Kleine persönliche Schlaglichter aus der vermeintlichen Provinz.
Heute: Michael Wolf.
Ursprünglich aus….
dem Ruhrgebiet. Dem nördlichen Ruhrgebiet, da, wo die letzten Bergwerke vor wenigen Jahren noch abgetäuft wurden. Oder dem südlichen Münsterland, weil sich das für die aufstrebende Industriestadt Marl weniger schmutzig anhörte.
In den Odenwald gezogen…..
weil ich in Heidelberg studieren wollte;
weil Kiel nicht schnell genug den Studienplatz zusagte;
weil die Tante mir in Hirschhorn ein Zimmer besorgte;
weil hier berühmte JournalistInnen studierten, es sehr weit weg war von Zuhause und hier niemand sonst aus meiner Schule hin wollte.
Meinen Lebensunterhalt….
Weiss ich gar nicht, wie ich den verdiene. Das macht die Steuerberaterin. Alle paar Jahre ein Buch, besserwissendes Geschreibsel in einer Zeitschrift, die ich als Herausgeber betreuen darf, und dies und das. Das Gute an allem ist ja das Schlechte. Ich darf Alles ausprobieren. Ich baue Pflanzen an und halte Tiere, experimentiere mit mittelalterlichem Bauen, veranstalte Firmenfeste oder Hochzeiten oder schreibe auch schon mal für ander Leuts Meriten.
Mir gefällt hier,
dass ich weit weg bin von Lehrern und Erziehern und all denen, die das Leben eines jungen Menschen bestimmen wollten, und dass die Gegend so unattraktiv ist, dass von denen auch niemand hier her kommt. Es ist bei weitem nicht der Traum, nicht Freiburg und nicht München. Aber die strahlend klaren Nächte in der Vielzahl, wie ich sie auf der Marienhöhe erleben darf, sind Hammer.
An einem sonnigen Tag im Sommer….
kann es sein, dass ich einfach in einem Feld liege und schlafe. Wenn ich dann aufwache, stehen um mich herum die Rehe und wundern sich, wie ich mich wohl habe anschleichen können. Aber sonnige Sommertage in badisch Sibirien sind so häufig auch nicht. Sonnige Sommertage sind hier eher im Winter!
An einem verschneiten Wintertag….
laufe ich mit Frau und Tochter durch nahezu meterhohen Schnee. Wir trinken Tee an einer alten Jagdhütte, und auf dem Rückweg ins Dorf fange ich das Rennen an. Weil arschkalt eben besser zu ertragen ist, wenn die Lungen brennen.
Gut essen….
ist jetzt nicht so ganz leicht, wenn man nicht so weit fahren will – außer man macht es selbst. Also sammeln wir das ganze Jahr Kräuter, luchsen dem Nachbarn seine Quitten im Tausch gegen Kirschmarmelade ab, kochen Holunder, schlachten die Sau und schießen das Reh und nicken den Hasen. Und weil die Jugend und das Weib Ausnahmen vom Vegetarismus nur machen, wenn man der Nahrung das Tier nicht mehr ansieht, bleibt es meist bei Kräutern. Aber seit Jahren wird es mehr und mehr vom Selbstgemachten und wieder mehr hin zu Lebensmitteln und weg von so genannten Nahrungsmitteln.
Theater, Konzerte und Museen…..
Einmal im Jahr in die Kulturkommode und einmal im Jahr in die Musicalmetropolen. Mehr gibt der eigene Kalender eines Kulturschaffenden nicht her. Klar gehe ich noch immer in die Museen und rege mich regelmäßig über den Scheiss auf, den sich Museumsmacher, Didakten und Kuratoren da zusammenschustern in Mannheim. Nur ein Bruchteil der Kohle… denke ich regelmäßig … Nur die Hälfte dieses Personalschlüssels, den die notleidenden Einrichtungen öffentlicher Hände noch immer ver… ja was eigentlich? Sagen wir: verausgaben dürfen… Und den Rest des Satzes, die Folgen, schafft man dann nicht einmal zu denken.
Darüber nachgedacht, wieder in die Stadt zu gehen…..,
Habe ich immer wieder mal. Man kann ja nur überzeugt von etwas sein, wenn man den Sündenfall, den Antitopos, das Grauen immer wieder mal probiert oder erwägt. Aber wann immer ich zu einem Opernbesuch nach Stuttgart, zu einer Aufzeichnung nach Baden Baden oder einem Symposium nach Berlin reise und mit dem Gedanken spiele: nie wieder wohnen in der Stadt.
Wenn ich hier etwas ändern müsste/könnte…..,
Wo soll ich da anfangen? ÖPNV ernst nehmen, Schulen endlich nach den Erkenntnissen ausstatten, die selbst die Macht habenden sehen, und dem Schwachsinn des Un-Lernens ein Ende bereiten. Alles andere verbietet sich leider, weil ich nicht Bestimmer sondern Demokrat sein will; Ich erkenne die Probleme, aber Lösungen habe ich ohne Radikalität auch nicht: Es fehlt an Lehrern und Ärzten und Lehrern, die Ärzten zeigen, wie man Praxen organisiert. Es fehlt an Lehrern für Glück, weil auch das Landleben nicht allein glückselig macht; Es fehlt an Aufklärung zu Geschichte, Natur, Beziehung; Zusammenhänge müssten besser vermittelt werden… Wo fange ich da an? Das ist heikel. Lass uns lieber wieder die anderen Fragen besprechen.
Meine Freunde in der Stadt meinen…,
das Landleben ist unaufgeräumt, anstrengend, so weit weg von allem, aber so wahnsinnig idyllisch. Sie zählen gerne auf, was hier alles fehlt, um ohne Punkt und Komma dann darauf zu bestehen, wie gut wir es doch hätten, auf dem Land.
Die Landmenschen…
Sind so schwierig, dass ich sie mir am liebsten im Blog von Frau Kroitzsch schönreden lasse.
Und dabei meine ich gar nicht, dass sie lügt oder beschönigt. Es stimmt ja, was sie schreibt. Aber mein Auge ist wohl noch nicht ganz so nostalgisch, noch nicht ganz so , Verzeihung, altersmilde?, darf ich das sagen?
Wenn ich alt werde…..,
Oh Gott, ich fühle mich ja jetzt schon manchmal alt. Ich würde gerne noch einmal für ein paar Jahre unterwegs sein. Die Apalachen, die Mongolei, so was halt. Und dann des Lebens satt wiederkommen und noch ein paar Jahre einen Acker bestellen und Viehzucht betreiben.
Oder doch wieder in die Stadt zieh’n? In ein schickes Appartementhaus mit dem Fahrstuhl bis ins Wohnzimmer, Kino und Theater um die Ecke? Was weiss denn ich. Da kann ich mir doch in 20 Jahren den Kopf noch zerbrechen. Ich bin erst 47, erst 30’Jahre im Odenwald und bis zur Rente ist keiner alt!