Der Karl-Heinz ist ein redseliger Mann, ganz anders, als ich es bisher von Schäfern kenne. Er redet und redet, die Worte plätschern aus seinem Mund wie das Wasser eines Gebirgsbaches, und sein Dialekt ist so urig wie eine niederbayerische Almhütte. Am Anfang verstehe ich kaum etwas, aber dann geht es immer besser. Und es kommen eine Menge kluge Dinge aus dem Mund von Karl-Heinz.

Nur leider möchte Karl-Heinz nicht in mein Mikrofon sprechen, dafür war ich ja eigentlich gekommen, um über ihn und seine Arbeit als Wanderschäfer im Radio zu erzählen.

Aber Karl-Heinz will nicht, bitte haben Sie Verständnis, da war neulich ein Zeitungsartikel über ihn, und die Tage drauf ging es hier an der Weide zu wie auf dem Rummelplatz. Die Leute kamen zu Fuß über die Wiesen und Felder angelaufen, sie kamen in Autos angefahren, ganze Familien mit Kinderwägen, mit freilaufenden und kläffenden Hunden, mit Smartphones und Kameras, es war unglaublich, sagt er. Die Schafe, die Hunde und er, wir waren am Ende ganz narrrrisch.

Also packe ich das Mikrofon wieder ein. Bleiben Sie trotzdem einen Moment? Haben Sie Zeit?, fragt der Schäfer. Es ist noch nicht sehr lange her, da hätte ich spätestens jetzt gesagt, nein, ich muss dann leider weiter, die Arbeit ruft, und wo ich Sie ja eh nicht interviewen darf…. und dann wäre ich ein bisschen genervt von dannen gezogen, von der Dienstuhr im Nacken und dem schlechten Gewissen getrieben. Haben Sie Zeit?, fragt der Schäfer nocheinmal, klar!, sage ich und bleibe.

Karl-Heinz steht auf seinen Hirtenstab gestützt, wir plaudern und plaudern, über Gott und den Glauben und über die Kirche, über die Schäferei natürlich, über Bürokratismus und über die Liebe zum Beruf, zur Natur. Darüber, warum die Wanderschäferei ausstirbt, und darüber, dass all jene, die die Lämmchen so süß und den Schäfer so herrlich idyllisch finden, nach dem Besuch an der Weide ihr 99-Cent-Schnitzel beim Discounter kaufen.

Karl-Heinz erzählt mir von seiner Familie, seiner Frau, die das halbe Jahr alleine ist, während er mit den Schafen durch die Gegend zieht. Wie wunderschön sie damals aussah bei der kirchlichen Hochzeit, da hatte er sie in ein Dirndl gesteckt, sie war ein wahrer Augenschmaus, sagt er ganz weich und bayerisch, wie zu sich selbst.

Im nächsten Augenblick brüllt er mit scharfer Stimme die Hunde her, so laut, dass alle Pflanzen und Tiere im 10-Meter-Umkreis einen Hörsturz erleiden müssten, so laut, dass ich nicht mal erahnen kann, was er da überhaupt brüllt, die Hunde folgen aufs Wort und auf das Gebrülle, und dann redet er mit der weichen bayerischen Stimme weiter im Text.

Und am Ende kommen wir noch irgendwie darauf zu sprechen, was einen so trägt und leitet im Leben, wir sprechen da mal eben über die existentiellen Fragen, während vor, hinter und neben uns die Schafe blöken und geräuschvoll das Gras rupfen und während Karl-Heinz immer mal wieder die Hunde zurechtbrüllt.

Und Karl-Heinz als alter Katholik zitiert nun ausgerechnet mitten auf dieser Schafweide Dietrich Bonhoeffer, Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag, und er schaut mich aus weit aufgerissenen Augen an, als ich als alte Evangelische das Zitat fortführen kann Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag, und dann streiten wir darüber, ob er gewiss oder bestimmt an jedem neuen Tag bei uns ist, es heißt „bestimmt“!, schreit Karl-Heinz mich lachend an, nein, schreie ich zurück, es heißt „gewiss“!, ganz sicher!

Und dann muss ich aber doch schnell gehen, bevor ich noch sentimental werde.

 

14 Kommentare zu “Was schön war.”

  1. Ach du meine Güte Friedericke, jetzt übertreibst dus aber. Lange keinen Blogeintrag mehr von dir gesehen und dann gleich sowas? Du hast diesen Schäfer und seine Tiere in so wunderschönen Bildern eingefangen dass ich direkt mit dir dort war – so ganz ohne Auto, Smartphone und kläffende Hunde… und das Gespräch mit dem guten Mann konnte ich quasi „hören“. Ich danke dir für diesen wunderschönen Impuls. Bin derzeit eh so emotional… weiß auch nicht…
    Liebe Grüße
    Bettina

  2. Guten Morgen

    Tolle Geschichte … ! Auch ohne Mikrofon. Ich kann´s förmlich riechen … :-)

    Du kommst doch eigentlich aus Berlin? Kannst Du Dich noch an die Schafherde auf dem Flughafen Tempelhof erinnern? Die standen da bis irgendwann in den 80igern dort.

    Das waren die Schafe, mit denen mein Onkel Kurt in den mittleren 50igern (also vor dem Bau der DDR-Grenzanlagen) im Süden von Berlin von Mahlow nach West-Berlin (Lichtenrade) „geflüchtet“ ist . Etwa 800 Tiere hatte er „im Gepäck“.

    Der kann auch tolle Sachen aus dieser Zeit erzählen und super Photos habe ich aus der Zeit von ihm ebenfalls.

    Grüße aus Aachen | Peer

    1. Na, das klingt ja sehr spannend! Mach mal einen Beitrag daraus! An die Tempelhofer-Feld-Schafe kann ich mich nicht erinnern, als Neu-Westenderin kam man in der Regel nicht so weit raus… ;-)

  3. Und des Tages Ohrwurm ist gesichert:
    „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar…“
    Es gibt Schlimmeres ;-)

  4. Trotz hoffentlich reichlicher Leserschaft, die ich der Bloggerin wünsche, möge es nach diesem Artikel nicht wieder so einen Run auf Schäfer, Herde, Hunde geben.

    1. Ich habe Karl-heinz versprochen, keine Ortsangabe zu machen. Dürfte also klargehen, hoffentlich.

  5. Nur so,
    der richtige Text heisst
    „Und ganz gewiss…“
    Schöner Beitrag,
    Danke,
    Eva

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