Ein freundlicher Leser hat jüngst in einem Kommentar hier auf dem Blog die Glotzattacken seiner dörflichen Mitbewohner moniert, irgendwo in Deutschland. Städter, zugezogen, logo.

Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang an die Schilderung der frisch verliebten Bekannten auf dem Lande, deren ebenfalls verliebter Herzbube ihr einst versicherte, er werde  – frisch verliebt und noch völlig frei von jedem kritischen Gedanken – alles für sie tun und überall mit ihr hingehen und überhaupt alles super finden, was sie tue – nur eines werde er gewiß nicht wiederholen wollen: den gemeinsamen Auftritt im klitzekleinen Heimatdorf der Liebsten.  Auch hier fiel das Wörtchen „glotz“, ja, es war sogar von einem Glotzangriff die Rede, dem sich der Liebste wehrlos gegenüber sah.

Manch ein Zugereister wird das Phänomen kennen, noch mehr der, der nur auf Durchreise ist. Geht es – zu Fuß oder im Auto – die fremde Dorfstraße entlang, und stehen da ausnahmsweise mal Menschen herum, dann werden Hälse gereckt, Augen aufgerissen, Unterhaltungen jäh abgebrochen. Wir kennen das Phänomen natürlich auch. Seit Jahren. Würden es freilich anders nennen. Aus Gründen.

Die Menschen hier sind einfach interessiert. Jawohl. An allem, was um sie herum so vorgeht. Unverstellt. Achtsam. Wachsam geradezu. Jeder Einbrecher kann ein Lied davon singen. Unbeobachtet ein Haus ausspionieren, vor dem geplanten Bruch? Is nich. Sehen und gesehen werden – Sie kennen doch das alte Motto. Auf dem Land hat es eine ganz eigene Bedeutung. Mit Blick auf das um sich greifende Verbrechen solls mir recht sein.

Und überhaupt: man muss die Blicke anders deuten. Schwingen da nicht Ehrfurcht mit, und Respekt? Jawohl. Verwunderung darüber, wie sich einer hierher bloß verirren kann? Stumme Bewunderung dafür, dass er sogar bleiben will? Ungläubiges Staunen darüber, dass er sich, man stelle sich das vor, hier wohl fühlt?

Das würde auch erklären, warum die aufgerissenen Augen oft mit vorübergehender Sprachlosigkeit einhergehen, in der GastWirtschaft gerne auch mit aufgesperrtem Mund. Zerkautes Jägerschnitzel und eingespeichelter Salat sacken wie in Zeitlupe träge vom Gaumen Richtung Unterkiefer, und dem Betrachter eröffnen sich Einblicke, wie sie sonst dem Zahnarzt vorbehalten sind.

Betritt der Fremde die Szene, ob neu-fremd oder alt-fremd, ob auf der Dorfstraße, beim Bäcker oder in der Wirtschaft, dann scheint für einen Moment die Zeit still zu stehen. Es ist, als halte das Universum ergriffen die Luft an, als solle der Augenblick für die Ewigkeit erhalten werden. Konserviert für die Erinnerung kommender Generationen, kommender Jahrhunderte.

 

Ich meine: Wann? erleben? Sie? sowas? in? der? Stadt??

Eben.

Der Fremde, abgestumpft von urbaner Komplett-Ignoranz und totaler mitmenschlicher Kälte und Interessenlosigkeit, er sollte sich geehrt fühlen.

Jawohl.

 

 

 

 

13 Kommentare zu “Was guckstu.”

  1. Ein freundliches Lächeln gegenüber den „Ureinwohnern“, oder auch ein Winken bei der Durchfahrt des Dorfes machen Spaß und sorgen auch bei diesen für Verblüffung!
    Übrigens: Was bedeuten „glotzende“ Dörfler in einer Zeit, wo NSA und Co. unser Leben ausspähen?

    1. Da haste ja mal schön recht. Ansonsten winke ich gerne, und wenns ganz arg ist, spreche ich die Leute freundlich an, ach gott, müssten wir uns kennen, weil Sie so intensiv gucken?

  2. Die Betrachtungsweise ist wirklich schön dargestellt. Ich musste mich direkt an meine Geschichte erinnern. Bin auch vom Dorf und meine erste große Liebe wohnte in Heidelberg. Als gut erzogener Dörfling grüßt man alle Passanten auf der Straße. Ich erntete nur verdutzte Blicke. Keiner grüßte zurück. Bei meiner städtischen Freundin angekommen, erzählte ich, dass die Leute hier aber sehr unhöflich seien, worauf meine Freundin in einen herzhaften Lachanfall verfiel ‚hast du die etwa alle gegrüßt?‘

  3. Auf der einen Seite könnte man es gesundes Interesse nennen, zum Glück
    sehen sie nicht, wie doof sie dabei manchmal gucken, auf der andren
    ist es wirklich nur reiner Wunderfiz: WER zum kuckuck fährt nun schon
    wieder durch unser Dorf???
    Also ich bin auch ein Landei, aber mich interessiert herzlich wenig,
    wer hier am Haus vorbei fährt oder läuft oder stehen bleibt und glotzt,
    weil eben ein Holzblockhaus. Ich denke mir jedem das seine und wie
    du geschrieben hast, Einbrecher haben hier so gut wie keine Chance,,,,
    weil, die Dörfler sehen ALLES und geben das auch gleich weiter…

    1. Diese positive Seite sehe ich durchaus gerne! Und – ohne Witz – die Polizei würde hierzulande nur halb so viele Fälle lösen (sagt sie selber),wenn die Leute nicht so aufmerksam wären. Das hat was.

  4. Wunderbar – liebe Friederike, hoffentlich geht dir auch im neuen Jahr nie deine wundervolle „spitze- allzu köstliche Feder“ aus.
    HG sendet Dir
    Birgit

  5. Ja. Einerseits. Andererseits muß ich momentan beim lesen solcher Zeilen – leider – an Pegida denken und daran, wie viel Angst manchen Leuten offenbar alles macht, was fremd ist. Und wenn da schon „sowas“ nordeuropäisch anmutendes wie ich offenstehende Münder und Einbruchsverdächte auslöst … ich bin ziemlich froh darüber, daß diese Gegend hier zu den „ich grüße JedeN“-Gegenden gehört – und bisher gibt es auch (noch?) keine Flensgida-Demos, keine Kielgida, keine Schlegida.

  6. Wenn Ihr mal durch ein Dorf fahren wollt ohne angeglotzt zu werden fahrt durch Tigerfeld. Ein Dorf mit diesem Namen gibt es wirklich und liegt auf der Schwäbischen Alp.
    Seit 35 Jahren, ergo seit Erhalt der Fahrerlaubnis, durchquere ich diesen Ort auf dem Weg in den Süden. Italien, Skifahren oder Allgäu.
    In dieser Zeit habe ich ein mal jemanden an der Straße gesehen.
    Oder waren es zwei mal ? Es ist ein Phänomen.

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