Der Großvater pflegte Ende August, Anfang September die Augen halb zu schließen, dann zog er die Luft durch die Nase ein, bis die Nasenflügel flatterten, und dann sprach er feierlich: Kinder, es liegt ein herbstlicher Faden in der Luft!.

Kinder und Enkel verdrehten die Augen und dachten heimlich Oh, nee, Alter, nicht schon wieder dieser dämliche Spruch, nur die blutigen Anfänger unter den Enkeln suchten am Horizont irgendeinen Faden, der herbstlich aussah, mich zeitweise inbegriffen.

Aber jedenfalls ging das jeden Spätsommer so. Und im nächsten Spätsommer, im nächsten und im nächsten. Der Großvater ist inzwischen lange tot, aber ganze Generationen von Familienmitgliedern zwischen Berlin, Buenos Aires, Auckland und dem Odenwald schließen im Spätsommer die Augen, ziehen die Luft durch die Nase ein und sagen feierlich: Kinder, es liegt ein herbstlicher Faden in der Luft!. Man weiß dann nie, ob sie es ernst meinen oder ironisch, aber letzten Endes ist das auch egal.

Es liegt ein herbstlicher Faden in der Luft, Punkt! 30 Grad im Schatten, die Sonne verbrutzelt einem das Hirn, Hunde hecheln, der Asphalt glüht, aber dennoch: Der herbstliche Faden ist da. Ich kann Ihnen jetzt auch nicht so genau sagen, warum, – liegt es am Sonnenstand, am Licht, an den ersten braunen Blättern, an der Stimmung? Ich sehe ihn sehr deutlich, diesen Faden, und ich mag ihn. Auch, weil er mich in jedem Jahr zuverlässig an den alten Großvater erinnert.

Heute am Katzenbuckelsee.
Europäische Seekanne, sehr gelb, sehr hübsch.

Und sonst so? Ich habe Post vom BSW bekommen, die schicken mir regelmäßig ihre Zeitschrift, seit ich da vor einiger Zeit Mitglied geworden bin. Es war überfällig, also bin ich beigetreten. Ich war aber nicht daheim, als der Briefträger die BSW-Postille brachte, der Gatte nahm sie entgegen und rief mich sofort im Büro an. Wieso bekommst Du Post vom BSW?, rief er aufgelöst ins Telefon, bist Du da etwa Mitglied oder was?? Bei dieser Tante, bei dieser Wagenbrecht oder wie die heißt? Jetzt schlägt es aber dreizehn!! Er war völlig außer sich.

Die Situation musste rasch aufgeklärt werden, das stand fest. Ich beichtete also meine Mitgliedschaft beim BSW und rechtfertigte mich aber auch gleich mit stichhaltigen Gründen. Die Fotogruppe, in der ich hobbymäßig Mitglied bin, wird schlußendlich vom BSW finanziert, weil das BSW sich seit jeher intensiv um Freizeitangebote für seine Mitarbeiter kümmert, alles für die Arbeiterschaft, alles sehr sozial, deswegen auch BSW, wie Stiftung Bahn-Sozial-Werk.

In der Telefonleitung entstand eine kurze Stille, dann sagte mein Geo Ach so, und dann legte er auf.

Der Gatte hat (Klick!) gebloggt.

4 Kommentare zu “Ein herbstlicher Faden”

  1. …Schreck laß’ nach “BSW”!! Nachdem ich, Enkelin eines Lokomotivführers, mich nun informiert habe über den BSW, bin ichdoch sehr begeistert über diese Institution und werde in der Familie gerne darauf hinweisen. Danke für die Information und einen schönen Sonntag für alle!

  2. Die Abkürzung BSW war für Eisenbahner *innen absolut positiv besetzt. Und dann kommt die Wagenelse und zieht sie in den Dreck!

  3. Womöglich hat der Großvater das mit den Fäden ganz wörtlich gemeint?

    https://de.wikipedia.org/wiki/Altweibersommer

    ” … Nach der einen Erklärung leitet sich der Name von Spinnfäden her, mit denen junge Baldachinspinnen im Herbst durch die Luft segeln (vgl. Spinnenflug). …”
    Uns hat auf diese Weise mal eine sehr schöne Wespenspinne erreicht, die uns ein paar Jahre großes Vergnügen bereitet hat, wenn sie ihr Netz im Sommer im Lavendel aufgespannt hatte.

  4. Ihr Großvater hat recht!

    Wer sich darauf einlässt, kann es auch wahrnehmen. Sei es nur wegen der (dieses Jahr sogar noch eher) abgeernteten Felder, dem herunterfallenden, reifen Obst, dem Dunst und Nebel, der inzwischen morgens wieder wie ein Samttüchlein über den Wiesen und in den Tälern aufsteigt oder einfach, weil die Abende jetzt doch schon deutlich zunehmend früher dunkeln.

    Durch den vielen Regen ist uns dieses Jahr immerhin das Grün lange frisch und erhalten geblieben, aber auch da haben die letzten Tage etwas dazu beigetragen, dass das Laub jetzt langsam und knisternd fällt und Gras so langsam gilbt. Es zieht also schon so ein wenig die herbstliche Melancholie und Schwermut ein, aber ich mag dieses Zeit des In-sich-Gehens und Runterkommens. Endlich ist das Gewese des Sommers vorbei und wenigstens ein paar Bälle werden wieder flacher gespielt. Noch eine schöne Pilzsaison und dann sind sowohl die “Schwamme” als auch der fortschreitende Herbst für mich in Butter;-)

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