Nach dem gestrigen herbstlichen Faden im Blog musste ich doch nochmal über geflügelte Worte nachdenken, insbesondere über die innerfamiliären. Über diese Sätze, die immer wieder fielen, dann eines Tages Flügel bekamen und nun von Generation zu Generation weiterfliegen, weiter genutzt werden. Sätze, die denjenigen, der sie vor Jahren und Jahrzehnten erdacht und ausgesprochen hat, irgendwie unsterblich machen.
Ärgerte ich meine Mutter bis zur Weißglut, pflegte sie sehr deutlich und sehr diszipliniert zu fragen Sachma, willst Du vielleicht mal eine geknallt haben? Es knallte (fast) nie, denn alleine die Frage sorgte dafür, dass ich den Rückzug antrat. Der Satz hat dennoch oder deswegen Eingang in meinen Alltag gefunden, und wenn ich den Gatten oder die Hunde streng frage Sachma, willste vielleicht mal eine geknallt haben, dann sehen alle vor ihrem inneren Auge die tiefrot blinkenden Alarmlämpchen.
Wenn irgendwas Dummes oder Nerviges zum x-ten Mal passiert, pflege ich, pflegen viele in der Familie auszurufen Nicht schon wieder, Mariannchen, nicht schon wieder!
Und das kommt so:
Meine Großmutter Marianne kannte Gott und die Welt, überall. Ging ich mit ihr zum Einkaufen in Freiburg oder war sie bei uns in Berlin zu Besuch, immerzu traf sie Leute auf der Straße, die sie aus mir komplett unerfindlichen Gründen kannte, immer war es ein Ja, lieber Herr Kaufmann, was machen Sie denn hier? oder ein Ach, Gertraude, na, das ist ja ein Zufall, dass wir uns treffen!.
Man konnte nirgendwo mit ihr hingehen und inkognito bleiben, sie kannte und traf überall jemanden, und ständig musste man stehenbleiben und plaudern. So faszinierend das für mich als Kind war, so anstrengend muß das für meinen Großvater gewesen sein, der ja dauernd mit-stehenbleiben und mit-plaudern musste, ob er die Leute nun kannte oder nicht. Es war ihm ausgesprochen lästig, so erzählt man sich. Aber er war ja gut erzogen.
Und nun begab es sich, dass die ganze Familie im Krieg aus Berlin rausmusste, weg von den Bomben. Mit einem rumpelnden Zug ging es über Land, und plötzlich gab es Alarm, alliierte Bomber näherten sich dem Zug, der blieb mitten in der Pampa stehen. Jeder nahm die Beine in die Hand und rannte quer durchs Gelände in die Richtung eines kleinen Weilers, irgendwo im Nirgendwo, die Leute rannten um ihr Leben, Großvater, Großmutter, und die Kinder auch. Rein in das nächstbeste Gebäude, und hier alle runter in den Luftschutzkeller.
Dort kauerten in der Dunkelheit schon einige verängstigte Gestalten, Großvater, Großmutter und die Kinder kamen in letzter Minute keuchend hinein, dem Tode entronnen. Großmutter versuchte sich in der Finsternis ein Bild zu machen von der Lage, sie schaute herum und rief dann quer durch die kleinen Luftschutzkeller Tante Ursula, Du auch hier???, woraufhin der Großvater zwischen den zusammengebissenen Zähne zischte Nicht schon wieder, Mariannchen, NICHT SCHON WIEDER!
Und dann war da noch meine Urgroßmutter, die den legendären und immer wieder zitierten Satz prägte Bei Leuten, bei denen man vom Fußboden essen kann, schmeckt es meistens leider dementsprechend. Ich glaube, die Urgroßmutter konnte weder putzen noch kochen, vielleicht war es auch nur der pure Neid, und jedenfalls müsste es dementsprechend bei mir daheim ausgesprochen gut schmecken.
Naja, Sie wissen schon.
Von meiner Mutter kam immer bei Ungerechtigkeiten der Satz als Trost: Gottes Mühlen mahlenl langsam,aber fei n und sicher.Heute denke ich oft daran,wenn ich mitkriege,dass jemand krank ist oder sonst Schlimmes passiert ist, die Mühle hat gemahlen
Aus dem Odenwald kommend: meine Mutter sagte immer: du hast Recht und ich meine Ruhe ( du hosch räicht unn ich mei ruh)
„…nicht schon wieder — NICHT SCHON WIEDER“ mit Blick auf die heutigen Landtagswahlen!
Bayerischer Wald. Meine Mutter sagte ungefähr dasselbe, nur auf Bairisch: „I glaub, du brauchst a Watschn!“ Als ich älter wurde und ihr immer berichten sollte, wo ich war und was ich da getan hatte, kam oft ein „Geh, du luigsd [lügst] doch!“ Sehr häufig hat das sogar gestimmt, aber das Großartige war: Sie ging anschließend einfach zur Tagesordnung über und hat nie weiter nachgefragt.
Meine Großmutter erzählte oft von dem ehemaligen Dorfpfarrer, der ein Nazi war und Nazi-Parolen predigte, und mit Ankunft der Amerikaner zum CSU-Anhänger mutierte. „Traut nie Männern in schwarzen Kutten!“, ermahnte sie uns immer wieder.
Meine Oma sagte (aus dem kurpfälzischen stammend) immer wenn sie sich über etwas ärgerte oder es ihr mit uns zu bunt wurde: „Kind Gottes in der Hutschachtel“ – wir haben nie herausgefunden warum Jesus in welcher Hutschachtel lag…
Wenn wir uns beim Familienessen die Gläser mit Mineralwasser füllen, kommt unweigerlich: „Wenn mir das jemand mal gesagt hätte, daß Wasser so gut schmeckt, hätte ich früher schon welches getrunken.“