Am Morgen ein Termin in der riesigen menschenleeren Stadtkirche, die Tür steht weit offen und oben spielt ein junger Mann auf der Orgel die englische Nationalhymne. Also, zumindest klingt es so, und man möchte lauthals mitsingen, God save the queen!, aber in Wirklichkeit ist es wahrscheinlich irgendein Musikstück, aus dem sich die Komponisten der Nationalhymne bedient haben, ach, was weiß denn ich. Jedenfalls passt das alles sehr gut in die allgemeine komplette Surrealität dieser Zeit.

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Die liebe Freundin backt kleine orientalische Sauereien und stellt sie konspirativ auf die buntsandsteinerne Fensterbank vor dem Bürofenster und verschwindet so lautlos, wie sie gekommen ist. Ich bin ja der Meinung, dass Backen für Freunde ein ziemlich guter Zeitvertreib ist. (Ich hoffe, Sie haben die Botschaft verstanden.) Ich für meinen Teil kann leider nicht wirklich backen. Genauer gesagt, habe ich es noch nie probiert, aber ich habe derzeit leider auch berufsbedingt kaum freie Zeit.

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Weil wir es grade von Musik hatten, ich hätte da ein bisschen Odenwälder Mukke für Sie, dieser Tage im Städtchen entstanden und live gestreamt im Internet. Ich habe das natürlich wieder verpasst vor lauter lauter, obwohl ich den zwei Odenwälder Musikanten seit gefühlten hundert Jahren begeistert die Treue halte. Als ich sie kennenlernte, waren die noch sooooo klein, inzwischen füllen sie europaweit die großen Häuser. Und wir können das Konzert natürlich nachreichen, bitte sehr. Musik aus dem Odenwald, zwo, drei:

Ja, da staunen Sie, die hinterste vermeintliche Provinz entpuppt sich als wahre Fundgrube für Musikliebhaber. Ich habe da heute Mittag noch jemanden getroffen, der zum Thema Musik von Bedeutung ist, obwohl oder gerade eben weil Odenwälder Gewächs. Ist aber schon ein Weilchen her. Joseph Martin Kraus. Kennen Sie nicht? Sollten Sie aber. Hier (Klick!) erfahren Sie mehr über ihn. Seit heute morgen spielt der Gute wieder quasi vor meiner Bürotür, und ich hatte schon Sorge, er würde nie mehr aus dem Winterschlaf geweckt. Man weiß ja nie in diesen Zeiten. Und wie gut seine Frisur sitzt! Der war doch heimlich beim Frisör! Man wundert sich, und frau wird fast ein bisschen neidisch.

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Anonsten so, rund ums Büro:

Ich entwickle eine gewisse Liebe zu Fotos von hochgestellten Stühlen. Ich sollte das mal mit einer anständigen Kamera machen, nicht immer nur mit dem blöden Händi. Vielleicht ein Fotoprojekt der etwas anderen Art. Dann gewinne ich einen Preis damit und werde reich und berühmt. Man wird ja wohl noch träumen dürfen. Naja, Sie wissen schon.

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Uff. Am Nachmittag die Meldung, dass ein Pflegeheim in Mudau vom Virus betroffen ist. 39 Bewohnerinnen und Bewohner, sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auf Landkreisebene sorgt das für einen schlagartigen Anstieg der Zahlen. Ein Bewohner ist gestorben. Wir tun alles, um dafür zu sorgen, dass Corona bei uns nicht reinkommt, hat mir gestern eine andere Heimleiterin erzählt, wir zappeln und tun und machen, und gleichzeitig wissen wir, dass wir das vermutlich nicht schaffen werden, dass das ein Ding der Unmöglichkeit sein wird. So unwahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto. Da fühle ich mich zwischendurch schon ohmächtig.

https://www.facebook.com/netzwerkneckarodenwald/posts/3333066913389719?__xts__[0]=68.ARBIC11A9ZYcT8D2c496sSC33ZFaUsliFVDeUOVja6FMTe1XwKNHhr9qGDz_SXy34PRvohysaqB3o-fSLtpmpDFsJiwLkyN-f5p57lhhcjWc74eC96ZherkAIMqsQwkRlBVNaCiuqbs9wwS9iydoBxQlb2hajZLDyHKadwjwLGPqznshRZ_bmEYdl_KlkbhGsEEIJ8vzdb1MMDfTt-RX-al-R_NU9aDuqlwfI8wDu5MSudvtiGT7M1fL5x3DlDmDV-G2zJHOwG0Jsw95voMDpUoeWD7X_tOoNppFqdRL3c7wx0YLBgjiITWQDuwswT9YcNy4BvI5ajLi2sGFqyhqUavHMwz41DNbAn2b0wYot6WknQ&__tn__=-R

Ich hatte es mir zwischendurch rund um Corona in einer gewissen inneren Ruhe bequem gemacht, in einer Art angespannter Gelassenheit. Bei solchen Meldungen, auch und besonders aus der unmittelbaren Nachbarschaft, fährt einem dann doch erneut der Schreck in die Glieder. Es ist ein Auf und Ab, morgens noch gelassen, abends Erschöpfung und Entsetzen. Und vermutlich wird das noch eine lange Zeit so weitergehen.

5 Kommentare zu “Rückzug XXIII”

  1. Soweit ich weiss, ist es auch ein evangelisches Kirchenlied. Ich muesste meinen Bruder fragen, der weiss sowas. Es ist aber auch dieselbe Melodie wie ‚My country t’is for thee‘, (Amerika) also nicht nur die englische Nationalhymne. Wikipedia weiss noch viel mehr ueber das Lied/Melodie, Sie wissen schon.

    1. Das war „Variationen und Fuge über `Heil unsrem König, Heil´“ bzw. über das englische Anthem von Max Reger ;D

  2. Wow, großartige Musik! Habe mich mit Freund_innen heute Abend zum Konzert verabredet, dann können wir gemeinsam hören an unserern nahen und fernen Orten.

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