ich meine das ganz ernst. Wenn Ihnen das nicht passt, was die da machen in ihren kleinen Rathäusern, auf Bürgerversammlungen oder im Gemeinderat: von mir aus, empören Sie sich. Und dann engagieren Sie sich gefälligst. Mikrokosmos im Makrokosmos, Sie wissen schon. Vor Ort. Da, wo man was ändern kann. Kann man, glauben Sie mir. Möglichkeiten gibts genug, nun stellen Sie sich nicht so an. Ortschaftsrat, Gemeinderat, Kirche, Vereine, Sie werden schon was finden. Auf jeden Fall engagierte, motivierte Mitstreiter, die es nicht nötig haben, anonym oder ganz offen Gift in die Tastatur ihres Computers zu pumpen und mit Mord und Totschlag zu drohen. Um sich dabei stark und groß zu fühlen.

Liest man die Kommentarspalten in den Sozialen Netzwerken, oder auch in der Tageszeitung, dann könnte man meinen, es gäbe derzeit rund 82 Millionen Spitzenpolitiker, die in Deutschland mitreden, mitmaulen und mitregieren wollen, und die natürlich alles besser machen würden. Na, dann machen Sie auch wirklich mal. Ehrlich. Einfach machen. Zeigen Sie den Hetzern und den Giftspritzen, wo das Herz dieses Landes schlägt.

Botschaft angekommen?

Bitte. Danke. Ende der Gardinenpredigt.

Diese Gardinenpredigt habe ich vor einigen Monaten schon mal in ähnlicher Form gehalten. Ich dachte, es sei Zeit, sie nocheinmal hervorzuholen. Danke, dass Sie bis hierhin durchgehalten haben. 

  • 16 Kommentare
  • Mechthilde Vahsen 25. September 2018

    Klasse. Genau so. Mache ich seit über dreißig Jahren. Und ja: nutzt was. Jeden Tag.

  • Anne de Vries 25. September 2018

    Ganz große Klasse!! Hut ab vor diesem Text! Und natürlich der Schreiberin!
    Da sind auch mal drei Ausrufezeichen nötig.

  • Sabine 25. September 2018

    Sehr gut! Genau so muss es sein: nicht meckern, einfach selber machen!!!

  • Rosi 25. September 2018

    dem ist gar nichts hinzuzufügen ..
    meckern ist ja so einfach
    da muss man den Hintern nicht hochbekommen
    selber machen und schauen ob man es besser kann ;)

    toller Beitrag

    liebe Grüße
    Rosi

  • Astridka 25. September 2018

    Zapperment! Jetzt hast du es den 82 Millionen mal wieder gegeben! Weiter so!
    Gute Nacht!
    Astrid

  • Michael K. Hahl 26. September 2018

    Besser: Mikrokosmos UND Makrokosmos.

    • LandLebenBlog 26. September 2018

      Richtig!

  • at 27. September 2018

    Als jemand, der das in einer Großstadt und in einer Metropolregion ehrenamtlich macht, finde ich diese Aufforderung naiv. Grundsätzlich würde es mir schon genügen, wenn mehr Menschen mehr als nur die Überschriften läsen, bevor sie sich zu etwas äußern. Oder wenn sie ein grundsätzliches Verständnis für Zusammenhänge, Interessen und Kompromisse jenseits von Verschwörungstheorien entwickelten. Oder einfach mehr gute Fragen stellten.
    Die Funktionsweise von Parteien und Verwaltung macht das effektive Mitmachen schwer und die unehrliche Finanzierung der Parteien durch Abgaben auch der kommunalen Mandatsträger erschwert das Etablieren von neuen. Daran dürfte sich einerseits gern etwas ändern. andererseits hat ein selbststabilisierendes System ja auch seine Vorteile, gerade in Zeiten zunehmenden Extremismusses.
    Und etwas mehr Interesse der Medien jenseits von Bratwurstjournalismus, PR und skandalträchtiger Schlagzeilen könnte in vielen Regionen auch nicht schaden. Zumindest dort, wo es noch Redaktionen gibt.
    Es darf sich also gern jeder an die eigene Nase fassen, aber einfach machen führt nur zu Frust oder Verrat an den eigenen noblen Zielen.

    • LandLebenBlog 28. September 2018

      Ich kann da nichts Naives erkennen. Zumindest hier auf dem Land ist das nicht naiv, sondern tägliche Praxis. Weil hier aber natürlich auch die Wege kurz, die Türen der Verwaltungen immer und jedem offenstehen. In der Stadt ist das sicher schwieriger. Aber auch da gibts die berühmten niederschwelligen Möglichkeiten, sich einzubringen, in Stadtteilvereinen, irgendwelchen Fördervereinen, was weiß ich wo. Es muß ja nicht gleich etwas auf den ersten Blick Politisches sein. Im Übrigen weiß ich nicht, was Bratwurstjournalismus ist, aber ich kenne wohl den Kaninchenzüchterjournalismus. Den mag man belächeln, aber gleichzeitig stärkt der eben genau das: das ehrenamtliche Engagement ganz Vieler, das dadurch immer wieder ins Rampenlicht gerückt wird, und zwar ohne skandalträchtige Überschriften und Klickschlampenjournalismus.

    • Rosi 28. Juni 2019

      das etwas schwierig ist ist doch kein Grund nichts zu tun
      und es geht doch auch darum
      wenn man keine Ahnung hat und selber nichts macht
      soll man lieber die Klappe halten und nicht “angeblich” alles besser wissen und die die etwas tun angreifen
      das ist meine Meinung
      LG
      Rosi

  • Doro 27. Juni 2019

    es ist schon ein großer Unterschied, ob man eine Sache kritisiert, oder einfach nur Politikerbashing macht. Und vor Ort geht es meistens ja auch um Sachthemen. So ganz daneben kann da keiner liegen.

    Klar liegt mir eine Partei mehr, als die andere. Nur in kleinen Orten treten die Leute oft nicht in Parteilisten an.

    Also einfach mal nicht meckern, sondern machen. Sportvereine, Stadtteilvereine haben schon was politisches. Warum auch nicht? Und wenn es Lobbyarbeit ist. In dem Fall nix unmoralisches, falls man demokratische Prozesse kennt und nicht meint es geht ohne Kompromisse.

    Danke für den Denkanstoß.

  • Petra 27. Juni 2019

    Schöner Text. Wobei ich allerdings ähnlich wie “at” sagen muss: Nicht in jeder Region geht es so “nett” und einfach zu, wie man sich das wünschen mag. Wer etwas in der Politik aktiv verändern möchte, braucht leider ein ganz starkes Rückgrat (auch ohne Hetze), das Können, mit verkrusteten Strukturen umzugehen – und eine Eselsgeduld. Viel Glück außerdem, wenn z.B. die Gemeinderätin, der Gemeinderat plötzlich mit korrupten Strukturen oder einem selbstherrlichen Bürgermeister konfrontiert wird. Alles schon erlebt. Ich kenne einige, die haben lang vor Social Media aufgegeben, ausgebrannt.

    Aber Ehrenamt gibt es ja auch durchaus eine “Nummer kleiner”, in Vereinen und öffentlichen Räumen, die etwas für die BürgerInnen tun.
    All das wäre doch mal Anlass für Artikelreihen, die ein wenig hinter die Kulissen schauen, was “die da oben” so den ganzen Tag für die Leute machen. Denn viele wissen das schlicht nicht.

    Ansonsten, was Social Media und den Hass (inzwischen von Trollfabriken, algorithmengepeitscht) betrifft, bin ich inzwischen ähnlicher Meinung wie Habeck: Vielleicht sollte man einfach aussteigen und sich die Energien für die wirklich wichtigen Arbeiten bewahren? Bis Social Media 3.0 ein anderes Umfeld bieten.

  • Alexandra 27. Juni 2019

    Was ich als besonders dangerous erachte, ist dieses “Ach, mit so jemand kann ich doch nicht reden, das ist idiotisch, hat keinen Zweck!”, blockieren, löschen, sich abwenden.

    Dass die eher Rechten so reagieren, ich müsste lügen, täte ich sagen, dass mich DAS überrascht.

    Aber dass von meiner Seite des Grabens das Gespräch so oft nicht am Laufen gehalten wird, das erschreckt mich allerdings zutiefst.

    Wir brauchen Sachlichkeit und Ausdauer, Ambiguitätstoleranz, also Aushalten, wenn wir diese Kluft überwinden wollen und das müssen wir.

  • Rosi 28. Juni 2019

    den Artikel kann man gar nicht oft genug hervorholen
    ich unterschreibe das voll und ganz
    meine Mutter hat immer gesagt
    Nur wer mitmacht (also sich engagiert)
    darf auch kritisieren
    vom Sessel aus sollte man eher etwas bescheidener sein
    denn die Meisten haben keine Ahnung was so ein Amt an Belastungen mit sich bringt ..
    und schaut man in die Vereine ist es nicht besser
    wenn es ums Helfen geht sind immer die Selben da
    aber große Klappe haben die Anderen :(

    liebe Grüße
    Rosi

  • Doba 1. Juli 2019

    Ich wohne in einem typischen Schweizer Dorf mit etwa 2500 Einwohner/innen am Rand der Berner-Voralpen. In meiner Wohnort-Gemeinde sind alle Behördenmitglieder (ausser Präsidium) ehrenamtlich tätig.
    Kürzlich hat der Gemeinderat zusammen mit einem Expertenteam die Situation für die Dorf-Weiterentwicklung besprochen. Unter dem Titel „Dorfgespräch“ wurde dann zu einer Diskussion eingeladen. An einem heissen Samstagvormittag trafen sich rund 80 Personen im Schulhaus und erörterten die von den Experten vorgeschlagenen Schwerpunkte. Von Anfang an war allen bewusst, dass sich viele Ideen entweder finanziell oder sachpolitisch nicht realisieren lassen werden. Trotzdem kristallisierte sich klar heraus, wo der Schuh drückt und in welche Richtung es gehen sollte.
    Nun wird sich der Gemeinderat, der nebst den laufenden Geschäfte eine weitere Fusion mit kleineren, umliegenden Gemeinden (eine wurde bereits erfolgreich abgeschlossen) und dementsprechend auch die Zusammenführung der Wasserversorgung usw. zu stemmen hat, auch diese Grobzielsetzung in sein Handeln einfliessen lassen.

    Fazit: Frau, Mann und Kind (ja, waren auch dabei und äusserten sich) beeinflussen die „kleine Welt“!

  • Alwin 4. Juli 2019

    Danke für diesen Artikel.
    In meinem bayerischen Dorf haben wir einmal im Jahr eine Bürgerversammlung. Das ist so eine Art Rechenschaftsbericht des Gemeinderats, es hat aber jeder auch die Möglichkeit, eigene Anliegen auf die Tagesordnung setzen zu lassen.
    Was mich sehr erfreut: Es werden (gefühlt, nicht nachgezählt) in den letzten Jahren immer mehr junge Menschen, die da hingehen. Was vielleicht damit zu tun hat, dass die Veranstaltung im Wirtshaus stattfindet — Bayern eben.

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