Man möchte fortwährend mit dem Kopf gegen eine Wand schlagen, sich wahlweise weinend im Bett zusammenrollen, aber beides bringt letzten Endes auch nicht viel. Ich frage mich im Übrigen, ob ich schreckliche Nachrichten noch schrecklicher finde, Unfassbares noch unfassbarer, seit ich auf dem Lande lebe, in der gefühlten Idylle, weit weg von Dreck und Lärm und Elend und der latenten Aggressivität großer Metropolen. Nur so eine Frage, ich weiß die Antwort leider auch nicht.

Wir widmen uns derweil etwas zwanghaft den Banalitäten des Landlebens. Im Raiffeisenmarkt ein paar Dörfer weiter treffen wir zufällig einen Freund; zwischen Melkfett und Pferdehalftern, Weckgläsern und Rasensamen Marke Berliner Tiergarten erörtern wir die Weltenlage und schütteln die Köpfe. Das Wort vom Tyrannenmord steht plötzlich zwischen den Regalen mit Arbeitshandschuhen und Gummistiefeln, und ich frage mich, ob schon jemals in diesem Odenwälder Raiffeisenmarkt, in dieser Halle mit vier Wänden und einem Dach, Kunden über das antike Konzept Tyrannenmord nachgedacht oder gesprochen haben, während sie doch eigentlich Hühnerfutter oder Melkfett oder Elektrozäune für die Kühe kaufen wollten.

Wir kaufen 100 Kilo Futtermittel, ich schleppe die Säcke zum Auto, dazu erstehen wir eine Spraydose Anti-Flohmittel, die Drecksviecher machen sich im Hühnerstall in den Legenestern breit, das ist kein Zustand. Mausefallen kaufen wir auch, diese Drecksviecher machen sich im Keller und der Halle hinterm Haus breit, auch das kein Zustand. Mein Geo lässt sich von dem freundlichen Raiffeisengabelstaplerfahrer noch bei den 600-Kilo-Säcken Christbaum-Dünger beraten, wir sehen von einem Kauf aber ab, da wir keine Christbaumkultur im Garten haben.

Ein paar Meter weiter kaufen wir noch einen Kasten Mineralwasser, wir haben schon einige Kästen im Keller, und eigentlich trinken wir gar kein Mineralwasser, aber man weiß ja nie.

Auf der Rückfahrt zeigt die Uhr im Auto 9 Uhr 58, wir schauen uns kurz an und beschließen wortlos, das Radio und die Nachrichten ausgeschaltet zu lassen. Es reicht, dass wir zuhause wieder an den Rechnern hängen und vor- und zurückscrollen, stumm und stundenlang.

Am späteren Vormittag streife ich mit Frau Lieselotte zwei Stunden lang durch den Wald, ein bißchen mulmig ist mir, der Wind rupft und zaust noch die Baumkronen, und überall sieht man, wozu er fähig ist, wozu er fähig war in den vergangenen Tagen. Hoffentlich werden wir nicht von einem Stamm erschlagen!, sage ich etwas bang zu Frau Lieselotte, und Na, wir haben vielleicht Sorgen. Frau Lieselotte guckt nur verständnislos und widmet sich wieder den verheißungsvollen Spuren im Unterholz. Hund müsste man sein.

Überall gurgelt das Wasser, ein bißchen Schnee fällt vom Himmel, die Vögel singen aus vollem Halse, keine Menschenseele unterwegs. Am Ende komme ich an den Forellenteich und füttere die Fische, begrüße den Biber. Alles so idyllisch.

Das kleine Mittagessen dauert doppelt so lange wie üblich, ich kaue meditativ auf jedem Bissen herum, um bloß die Steine nicht zu wecken, die in den Gallengängen auf ihren Auftritt warten, um bloß da nichts loszutreten. Das könnte ja auch mal ein politisches Konzept sein, denke ich bei mir, achtsam-meditativ auf Dingen herumkauen, bevor man irgendetwas lostritt.

Vor dem bullernden Kamin dann wieder vor- und zurückscrollen im Internet, der Mann möchte mit mir über den ersten, den zweiten und den dritten Weltkrieg sprechen, darüber, dass er sich an nächtliche Fluchten in den Luftschutzkeller erinnert, und wie er an der Hand der hochschwangeren Mutter Köln verließ, Richtung Franken, nur weg von den Bomben. Seine Schwester kam unterwegs zur Welt, auf dem Weg von hier nach da.

Wir hören Nachrichten aus dem Kriegsgebiet, sehen Bilder vom Karneval im Rheinland und von evakuierten Kinderheimen und von U-Bahn-Stationen, in denen Menschen Zuflucht suchen, dazu Videos von Demonstranten in Rußland, die Leib und Leben riskieren mit ihren Protesten gegen Putin.

Nebenbei schnappe ich auf, dass die Querdenker am Rosenmontag bundesweit zu Krankenhäusern spazieren wollen, um gegen Diktatur und Unterdrückung in Deutschland zu demonstrieren, sie wollen die Politmafia endlich entmachten, die Corona-Sklaverei beenden und ihre Freiheit verteidigen, und wieder habe ich das dringende Verlangen, einfach meinen Kopf gegen eine Wand zu schlagen, wieder und wieder.

11 Kommentare zu “Banalitäten.”

  1. Lieber knackende Äste und mit mulmigem Gefühl am Waldrand spazieren gehen als in einer nuklear verseuchten Welt versuchen klar zu kommen oder eben gar keine Sorgen mehr zu haben, weil … Diese Anti-Covid-Maßnahmen-Schwurbler samt Diktaturgedankler möchte ich am liebsten einsammeln und nach Russland schicken. Sollen sie doch da demonstrieren… wohl bekomm´s.

    1. Glauben Sie wirklich, dass dies der richtige Platz (und die richtige Zeit) ist, Ihre Gewaltphantasien in die Welt zu speien?

  2. Danke für den mir aus dem Herzen sprechenden Beitrag!
    Erinnern möchte ich an die Möglichkeit des Friedensgebets, gemeinsam mit anderen und auch jede/r für Dich. Bei Bedarf kann ich einen link vermitteln.

  3. Oha, meine Mutter hat sich zwecks Schadensbegutachtung in ihrem kleinen Waldstück noch nicht reingetraut, zu viel liegt kreuz und quer und vor allem unter Spannung (und es liegt viel junges)
    Aber auch ich möchte vor allem Danke sagen, fürs „aus der Seele sprechen und das auch noch in Worte fassen können“
    Mich hat das so sprachlos gemacht
    Und da machen sich ein paar wirklich immer noch Gedanken um ihre kleinen Einschränkungen
    Ein gutes Wochenende (im Kampf gegen die Viecher) trotzdem und liebe Grüsse
    Nina

  4. Ich kann und muss Dir sagen, :Beifall für den Bericht, Mein Denken ist fast ganz bei Dir. Ich kann auch für uns sagen: Gott sei Dank leben wir auf dem Land. Wer weiss, was noch alles kommt….Trotzdem Euch Beiden ein schönes Wochenende und liebe Grüße.

  5. Ich kann mir die Situation im Raiffeisenmarkt so lebhaft vorstellen. Mit Ihrer Sprache schaffen Sie Bilder im Kopf. Ich wünschte, ich hätte diese Gnade.
    Ich habe den Text auf meinen Blog bauerwilli.com verlinkt. Mal sehen, was passiert…

    1. Die Zugriffszahlen schießen durch die Decke. ;-) Und das mit der Sprache… das ist halt mein Beruf und ich übe seit mehr als 30 Jahren täglich. Dafür können Sie andere Sachen, die im Zweifelsfall für die Menschheit wichtiger sind.

  6. Liebe Frau Kroitzsch, vielen Dank für diesen wunderbaren Text. Der Kontrast von Bildern und Text stellt den inneren Konflikt zwischen dem weitergehenden Alltag und den Gedanken an die Ukraine in perfekter Weise eingängig dar.
    Traurige Grüße aus Stuttgart

  7. (…und wieder habe ich das dringende Verlangen, einfach meinen Kopf gegen eine Wand zu schlagen, wieder und wieder.)… Danke! Genau so geht es mir seit letzter Woche immer wieder. Und auch wenn ich über das Wort „Tyrannenmord“ schmunzeln musste, auch das ist mir immer wieder mal durch den Kopf gegangen.
    Danke, immer wieder gern gelesen!
    Herzliche Grüße
    Julia

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