Ich bin ja kein großer Verreiser und habe noch nicht viel von der Welt gesehen, aber vor Jahren verschlug es mich doch einmal für ein paar Wochen tief in den afrikanischen Busch. Nicht neckarmannmäßig, sondern auf Einladung einer entwicklungshelfenden Freundin. Karonga, Malawi.
Ich hatte mich binnen kürzester Frist darauf eingestellt, daß es wenig Sinn macht, bei Verabredungen nach einer Zeit zu fragen. Immerfort wurden Sonne, Mond und Sterne bemüht, wenn es darum ging, wann jemand irgendwo erscheinen würde. Blöd nur, wenn am betreffenden Zeitpunkt der Himmel bewölkt war. Und irgendwie war er immer bewölkt, wenn es darauf ankam.
Keine Ahnung, wieso ich darauf komme.
Wahrscheinlich deswegen: weil ich seit Tagen hier herumsitze und warte. Denn mitunter hat auch der Odenwälder an sich, vielleicht der Landmensch generell (was weiß denn ich, ich bin noch nicht viel rumgekommen), ein – aus unserer Sicht – etwas spezielles Verhältnis zur Zeit. Zur Tages-Zeit.
Ich bringe Ihre neuen Hühner Montag oder Dienstag, gegen Abend, sagt der freundliche Züchter, und ich ahne schon, daß das ein dehnbarer Begriff ist im Odenwald, gegen Abend. Manche nehmen hier um 18 Uhr das Nachtessen, und wenn 18 Uhr schon Nacht ist, müsste gegen Abend so ab 16 Uhr sein. Vielleicht aber auch 20 oder 22 Uhr, wer weiß das schon.
Also warten. Montag gegen Abend tut sich gar nichts. Dienstag leider auch nicht. Ja, wenn er doch gesagt hat, Montag oder Dienstag, dann kommt er vielleicht Mittwoch mit den Hühnern, orakelt Geo optimistisch. Natürlich nicht, orakle ich zurück. Obwohl auch ich weiß: die Odenwälder Zeitrechnung geht manchmal einfach anders, aber unzuverlässig oder gar vergeßlich ist hier niemand.
Wenn Freund Alois ankündigt, er hole uns am Mittag ab zu einer Ausfahrt, dann wartet Geo schon ab 12 Uhr gestiefelt und gespornt, am liebsten vor der Haustür. Wo bleibt er denn, jetzt ist doch gegen Mittag, fragt er ratlos in das totenstille Dorf hinein. Ich lege mich derweil noch mal vor den Kamin, mit einer guten Tasse Kaffee. So gegen 15 Uhr fährt Alois dann lachend vor und wundert sich, daß Geo heute eher wortkarg ist. Ich habe doch gesagt, ich hole Euch so gegen Mittag!
Eben. Meine Rede.
Jetzt also: Warten auf die Hühnerlieferung. Montag oder Dienstag will er mit drei Hühnern kommen, hatte er gesagt. Er kommt, da sind wir sicher. Vielleicht Freitag oder Samstag. Mit fünf Hühnern. Oder einem Hahn.
Seit Montag gegen Abend starrt mein Geo also durch das Fenster in die dunkle Nacht. Die Odenwälder haben da ja fast ein bißchen was von Italienern, sagt er plötzlich gegen die schwarze Scheibe.
Sie dürfen das als Kompliment verstehen.
Update, Donnerstag, gegen Abend:
Der Hühnermann hat angerufen. Er kommt am Freitag, wenn es dunkel ist. Sag ich doch: Unzuverlässig ist hier niemand.
Das erinnert mich an ein Schild, das ich einmal an einem Laden (in Hamburg, glaube ich) gesehen habe: „Wenn auf ist, ist auf“. Ist auch nicht viel anders als im Odenwald oder Afrika :-)