Das Wetter ist alles andere als schön, aber wenn man es durch die Kameralinse betrachtet, gehts eigentlich. Und wenn man da draußen warm genug angezogen ist, dann wird es nachgeradezu schön. Man muss sich die Tatsachen immer nur wieder zurechtbiegen, dann passt das schon.

Also dick eingepackt morgens an den vernebelten, düsteren Katzenbuckel, höchster Berg im Odenwald, ehemaliger Vulkan undsoweiterundsoweiter; kein Auto auf dem riesigen Parkplatz am Wald, keine Menschenseele scheint hier unterwegs zu sein. Während ich noch die Hunde aus dem Kofferraum fummle, kommt aber doch ein kleines klappriges Auto mit sehr entfernter Autonummer angefahren, hinter dem Steuer ein hochgewachsener junger Typ mit wirrem lockigen Haar.

Man kennt das, insbesondere, wenn man Frau ist: Nähert sich in völlig verlassenen, vernebelten Gegenden eine männliche Gestalt, erstmal die Lage checken. Und gegebenenfalls den Rückzug antreten. Naja, Sie wissen schon.

Also ein bisschen warten, was der Typ so macht, nachdem er ausgestiegen ist und mich gemustert hat. Holt er einen Hund aus dem Auto? Dann Entwarnung. Holt er nicht. Stattdessen aber eine wunderschöne alte Kamera und ein Monster von einem Teleobjektiv. Also doch Entwarnung. Mein Hobby-Fotografinnen-Herz lacht.

Wir kommen ins Gespräch über analoge Fotografie und seine schicke Ausrüstung, wir fachsimpeln ein bisschen und ich sage ihm, wo er hier am Katzenbuckel die besten Nebelbilder machen kann. Alles per Du, der Typi ist ja höchstens Mitte Zwanzig. Und trotzdem analog unterwegs. Entwickelt die Bilder selber, die Dunkelkammer hat er von irgendwem geerbt. Sehr sympathisch, und alles äußerst schön.

Und wie schön, dass der mich duzt! Unter meiner Schal-Mütze-Handschuhe-Verkleidung kann er ja nicht ahnen, dass ich fast seine Oma sein könnte, deutsche Vermummungsverbote gelten bei eisigen Temperaturen nicht, und vielleicht wird der Winter dann deswegen doch noch irgendwann meine liebste Jahreszeit.

Ich hatte natürlich den ganzen grauen Tag nur das olle Händi dabei. War aber trotzdem schön.

Schön sind ja auch die wöchentlichen Video-Konferenzen mit der Cousine, die – um es vorsichtig zu formulieren – nicht gerade um die Ecke wohnt. Sondern in Neuseeland, also quasi am anderen Ende der Welt. Wunder der Technik, diese Gespräche, über Kontinente, Jahres- und Tagezeiten hinweg. Man kann mich mit moderner Technologie kaum noch beeindrucken, ich halte da schon von berufswegen durchaus mit und bin allerlei gewöhnt, – aber Gespräche in Bild und Ton quer über den Erdball machen mich noch jedes Mal völlig fertig vor Staunen und Begeisterung.

Die fröhliche Cousine in kurzen Hosen bei geöffneter Terrassentür, draußen die frühsommerliche Abenddämmerung, der helle Vollmond und bald Schlafenszeit; hier hingegen frostiger Morgen, Ofen bullert, Frühstück auf dem Tisch, der Tag liegt noch ganz frisch und munter vor uns. Ist es jetzt bei Dir auch Donnerstag, oder Freitag oder Mittwoch?, muss ich jedes mal fragen, und Hääää? ich habe da in Erdkunde offenbar nicht aufgepasst. So rächt sich das.

Schön, diese Möglichkeit der Kommunikation, es ist ja noch gar nicht so lange her, da hätte man noch Briefe schreiben müssen, und die waren dann vermutlich wochenlang unterwegs, Luftpost hin oder her. Und noch früher mussten berittene Boten los, ich bin mir aber gar nicht sicher, ob die vom Odenwald bis nach Neuseeland gekommen wären, ich werde das mal recherchieren müssen. Zumindest mussten die sicher unterwegs mal das Pferd wechseln, diese weite Strecke hält ja doch kein Mensch in einem Stück aus.

Ja, doch, die Mutter der Cousine (=meine Tante), die hält das aus, sie ist gerade zu Besuch und winkt fröhlich in die neuseeländische Kamera zu mir in den Odenwald, der Flug Frankfurt-Auckland war super, sagt sie mit ihren fast 84 Jahren, mir ist das gar nicht lang vorgekommen!. Waren nur zwölf Stunden bis Singapur, dann sieben Stunden in einem singapurianischen Warteraum rumsitzen, dann nochmal zwölf Stunden bis Neuseeland, die Reise hat also insgesamt nur etwas über 30 Stunden gedauert, überschlage ich kurz im Kopf, was will man mehr, ja, nee, is klar.

Ich fühle mich vorübergehend doch etwas provinziell, ich verlasse den Odenwald nur selten, und war in meinem ganzen Leben erst ein einziges Mal auf einem anderen Kontinent. Urlaube im Elsass sind für mich schon Fernreisen.

Aber vielleicht, eines Tages, wenn ich fast 84 bin: dann mal nach Neuseeland. Man soll ja Pläne machen. Und solche Aussichten sind ja auch schön. Ich würde dann auch eine vernünftige Kamera mitnehmen, nicht nur das Händi.

2 Kommentare zu “Was schön war.”

  1. Über die Wunder der Technik staune ich auch sehr oft. Allerdings bin ich in manchen Bereichen noch sehr „old school“. Ein Smartphone ist sicher praktisch, aber mir reicht immer noch ein Handy. Telefonieren und SMSen, alles andere wird mit dem Computer erledigt.
    Eine analoge Kamera besitze ich auch noch, wäre interessant, was dabei ‚rauskäme, wenn ich den seit vielen Jahren eingelegten Film entwickeln ließe …
    Liebe Grüße ins Nachbarland, C Stern

    1. Vor einigen Jahren hat man mir ein Smartphone aufgenötigt, aber ich benutze keine einzige der „smarten“ Funktionen. Eigentlich benutze ich das Telefon sowieso kaum, ich find’s nur besser, beim Autofahren eins dabei zu haben, weil, könnt‘ ja was passieren. Und hin und wieder, wenn ich auf einen Anruf warte, schätze ich die Anrufweiterleitung vom Festnetz.

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