Ankommen, ausatmen. Mal einen Gang runterschalten, oder auch zwei oder drei. Der Zeit beim Vergehen – und der Sonne bei ihrem Lauf über den Himmel zusehen, sonst nichts tun. Gar nichts.

Die Vogesen haben uns wieder, das Ferienhaus mit großem Garten. Zwischen alten knorrigen Obstbäumen können die Hunde springen und wir in der Wiese sitzen. Drumherum ein paar wenige Häuser in weiter Ferne, viel Landschaft, viel Wald. Fast wie zuhause, und doch ganz anders. Wir hören die zeternden Elstern, hinter dem Haus die Schafe, am Waldrand eine Säge, brummend fliegen Libellen vorbei. Der erste herbstliche Wind raschelt freundlich in den Baumkronen und lässt Sonnenflecken auf dem Boden tanzen, und ich denke bei mir So klingt Urlaub.

Urlaub in den Vogesen aber ist immer auch Geschichtsunterricht. Wo man geht und steht. Wir wollen es ja so, wir wollen alles erfahren, alles wissen. In die Urlaubs-Klänge mischen sich in den Vogesen immer wieder andere Töne: Zwischen Vogelstimmen und rauschendem Wind in den Bäumen, zwischen dem fröhlichen Geschrei der Kinder auf dem nahegelegenen Schulhof und dem Gewimmer einer Motorsäge im Wald ist immer dieses Grundrauschen im Hintergrund: ein mal dumpfer, mal metallischer Klang, mal lauter, mal leiser. Manchmal bilde ich mir ein, ich hörte ihn überall und immerzu, und je leiser es um mich herum ist, desto deutlicher. Es ist, als gäbe die Vergangenheit hier Geräusche von sich. So eine Art Seufzen der ganzen Welt.

Ich bin noch nicht weit rumgekommen auf dieser Welt, aber ich war noch in keiner anderen Gegend, die so viele Kriege, so viele Schlachten, so viele Tote gesehen hat wie die Vogesen. In der friedlichen Landschaft überall Soldatenfriedhöfe, Denkmale für Gefallene, für Deportierte; in den Hügeln und Wäldern die Überreste von Schützengräben und Frontlinien, die Ruinen von Unterständen, Bunkern, Lazaretten. Hier ist das Grundrauschen besonders laut zu hören, wie ein sirrendes, fieses Geräusch. Man kann zu den entsprechenden Gedenkstätten und -orten hinfahren und hin-hören, man muß es aber nicht.

Aber selbst, wenn wir zum Einkaufen ins Städtchen fahren, durch die typischen engen Gassen einer französischen Kleinstadt, hinüber zum riesigen Supermarkt, selbst dann hören wir die Geräusche im Hintergrund. Die Stadt Bruyères ist verpartnert mit Honululu, auf das entsprechende Schild sind wir seinerzeit bei unserem ersten Besuch aufmerksam geworden. Und neugierig. Honululu?

Die Geschichte dieser Städtepartnerschaft ist lang, sie handelt von japanisch-stämmigen US-Soldaten aus Hawaii und sie führte uns nach ein paar Recherchen direkt in eine der schlimmsten, wochenlangen Schlachten des Zweiten Weltkriegs mit Tausenden von Toten, zu der Schlacht von Bruyères. Mehr Tote als die Kämpfe in der Normandie habe diese Schlacht gefordert, lese ich im Internet. Nicht weit entfernt, bei Epinal, erzählt der weltweit größte (?) amerikanische Soldatenfriedhof außerhalb der USA davon. Im September und Oktober 1944 war das, vor 80 Jahren, eigentlich noch gar nicht lange her. Daran denke ich, während ich im Supermarkt in Bruyères zwischen Käse- und Weinabteilung hin und her-schlendere.

Am Nachmittag treffen wir den Nachbarn von gegenüber vom Ferienhaus, wir wollen von ihm wissen, ob es die zahme Elster noch gibt, die uns hier schon bei früheren Aufenhalten besucht hat. Leider spreche ich kaum Französisch, zumindest keines, in dem Worte wie zahme Elster vorkommen, und er spricht kein Deutsch, und wir können uns auch auf keine andere Sprache einigen. Auf die Idee, das smartphone als Dolmetscher einzusetzen, komme ich nicht.

Also unterhalten wir uns mit Händen und Füßen und recht schnell wird klar, dass es uns um die zahme Elster geht, er deutet mit den Armen einen Flügelschlag an und ich sage, ja, genau, blanc et noir! Schwarz-weiß, wie eine Elster eben.

Pantomimisch mache ich ihm vor, wie die Elster auf meiner Schulter herumgeturnt ist und mich manchmal in die Ohren gezwickt hat, und ja, ihn hat sie auch gezwickt, er zwickt sich grinsend in Ohren und Nase, aber sie ist verschwunden, für immer, auf und davon, auch das deutet er pantomimisch mit wedelnden Armen an. Mein Geo fragt dauernd Was hat er gesagt? und ich antworte Guck doch hin, dann verstehst Du ihn!, und am Ende lachen wir uns halb schief, der französische Nachbar und wir.

5 Kommentare zu “Ankommen. Ausatmen.”

  1. Vielen lieben Dank – mal wieder – und diesmal ganz besonders für die Erinnerung an die Geschichte und die Folgen die es hat, wenn Menschen glauben, besser/wertvoller als ihre Nachbarn zu sein.
    Erholsame Urlaubstage euch beiden wünscht
    Gabriela

  2. weltweit größte amerikanische Soldatenfriedhof außerhalb der USA…das hat uns jetzt gepiekt, dass wir den nicht kennen, obwohl wir ja gerne mal in den Vogesen unterwegs sind…aber ich finde nichts dazu? Oder meinen sie den in Epinal, aber der ist nur halb so groß wie Colleville in der Normandie.
    Wobei auch 5000 Gräber viel zu viele sind…als Wettbewerb taugt das Thema ja nun wirklich nicht

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert