4 Uhr 30, Vatertag-Feiertag. Die senile Bettflucht schlägt erbarmungslos zu. Vielleicht ist es aber auch nur die Aufregung der vergangenen Tage, die unsereinen nicht schlafen lässt. Ich meine: Hallo?!, gehen Sie mal abends nett mit zwei Freundinnen im Odenwald essen und kommen dann mit zwei Freundinnen und fünf jungen piepsenden Hühnchen wieder nach Hause. So ganz normal ist da ja nicht.

Man Frau fühlt sich da in längst überwunden geglaubte mütterliche Verantwortlichkeiten zurückversetzt. Geht es den Kleinen gut, sind sie gesund? (Ja, offenbar.) Werden die älteren Geschwister garstig zum Nachwuchs sein, sie an den Haaren ziehen, beißen oder kratzen, bis einer heult? (Nein, bisher nicht.) Finden die Hühnchen auf Anhieb nachts ins Bett, oder werden wir sie in der Finsternis mit der Taschenlampe suchen, dann aus Bäumen und Sträuchern pflücken und eigenhändig in den Stall tragen müssen? (Nein, sie benehmen sich, als seien sie von Geburt an hier zu Hause.)

Komplett verwirrtes Althuhn.

Wird der Gehegezaun halten, was er verspricht? (Natürlich nicht, er hat lauter Löcher, durch die klitzekleine Hühnchen locker durchspazieren können, und so kriecht die Frau Superduper-Inlands-Korrespondentin hektisch und fluchend durch nasse Erde und Brennnesselgebüsche, um den blöden Zaun zu reparieren, während der offiziellen Dienstzeit, HühnchenHomeOffice quasi, hoffentlich liest meine Chefin nicht mit.)

Jedenfalls ist seit Anfang der Woche der meistgesprochene Satz hier im Hause: Ich geh mal kurz nach den Hühnchen gucken. Normale Frauen sagen zu ihren Ehemännern: Ich liebe Dich. Ich sage ca alle 60 Minuten: hast Du mal nach den Hühnchen geguckt?

„Hä? Was sind das für kleine Hühnchen da?“ – „Keine Ahnung, Erna, – wir müssen das mal beobachten.“

Also nochmal: Falls Sie jemanden kennen, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der fünf Hühnchen vermisst, mutmaßlich Paduaner-Sundheimer-Mixe, Großraum Buchen, Oberneudorf-Einbach nahe der B27 die Ecke: Sie sind hier. In Sicherheit. Klein Hühnchen möchte bitte aus dem Kinderparadies abgeholt werden. (Mit IKEA-Stimme gesprochen)

Kaum, dass sich die Hühnchen-Aufregung ein bisschen legt, verliere ich dann im Städtchen meine EC-Karte. Das merke ich, als die Polizei mich anruft (woher haben die eigentlich meine private Handy-Nummer?) und mich fragt, ob ich zufällig meine EC-Karte verloren habe.

Zwei vergleichsweise kleine Jungs haben sie auf dem Revier abgegeben, und weil auch die Polizei das vorbildlich findet, haben wir mal das ganze Programm aufgefahren für die beiden, sagt der freundliche Polizist: Führung durchs Revier, Uniformen erklärt, Mannschaftswagen gezeigt, mal in einen Streifenwagen gesetzt. Win-Win-Situation, sozusagen.

Jedenfalls sage ich am Telefon zu, dass ich auf der Fahrt zum nächsten Diensttermin gleich am Polizeirevier vorbeikommen und die Karte abholen werde. Zu dieser Veranstaltung schicke ich eh einen Streifenwagen, der nimmt die Karte mit, dann sparen Sie sich diesen Umweg, bietet der Polizist am Telefon an. So geht das im Odenwald.

Dumm nur, dass mir – kaum, dass ich mich dem besagten Veranstaltungsort nähere -, das angekündigte Streifenfahrzeug entgegenkommt, mit Blaulicht und in rasender Fahrt. Ich weiche auf der Fahrbahn aus und denke so bei mir Oh, da fährt meine EC-Karte, wohin auch immer. Kurzfristig abberufen zu einem Verkehrsunfall am anderen Ende des Landkreises. Kleine EC-Karte auf großer Fahrt. Am Abend landet sie dann doch wieder auf dem Revier im Städtchen, wo ich sie schlussendlich abhole.

Telefonisch bedanke ich mich bei den beiden 12jährigen Findern, wirklich von ganzem Herzen. Mit piepsiger Stimme sagt einer der beiden Ach, ich finde das eigentlich selbstverständlich, und vielleicht möchte ich ihn durch die Leitung hindurch küssen. Heute jedenfalls erstmal Gutscheine für die Eisdiele kaufen gehen, es soll den beiden an nichts mangeln im bevorstehenden Sommer.

(Oder sollte ich den Jungs zum Dank vielleicht fünf Hühnchen schenken? Ich hätte da welche, und die Jungs würden sich doch bestimmt freuen, oder? Nur so eine spontane Idee.)

Ja, so ist das ach-so-langweilige Landleben.

Naja, Sie wissen schon.

7 Kommentare zu “Hühnchen und andere Aufregungen.”

  1. …mal wieder: Begeisterung für Beitrag und Bilder !!
    Mit Dank einen guten Morgen wünscht,
    Gabriela

  2. Herrliche Geschichte, sie zaubert ein Lächeln in mein Gesicht… uns wunderbar geschrieben. Liebe Grüße an den Nachwuchs 😉

  3. Tja, so ist das bei uns auf dem Land. Die einen finden Hühnchen, die anderen EC-Karten. Und alles geht seinen Gang.
    Wenn denn nur die Hühnchen beringt wären… ;-)
    Hab‘ einen schönen Tag,
    Rolf

  4. Immer wieder erstaunlich, welche Geschichten das Leben schreibt. Über gefundene Hühner, zuvorkommende Polizisten und tolle Burschen lese ich mit großer Freude.
    Man wird hier immer wieder überrascht,
    liebe Grüße in den Odenwald, C Stern

  5. Wenn du morgen an den Forellenteich fährst und ein Krokodil dort rumschwimmt, dann, aber spätestens dann, solltest du wirklich mal nach der versteckten Kamera suchen 👀

    Herzliche Grüße von deinen Hühnchen-Freundinnen

  6. Vielleicht solltest du den Jungs tatsächlich Hühnchen schenken. Zwei halbe gebratene. In meiner Gegend kam eine Zeit lang jeden Donnerstag so ein Hendlbratfahrzeug auf den Rewe-Parkplatz, und zur Mittagszeit sah ich da Leute mit Gutscheinen bezahlen. „Von der Firma“, sagten sie, und dass sie einen netten Chef hätten. Wie ich solche Gutscheine bekommen könne, wollte ich vom Hendlbratbeauftragten wissen, aber das herauszufinden scheiterte an seinen mangelnden Sprachkenntnissen. Doch ganz bestimmt gibt’s da im Odenwald ein Lokal, wo man Brathendlgutscheine erwerben kann.

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