Vom Pfeifen im Walde.

26. April 2015

Manchmal, wenn ich da draußen unterwegs bin, auf den Feldern oder im Wald, bei Sonne oder Wind oder Regen, dann pfeife ich so vor mich hin. Mal irgendeinen dämlichen Ohrwurm, mal ein altes Kirchenlied, eigentlich egal.

 

Es hilft.

 

Meistens.

 

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Rineck.

 

Ich gucke dann in den Himmel oder auf die Köter, schaue der Wildsau nach, die am endlosen Horizont mit ihren sechs Frischlingen davonwetzt, sehe im Unterholz die Rehe, starr vor Schreck, rieche den Duft von Waldmeister und Kamille.

 

Und pfeife.

 

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Im Wald bei Balsbach.

 

Wenn ich nicht pfeife, dann denke ich über die Welt nach. Darüber, daß man uns eben in den Nachrichten noch weismachen wollte, es habe beim Erdbeben in Nepal keine Toten gegeben. Lachplatte. An den Ukraine-Krieg, der in den Zeitungen fast schon ins Vermischte gewandert ist. An die Gewalt in den USA.

 

Während ich so durchs Unterholz stolpere, denke ich darüber nach, daß in diesem Augenblick irgendwo auf dem Mittelmeer viel zu viele Menschen in viel zu kleinen Schlauchbooten unterwegs sind, auf dem Weg nach Europa. Viele von denen suchen ihr Glück und finden den Tod. Darüber, wie man das seinen Kindern eigentlich alles erklären würde, wenn man welche hätte. Zum Glück habe ich keine. Ich frage mich dann – wenn ich also nicht gerade ein Liedchen pfeife – wie beschissen die Welt um mich herum eigentlich ist, und welchen Anteil ich selber daran habe, welche Schuld. Und was ich mit meinem schlechten Gewissen mache, weil es mir hier so verdammt gut geht.

 

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Nochmal Rineck. Immer wieder grandios.

 

Ich denke – in den Pfeif-Pausen – darüber nach, wie das mit den Flüchtlingen hier in der tiefen Provinz funktioniert. Bisher augenscheinlich ziemlich gut, davon hatten wir es (klick:)  hier schon mal. Darüber, daß ich hoffe, daß der bornierte Kommentator des Berliner Tagesspiegel mit (klick:) seiner bornierten These von der feindseligen Landbevölkerung unrecht hat. Quod esset demonstrandum.

 

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Bei Balsbach. Trienzbach?

 

Irgendwann widme ich mich dann wieder dem Wolkenspiel am Himmel. Oder den kleinen Luftblasen im Bach. Fummle an der komplizierten Kamera herum, prüfe Einstellungen, probiere, verwerfe, denke über Blende und Verschlußzeit nach. Denke darüber nach, welche Bilder ich nachher im Blog veröffentlichen könnte. Was ich dazu schreiben werde.

 

Und pfeife wieder vor mich hin.

 

Irgendeinen dämlichen Ohrwurm oder ein altes Kirchenlied.

 

Und frage mich, ob vielleicht diese ganze Bloggerei hier in Wirklichkeit nichts anderes ist als das Pfeifen im Walde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  • 12 Kommentare
  • Liisa 26. April 2015

    Dir gelingt in Worte zu fassen, was mir seit Tagen nicht gelingen wollte. Genauso geht es mir gerade auch. Nur, dass mir selbst das Pfeifen teils schon auf den Lippen erstirbt. Und diese Ambivalenz: das sich Schämen, das (mit) Schuldigsein, die Freude und Dankbarkeit für all das Gute und Schöne um mich herum und dann das schlechte Gewissen, gerade weil … weil, es so willkürlich ist, dass ich das Glück hatte gerade in Europa, in Deutschland geboren zu sein und nicht in Afghanistan oder in Gaza oder in Nigeria, im Kongo, in Syrien oder wo sonst gerade …

  • waswegmuss 26. April 2015

    Flüchtlinge im Odenwald und Spessart haben eine großen Vorteil: In diese armen Gegenden wurden schon immer Menschen verpflanzt. Sie kommen unter. Sie werden integriert.

  • Franzi 26. April 2015

    Nein, ist es nicht – es ist nicht nur wie das Pfeifen im Wald – hier gibt es Leser, die dankbar sind, dass jemand in Worte fassen kann, was ganz viele gerade fühlen und mit sich tragen. Leser die merken, dass andere sich ebenfalls schwer tun mit dieser Ohnmacht.
    War gestern auch kurz im Wald, wollte Bärlauch holen – habe einen riesigen Flecken Maiglöckchen gefunden und mich gefreut. In einer Woche werden sie blühen und ihren herrlichen Duft verbreiten. So surreal, mit all dem was man im Kopf noch für Gepäck dabei hat…
    Danke fürs Pfeifen – LG Franzi

  • Roswitha 26. April 2015

    – auch DANKE fürs Pfeifen! Unbehagen in Worte fassen, mitfühlend nachsinnen ist fast das Einzige, was wir tun können. Außer dem Bewusstsein, dass jeder unüberlegte Kauf, jede Wahl, jedes feige Schweigen in Gesprächen weiter den Strudel beschleunigt, in dem die Menschheit treibt. Es gibt keine Inseln für immer, entweder lernen wir Solidarität, oder wir gehen gemeinsam unter!
    Und kämpfen können wir nur, wenn wir auch Freude und Hoffnung in uns haben, die wächst auch wenn ich lese, z.B. bei Dir!

  • Manuela 26. April 2015

    Auch danke fürs Pfeiffen, ich finde es gut, dass es dich und deinen
    Blog gibt, das regt die Gehirne mit Sicherheit an also meins auf jeden
    Fall. Und ich musste meinen dreien nie viel erklären, das läuft in der Schule, dann sind sie so erzogen, dass sie eine gute eigene Meinung
    Haben, wir haben immer viel diskutiert und über Geschehnisse gesprochen.
    Haben auch einen Nachbarn, der schon öfter in Afghanistan stationiert war, mit wird auch immer wieder gesprochen. Und was sagte der fast 14 jährige gestern als er die Nachrichten anschaute? Irgendwann wird die ganze Welt zusammenbrechen. Da hast du wohl recht, meinte ich nur dazu.
    Und so lange sollten wir einfach pfeiffend durch die Welt gehen.

  • arboretum 26. April 2015

    In dem Fall ist es eine Kommentatorin: Caroline Fetscher (ausführlichere Vita). Sie lebt in Berlin, das erklärt vielleicht auch einiges.

    • LandLebenBlog 27. April 2015

      Ah, danke für den Hinweis! Zu Tübingen sag ich jetzt mal nichts. ähem.

      • arboretum 28. April 2015

        Als ich es im Lebenslauf las, musste ich auch grinsen.

        • LandLebenBlog 28. April 2015

          Ein Klassiker, quasi. ;-)

  • meertau 29. April 2015

    oh…. wie sehr sich unsere spaziergänge offenbar gleichen.
    die landschaften sind anders, das pfeifen, das wolken- und blubberlasengeschmeide, die gedankenschwurbel.
    und sooooo trefflich und wunderbar geschrieben.
    das war mir ein echter genuss beim lesen und schauen.
    merci !

  • Herr Ackerbau 3. Mai 2015

    Hier gern gepfiffen: Paul Gerhardt:
    Er schenke uns ein fröhlich Herz/ erfrische Geist und Sinn/ und werfe all Angst, Sorg und Schmerz/ in Meerestiefen hin/
    Hilft meistens….

    • LandLebenBlog 4. Mai 2015

      Paul Gerhardt hilft ja eigentlich immer – mir zumindest.

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