einstreu

 

Nur mal so eingestreut.

Weil es doch mit mir umgeht.

Wir haben seit zwei Tagen nur ein Gesprächsthema. In den Hühnerstall eines befreundeten Landwirts ist ein Hund eingebrochen, 35 von 40 Hühnern hat er getötet, blitzschnell, völlig durchgedreht. Alles voller Blut und Federn. Die Tiere noch bei lebendigem Leib geschnetzelt.

 

Ich muß mich zwischendurch daran erinnern, daß es noch echte Katastrophen auf der Welt gibt. Echte Katastrophen. Von unfassbarem Ausmaß. Der Taifun Haiyan. Zehntausende von Toten. Ich lese davon in der Zeitung. Einen Fernseher haben wir nicht, bewegte Bilder zur Abendbrotzeit gibt’s also keine. Und den Weg bis auf die Startseite von google-news haben die Opfer von Haiyan heute früh auch schon nicht mehr geschafft. Mir ist es recht. Ich muss das nicht auch noch sehen. Es reicht, wenn ich es weiß.

Und das Thema daheim und im Bekanntenkreis ist jetzt ohnehin ein anderes: die gemetzelten Hühner. Der böse Hund.

 

Verblöden wir alle, die wir auf dem Land leben? Interessiert uns nicht mehr, was auf der Welt drumrum passiert? Ist das der vielzitierte Rückzug ins Private? Gleichgültigkeit? Resignation? Oder waren wir früher, in der Stadt, auch schon so? Wollen wir uns schützen, weil Haiyan halt so weit weg ist und unser Mit-Leiden (oder unsere heimliche Sensationsgier) auch niemandem hilft? Liegts daran, daß wir die Hühner eben kannten, selber Hühner haben, selber einen Hund? Daß wir aber keinen Filipino kennen?

Was tun? Hier konkrete Hühner-Hilfe anbieten? Da Geld spenden? Aber wem? Aber wo? Die Hühnerhilfe kommt direkt an, da sind wir sicher. Aber was wird mit meinem schönen Geld? Kommt das auch so an, wie ich es will? Beim Diakonischen Werk könnte ich spenden, das steht mir nah, kirchlich und so.

Auf der Homepage kann man unter 10 Katastrophen auswählen, für welche davon man online 90 Euro geben möchte. Mir täte das nicht weh. 90 Euro. Von mir aus auch 500 Euro. Zu verkraften.

Ein Anfang.

Oder ein Faß ohne Boden?

Und dann?

Vielleicht sollte ich den Hühner-Katastrophen-Landwirt fragen.

Wie er das eigentlich so sieht.

 

 

 

 

 

7 Kommentare zu “Einstreu.”

  1. Ich hab eine Helfer-Ader muss ich gestehen. Ich würde gerne üebrall gleichzeitig alles Elend lindern, aber das geht nun mal nicht. Ich spende jedes Jahr irgendwo anders einen Betrag, den ich verkraften kann, aber meist für Organisationen und Zwecke in meiner direkten Umgebung. Weil ich es auch gut finde, eben erst vor Ort zu helfen…

    Ich habe auch drei Jahre lang aktiv geholfen indem ich z.B. einer Organisation an den Wochenenden geholfen haben, wenn es darum ging Hilfstransporte in Container zu packen oder die Güter dafür an verschiedenen Orten einzusammeln….

    Was die großen Spendenorganisationen angeht bin ich leider seit den ganzen Skandalen immer noch sehr skeptisch. Natürlich ist es furchtbar, wenn man sieht wie irgendwo weit entfernt Menschen Hungern und durch Katastrophen ums Leben kommen… auch da frag ich mich oft: Wie kann man da wohl am besten helfen und ob mein Geld denn auch ankommen würde…

    Die andere Frage ist, ob man sich wirklich immer für alles verantwortlich fühlen muss? Wenn man ein gütiges Herz hat und hilft, wo es einem persönlich möglich ist.. ist das nicht auch bereits ein wirklich grpßer Beitrag in einer Welt, in der es vielen Menschen egal zu sein scheint, wie es dem Nachbar geht…

  2. Ja, was die großen Katastrophen angeht, ist das so eine Sache. Sie sprengen mit ihren gigantischen Dimensionen einfach das Vorstellungsvermögen unseres kleines Gehirns. Wir können uns den Unterschied von 50000 zu 50000 Toten einfach nicht vorstellen.

    Aber, was wir direkt vor unserer Nase haben, das berührt uns, weil es uns betrifft. Das ist menschlich und das ist normal! So lange es nicht solch monströse Ausmaße (sorry, bin Vegetarierein) annimmt, dass die Leute mit viel Geld und Tränen um ihr Meerschweinchen kämpfen und sich keinerlei Gedanken darüber machen, wie das Schnitzel gelebt hat, bevor es auf den Teller kam, ist das völlig in Ordnung.

    Ich kenne die Gefühle meiner Vor-Schreiberinnen von oben nur allzu gut. Auch ich erspare mir die bewegten und manipulierten Bilder. Mir reicht meine Vorstellungskraft völlig. Auch ich weiß um die Notwendigkeit, manches einfach auszublenden, weil es sonst völlig lähmt. Aber das ist okay. Genauso in Ordnung ist es jedoch, um die Hühner zu trauern oder das Bedürfnis zu haben, für die Taifun-Opfer zu spenden, weil einen deren Schicksal so mitnimmt. Natürlich können wir nicht überall helfen. Aber wenn jeder irgendwo mal anfängt…..

    Und wenn die Quantenphysik und der Buddhismus Recht haben sollten, ist ohnehin nichts an Materie existent, sondern alles nur Energie und Welle. Und dann kann ein kleiner Impuls riesige Bewegungen in Gang setzen. Schön, oder?

    Mitgefühl ist eine der kostbarsten Eigenschaften, die Menschen haben. Wir sollten ihr keine Zügel anlegen. Wir sollten es nicht dafür verurteilen, wo sie sich gerade niederlässt. Sie tut überall gut, im Hühnerstall und in der großen weiten Welt. Und am allermeisten uns selbst. Sie macht uns besser.

  3. Liebe Friederike, ich muss an dieser Stelle mal was Grundsätzliches loswerden. Seit einigen Wochen habe ich, nach langer Abstinenz, wieder morgens eine Zeitung im Briefkasten. Bis ich sie da raushole, ist es manchmal schon dunkel. Meine Morgenzeitung ist der LandLebenBlog.

    Deine Notizen zu den großen und kleinen Katastrophen bringen – wie viele andere Beiträge – mehr Bewegung, mehr Beleuchtung, mehr Nachdenken in mein Gehirn als die wiederkehrenden Radiomeldungen und O-Töne aus dem Katastrophengebiet. Das bedeutet viel, denn wir sind so weit weg, auch wenn ich eigentlich ganz nah dran bin an den Menschen, durch deren Hände vielleicht ein Teil meiner günstig erworbenen Klamotten, das eine oder andere von mir verzehrte Stück Fleisch oder die Mahagoni-Decke meiner Gitarre, die mir so schöne Melodien spielt, gegangen sind.

    Dieses kleine Loblied als Ausgleich für viele von mir nicht geschriebene Kommentare zu Deinen Notizen, denn – das ist die Schattenseite der morgendlichen Lesefreude – so richtig kreativ und produktiv bin ich früh am Morgen noch nicht.

    Also, ich freue mich auf mehr!

  4. Liebe Friederike,
    auch ich lese sehr gerne Deine Gedanken – so unterschiedlich sie auch sein mögen.
    Ich denke, es ist gut so, dass wir Menschen diesen Verdrängungsmechanismus besitzen, natürlich sollte er nicht für alles gelten, aber in vielen Fällen fungiert er erst mal richtig – nämlich als erster Selbstschutz für die eigene Psyche.
    Die meisten Menschen in unseren Regionen leben auf einer Insel der Glückseligen – in vielerlei Hinsicht – klimatisch gesehen, wirtschaftlich, versorgungstechnisch..etc.
    Ich stehe ja nun schon seit einigen Jahren auf dem Standpunkt, dass wenn man in seinem eigenen kleinen Umfeld in der Lage ist Leid zu erkennen, dort mit anpackt wo es nötig ist, sich für Dinge engagiert, die einem anm Herzen liegen, ist es in Ordnung.
    Den großen Weltfrieden werden wir nie erreichen, leider – das liegt in der Natur der Menschen, aber vielleicht im Kleinen und da ist jeder etwas gefragt.
    Ich lebe nun auch schon seit 12 Jahren auf dem Lande, genieße meinen Rückzug und vermeide oft die manipulierte und sensationshaschende Medienberichterstattung.
    Diese an Gehirnwäsche grenzenden, ewig sich wiederholdenden Berichte, die ja doch nur „gesteuert“ und das „Volk verdummend“ sind.
    Nein, dann eher doch dem Nachbarn erst mal sein Bedauern zukommen lassen (oder auch Hilfe) falls dies möglich ist.
    Wie ich so oft auch sage – das Leben spielt sich hier, an dem Fleck an dem Du lebst erstmal ab – und daher ist das permanente, große „um die Welt schauen“ nicht immer effektiv.
    Ich spende für Ärzte ohne Grenzen – da ich aus dem „Gesundheitsmetier“ komme und Hochachtung für all diese Menschen habe, die sich in Krisengebieten ihren „Urlaub um die Nase schlagen“ und zudem durch ihre Arbeit einiges an Leid lindern können.
    HG sendet Dir
    Birgit

  5. Vielen Dank für all Eure an-regenden Kommentare!

    Ich hatte ja erst etwas Sorge, diesen Text zu schreiben, weil ich dachte: Die halten mich für komplett bescheuert, hier das eine (die Hühner) neben das andere (die echten Katatstrophen) zu stellen. Aber offenbar habe nicht nur ich diesen inneren Konflikt.

    Vielleicht ist es wirklich so: zuerst sollte man sich auf das konzentrieren, was unmittelbar vor der Haustür passiert. Ich bin ja nicht zuletzt deswegen auch viel ehrenamtlich unterwegs, für Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung. Und versuche auch oft genug beruflich, als Journalistin, denen vor Ort eine Stimme zu geben, die sonst niemand hört.

    Vielleicht spende ich jetzt doch auch noch Geld für die Taifun-Opfer. Es wird vielleicht nicht viel nützen, aber eben auch nicht schaden. Und ich werde nochmal in Ruhe über alle Eure Kommentare nachdenken – danke!

  6. auch ich mach es so: ich konzentriere mich zuerst auf das Leid und Elend vor meiner Tür bzw. in meinem Umfeld, denn da gibt es genug die auch Hilfe benötigen und da seh ich persönlich das Ergebnis meines „Einsatzes“.

    In 1-2 Jahren sind die taifungeschädigten Regionen an gleicher Stelle wieder mit Holz- und Blechhütten aufgebaut – u.a. mit unseren Spendengeldern – und ich befürchte beim nächsten Taifun sehen wir leider die gleichen Bilder.:-(

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