Das ist Irene. Fast 80. Aus der Zeit gefallen. Einfach irgendwann irgendwo stehengeblieben.
Leute wie Irene heißen heute: Marktmanager, Bereich Convenience. Oder so. Tragen Krawatte und fahren einen dunklen Audi.
Ihre Märkte: riesige Shoppingmonster auf der grünen Wiese. 856 betonierte Parkplätze davor. Kunden, die sich ahnungslos ferngesteuert wie auf Gleisen durch den Markt bewegen. Elektronische Kassensysteme und schicke Einkaufswagen.
Irenes Supermarkt: ein Lädchen, unten im Wohnhaus. Ihre Kunden: die 157 Einwohner ihres Heimatdorfes. Theoretisch. „Und noch welche von weiter her.“ Aus dem Nachbardorf. In der Stoßzeit stehen schon mal drei Frauen in dem kleinen Lädchen. Schwätzen, und kaufen ein. Weil sie im Kaufland was vergessen haben. Und, um das Lädchen am Leben zu erhalten. Und damit irgendwie wohl auch Irene.
Irenes Waage: eine Antiquität. Noch aus der Zeit, als der Vater hier das kleine Lädchen eröffnet hat. Damals hochmodern. Es gibt schon Interessenten für das Sammlerstück. „Für wenn ich mal nicht mehr da bin.“ Waagen braucht heute aber niemand mehr. „Ist ja alles abgepackt.“
Irenes Kasse: eine alte Schublade, die sie rumpelnd aus der Theke zieht. „Das reicht.“ Wer nicht zahlen kann, läßt anschreiben in eine alte Kladde und bringt das Geld ein andermal. „Irgendwann.“
Irenes Tiefkühltruhe: ein Haushaltskühlschrank. Wer noch eine Idee braucht fürs Mittagessen, geht hinter die alte Holztheke und schaut mal in den Kühlschrank rein.
Zweimal im Jahr fährt Irene mit der Tochter auf die Fachmesse nach Nürnberg. Einkaufen für Sonderaktionen zu Weihnachten, zu Ostern. Ansonsten kommt jeden Donnerstag das Lieferauto und bringt die neue Ware. „In Rollcontainern“. Die muß Irene dann schon selber in das Lädchen rollern, die jungen Fahrer gucken ihr da gerne zu. Allzu Schwergewichtiges bleibt am Straßenrand stehen, bis abends Tochter oder Schwiegersohn zum Schleppen kommen. Irene gibt den Fahrern trotzdem Trinkgeld. „Macht man doch.“
Irenes Lädchen: Hoffnungslos veraltet. Völlig aus der Mode. Einfach irgendwo stehengeblieben.
Sehr sympathisch.
Dieser Beitrag ist schon im Sommer 2013 hier erschienen. Ich bin jetzt ein paarmal an dem alten Haus vorbeigekommen, immer sah es dunkel aus. Vielleicht Zufall, oder vielleicht gibt es das Lädchen nicht mehr. Vielleicht weiß jemand was.
Oh. Meine Waage. Meine Zweite derart, die Erste ist bei einem meiner Umzüge draufgegangen.
Ich liebe alles Alte. Ich liebe Tante-Emma-Läden.
Ich wurde ganz klar in eine falsche Zeit hineingeboren!
Ja, und Irene hat in die falsche Zeit hineingelebt, irgendwie. Aber ich bewundere solche Leute, davon gibt es ja auf dem Land etliche.
Wer weiß, ob es nicht die richtige Zeit ist? Denn wer soll sonst den Burnoutgefährdeten von der guten alten Beschaulichkeit erzählen (die allerdings auch mit viel Plackerei verbunden war)?
In Österreich heißt der Tante-Emma-Laden Greißler, und leider gibts für das sukzessive, unabwendbare Aussterben dieser nostalgischen Etablissements sogar einen traurigen Fachausdruck: Greißlersterben.
Das habe ich auch nicht gewußt… interessant! Und „Greißler“ klingt allemal besser als TAnte-Emma, oder? Aber sterben tun die einen wie die anderen. Alle beklagen das, und gehen dann trotzdem auf die grüne Wiese zum Einkaufen.
Ich wünsche Irene ein langes Leben! Möge sie 107 Jahre alt werden, und ihr Laden mit ihr. Und möge bitte niemand niemals herausfinden und verraten, dass ihre Kasse, Waage, Regalausstattung und was auch immer gegen die EU-Richtlinie Nr. schlagmichtot verstößt.
Du wirst lachen: zumindest für die Waage kommt einmal im Jahr ein Sondergesandter der Eu-Kommission für Eichangelegenheiten (oder wie der sich nennt) und mißt das Teil durch und speichert alle Daten in sein schickes Laptop ab.
Ich hab’s befürchtet :-(
Hat halt alles seine Ordnung in Deutschland.
und der Mensch vom Eichamt stellt dann fest, dass es bei Tante Irenes Waage wieder nichts zu meckern gibt, denn die wiegt noch zuverlässich -nicht wie in manch modernem Frischetempel.
Schade dass es nicht mehr Tante irenes gibt, denn dort würde ich mein sauer verdientes Geld gern hinschaffen und nicht den profitgierigen Bossen von den Großdiscountern in den Rachen werfen.
Bei uns im Dorf gibt es ja noch so einen kleinen Bäcker, der eine Mischung aus Backstube und Tante- Emma ist. Dessen Tage sind sicher auch gezählt, längerfristig. Und ich denke schon manchmal darüber nach, was eines Tages wird. Ob man nicht als Dorfgemeinschaft sowas betreiben könnte. Vorbilder gibts da wohl einige in der Provinz. Könnte ich mir gut vorstellen. Aber da müssen halt Viele mitziehen. Und die werfen ihr Geld dann vermutlich auch lieber den Discountern in den Rachen… ;-(
Andererseits…schaffen die Discounter (auch und gerade auf dem Land) etliche Arbeitsplätze, mehr oder weniger sichere sogar. Heißt es selbst bei den kritischen Leuten von foodwatch zum Beispiel…Hach, es ist alles schwierig….
Hallo,
bin zufällig hier gelandet.
Bei uns im Nachbardorf gibt es so Lädchen auch noch, einfach mit
dem Notwendigsten und natürlich viel Süßes und Getränke für die
Kinder, sie erhalten dort das Lädchen. Ich mag so Läden auch sehr,
sie versetzen einem in eine andre Welt und lassen die Welt öfters
mal still stehen.
Liebe Grüße
aus einer Provinz in Südbaden
Manu
„Ob man nicht als Dorfgemeinschaft sowas betreiben könnte …“ – Genau, Dorfladen 3.0, als Gemeingut organisiert, darin liegt Zukunftspotenzial für die ländliche Region!
Die Frage ist ja nur (wieder einmal), ob die ländlichen Regionen (bzw deren Bewohner) das auch kapieren.
Es gibt immer Vormacher, Pioniere, Überzeuger, Avantgardisten – und dann folgen sie, die Trends. Funktioniert auch in der ländlichen Regionalentwicklung!
Schöner Text! (wieder einmal)
Danke!
Ata, Viss und Meister Proper. Da weiß man, was man hat.
Schön.
Und Irene, die so freundlich ist, den stinkfaulen Lieferanten noch Trinkgeld zu geben, gehört zu den Menschen, die das Licht in der Welt bewahren.
Habe den Artikel mit Freude gelesen.
Ich liebe solche Läden und solche Menschen und könnte das große Heulen kriegen, wenn ich dran denke, dass sie immer weniger werden.
Ein lieber Gruß von Frau Morgentau
Siehe oben, bei Michael. man könnte etwas dagegen unternehmen – es müssen sich nur genug Menschen zusammentun.
Meine Freundin arbeitet jetzt im Zentrallager einer großen Supermarktkette.
Sie amüsiert sich immer darüber, wie die Irenes dieser Welt (es gibt noch ein paar auf den Dörfern) eisern und energisch verhandeln, wenn es um die Lieferungen geht. Die sind noch richtig mit Herzblut dabei.
Und teilweise der Schrecken hochnäsiger Büroschreckschrauben, weil sie sich nichts gefallen lassen :D.
;-)
Der Tante Emma Laden bei uns im Dorf musste zumachen, da die Betreiberin einen Unfall hatte und nicht mehr arbeiten kann.
Ich verrate mal nicht, dass ich immer mal wieder überlege, ob ich nicht vielleicht, man könnte ja, aber so als Zugezogene, sogar Ausländische, und die Investitionen, und wenns dann nicht funktioniert … Bisher traue ich mich nicht. Eben weil die Leute in den Discounter fahren, wir dazu Schulden machen müssten, „Eingeplackte“ sind …
Der eindeutig positive Punkt : Wir wären depot de pain und hätten somit zumindest Montags Kundschaft, und schon einen Bäcker, der uns beliefern würde, unseren guten Dorfbäcker.
Einen Traum haben wir schon verwirklicht. Ich weiss noch nicht mal, ob so ein Laden ein weiterer Traum wäre.
Gedanken über Gedanken.
Den Tante Irene Laden finde ich TOLL
Man müsste sowas ja vielleicht auch nicht alleine stemmen, sondern könnte ja auch nachdenken, andere Dorfbewohner – denen diese Form der Infrastruktur auch wichtig ist – mit ins Boot zu nehmen. Da gibts es zumindest in Deutschland tolle Ansätze. Einfach mal goolgen unter „Dorfgemeischaftsladen“ oder so. Oder hier, ein Leitfaden der rheinland-pfälzischen Landesregierung: http://www.mwkel.rlp.de/icc/internet/med/4a1/4a1406a2-8e1f-c821-d843-f7a65e1df7d1,11111111-1111-1111-1111-111111111111.pdf
Das Lädchen könnte ja viel mehr sein als nur Lädchen, sondern auch eine Mischung aus Treffpunkt und Cafe, oder auch mal Vorträge anbieten oder irgendwelche Kurse. Zumindest in Deutschland gäbe es da sicher auch Fördergelder von der EU – warum also nicht auch in Frankreich? (ich nehme mal an, daß es sich um Frankreich dreht).
Ich würde gerne in solchen Läden einkaufen… da kennt man sich noch und es ist einfach etwas ganz besonderes…
Vieles geht heute fast nur noch übers Internet … meine Eltern können vieles nicht mehr kaufen weil sie keinen Anschluss haben.. Schlimm diese „Neuerungen“ zumindest was die menschlichen Beziehungen und kleinen Läden angeht…
Herrlich! Danke für die Zeitreise und Irene, solltest du ihr begegnen, unbekannterweise alles Gute. Ich würde gern mal bei ihr im Laden Inspiration sammeln, bin aber zu weit weg, aber vielleicht erzähle ich – von hier inspiriert ;) – bei mir einmal von Doris (ich muss mich gerade fragen: ob sie noch lebt?!), die hatte so eine ähnliche Wohnung.
Brauchen könnten wir so eine Irene auch. Wir hatten mal eine Renate, die hat aber nur Gemüse und Obst verkauft.
Und wir hatten mal den ‚Krausen-Laden‘, der hat aber schon lange zugemacht, da war ich noch ein kleines Kind. Schade.
Ich träume ja davon, einen kleinen Laden mit angrenzendem Cafe und und angrenzender Buchhandlung zu eröffnen. Ja. Hier auf dem Land.
Mal sehn.
Ha, die kommen jetzt wieder. In Britzingen gibt es nun einen Dorfladen mit Café ,
die Dorfbewohner haben sich dafür entschieden wieder im Dorf einzukaufen.
Und hier im Nachbardorf hat ein Hausmetzger gerade ein Lädchen an sein Haus
Angebaut, damit wir Kunden bei Regen und Kälte nicht in seinem Hof am Wurstwagen
frieren müssen und ein paar Meter weiter haben wir dann denn Dorfladen mit den
wichtigsten Sachen und natürlich frischem Saisongemüse. Ich kaufe da nun auch ein,
Ich will das ja unterstützen und das Beste ist eben die Metzgerei, garantiert sortenrein!
Irene ist aber ein ganz schön moderner Name für unsere Altersklasse.
Am besten war immer das Anschreiben wenn es eng wurde Ende Monat.
Natürlich wurden alle wichtigen (und unwichtigen) Dinge im Lädchen durchgehechelt, ha, bevor das Wochenblättchen im Briefkasten gelandet war.
Gern hab’s auch mal ein Schnäpschen wenn grad wer malad war.
Hach, man könnte so viel dazu schreiben und in Erinnerung schwelgen.
Hoffen wir das die Irene in einem genau so schönen Zuhause wie ich darf noch etwas älter werden.
Wäre schade um den Laden … Oft wünsche ich mir so was wieder her. Wissend, dass sich das nicht lohnen würde :-/
ach ja, wie schön ists doch da; seufz…so ein Tante Emma Laden – in der damaligen Zeit hochmodern – heute als veraltend geltend…von den Alten gewünscht, den jungen weniger beachtet, wie nötig sind sie doch für die überlebenden die weder Führerschein noch das dazu passende Alter noch selbst zu laufen aufweisen können. In vielen „Dörfern“ gabs einen und plötzlich war Schluss und alles rannte nur noch in die Discounter. Jetzt finden die“Einkäufe“ selbst simpelster Dinge im Internet..statt…brrrhhh..
Aus der Zeit gefallen, schöne Bezeichnung und so richtig..
nostalgisch – warmherzig und gut.
Die heutige Moderne weiß ja gar nicht mehr, wozu sie was hat..
schöner Artikel, ich hab lange drüber nachgelesen, sinniert…herzlichhhhhe Grüße von Dörfle zu Dörflerecht einsam aber verwunschen, realitätsnah und wunderschön bei dir, fast so
wie hier…:))
Angelface