Die ganze grosse Bloggerszene wird einmal monatlich zum sogenannten Tagebuchbloggen aufgerufen, also dazu, zu beschreiben, was man den lieben langen Tag eigentlich so macht, kurz: wmdedgt, oder zu Deutsch Was machst Du eigentlich den ganzen Tag? Frau Brüllen hat das vor Jahren mal losgetreten, bei ihr verlinken alle Tagebuchblogger heute ab 18 Uhr ihre Beiträge und können sich dann also gegenseitig ins Tagebuch reinschmulen.
Ich bin heute zum immerhin 22. Mal dabei, und heute ist einer dieser wenigen Tage, an denen ich tatsächlich ausnahmsweise auch was tue, und nicht nur faul in der Sonne herumliege, ja, da staune ich selber.
A propos liegen, das war heute früh eher essig, ich federe um 4 Uhr 30 aus den Federn, so lässig, wie die Uhrzeit und die müden Knochen das eben zulassen um diese frühe Stunde. Also eher etwas un-lässig, um es mal vorsichtig zu formulieren.
Der Job führt mich um diese Tageszeit zu einem wenig romantischen Ort am ansonsten doch ganz lauschigen Neckar, ich betrachte das abgeschaltete Kernkraftwerk Obrigheim, das still und schläfrig am Ufer herumsteht, obwohl ich doch eigentlich geschäftiges Treiben erwartet hatte.
Ganz investigativ starre ich also da rüber, aber es hilft alles Starren und Hypnotisieren nichts, das Kraftwerk schläft, die Castorbehälter schlafen offensichtlich auch, und das Transportschiff, das mal wieder eine Ladung Brennelemente nach Neckarwestheim bringen soll, begleitet von Protesten, das schläft erst recht. Und die iphone-Kamera macht auch nicht, was ich will, Sie sehen das ja selber.
Also alles vergebens, ich informiere die Kollegen in den angeschlossenen Funkhäusern, so nannte man das früher, alles Mist, sage ich, ich bin umsonst hier draussen, die Laune droht zu leiden, da gehe ich stattdessen doch ein bisschen spazieren, was soll man morgens gegen 6 Uhr schon anderes machen.
Und schön isses, da unten am Kraftwerk, zumindest, wenn man in die entgegengesetzte Richtung läuft, mit dem Atommeiler im Rücken, die Frachtschiffe schieben sich tuckernd und blubbernd behäbig durch den Fluss, es riecht nach Kamille und frisch gemähtem Gras, am Ufer stehen Reiher, Regen und Tau glitzern in den Wiesen, an den Maisblättern hängen dicke Tropfen. Irgendwann ist es Sieben, Zeit ins Büro zu gehen und endlich mal ein bisschen was zu schaffen, hahaha.
Mittags gönne ich mir eine kleine Pause und einen Besuch beim Doktor, im Wartezimmer werde ich zwangsweise in den Ruhemodus versetzt, das kann ja mal nicht schaden.
Zurück im Büro wachsen meine Ohren quasi mit dem Headset des Telefons zusammen, während ich mit beiden Händen durch das www surfe und recherchiere, was Beobachter vor Ort so sagen.
Also: morgen, morgen, nur nicht heute, im Geiste stelle ich den Wecker schon mal erneut auf 4 Uhr 30. Der Bürohund schläft derweil den Schlaf der Gerechten, er hat es sich verdient, er ist seit 4 Uhr 30 auf den Beinen, ich hingegen ja erst seit fast 13 Stunden. Aber ich will nicht maulen, solche Tage machen ja auch Spaß zwischendurch, wozu ist man sonst Reporter geworden, das hätte man sich früher überlegen müssen. Aber beim Anblick des selig schnarchende Hundes überkommt mich doch ein gewisser Neid.
Und deswegen fahre ich jetzt heim, natürlich nochmal am abgeschalteten Kraftwerk vorbei, dann den Neckar entlang, es gibt Schlimmeres. Denken Sie immer dran: Manch ein Japaner zahlt ein Jahresgehalt, um hier ein einziges mal im Leben langfahren zu können!, pflegt mein Bürovermieter zu sagen, wenn ich mal wieder über die Strecke schimpfe, weil sie sich mitunter zieht wie Kaugummi. Er hat ja recht.
Also, bitte, fahre ich jetzt eben los. Lasse mich dann zuhause bekochen vom Gatten, werde nochmal nach den Hühnern gucken und dann mit ihnen ins Bett gehen. Also, im übertragenen Sinne, naja, Sie wissen schon.