Die Zeichen mehren sich: Die Afrikanische Schweinpest steht vor der Haustür. Überall nagelneu zusammengezimmerte Hochsitze im Wald, die warten auf ihren Einsatz im Unterholz, und wir warten täglich auf die entsprechenden Bestätigungen der Behörden.

Die Hunderunde am Morgen gleicht einem Gang durch eine riesige ungelüftete Waschküche, das bisschen Regen in der Nacht hat nicht für die erhoffte Abkühlung gesorgt, ganz im Gegenteil, die stickige Luft ist zum Schneiden dick und klebrig. Aber ich will nicht meckern.

Teile der Verwandtschaft sind im Urlaub in südeuropäischer Lage, der eine meldet große Waldbrände, die aber zum Glück fünf Kilometer entfernt vom Hotel sind, der andere berichtet von schweren Überschwemmungen vor Ort, aber gottlob ist das Ferienhaus nicht betroffen. Im Radio erzählt eine Hörerin per Telefon vom Ferienwetter auf Sardinien, 42 Grad, sie kann nur regungslos auf der Terrasse liegen, und die Terrasse liegt ihrerseits im Schatten, also alles bestens. Naja, Sie wissen schon.

Mich erhitzen derweil ganz andere Dinge, trotz sinkender Temperaturen. Seit Frau Geywitz, unsere Bundesbauministerin, – seit Klara Geywitz also ihre nicht mehr ganz neue Idee aufgewärmt hat, dass gegen die Wohnungsnot in Großstädten nur der Umzug aufs Land hülfe, seitdem also haben die Medien ein neues Sommerlochthema entdeckt: Großstädter auf dem Lande. Gerne in der beliebten Selbstversuch-Version: Unsere Autorin ist für vier Monate aufs Land gezogen! oder Landleben: Wie eine Berliner/Hamburger/Kölner Avantgarde-Künstlerin an ihrem neuen Wohnort gescheitert ist.

In großen Artikeln werden dann die Betroffenen befragt, also die hoffnungsfrohen/enttäuschten/resignierten/verzweifelten Großstädter, die den Selbstversuch gewagt haben – mit jeder Menge Einschränkungen und Kompromissen, versteht sich -, dazu kommen Soziologen und andere Wissenschaftler aus Universitätsstädten zu Wort. In manchen Artikeln darf auch ein Provinz-Bürgermeister was sagen, so Sachen wie: Wir müssen den Leuten aus der Stadt was bieten, Kino, Kunst, Kultur. Also das Städtische aufs Land bringen, damit das Land ein bisschen weniger öde ist.

Aktuell habe ich dazu einen Artikel im Spiegel gelesen, leider hinter einer Bezahlschranke, Wir waren unserer Zeit oft voraus, stellt da etwas resgniert eine Künstlerin fest, die auf dem (offenbar per se rückständigen) Lande alles neu und alles besser machen wollte. Eine Kolonie für Kreative stand auf ihrem Landleben-Plan, und eine schicke neue Uferpromenade an dem Bach im kleinen Ort. Das ist doch kein schöner Ort zum Sitzen!, befand sie, aber die anderen Bewohnerinnen und Bewohner zogen irgendwie nicht so richtig mit. Dabei meinte sie es doch sicher nur gut mit ihnen.

Warum die Alteingesessen keine schöne neue Uferpromenade, keine Veränderungen im Sinne der Zugezogenen wollten, – ich hätte es gerne erfahren, aber es bleibt leider unklar. In der langen Reportage kommen sie nicht ein einziges Mal zu Wort. Nirgends. In keiner dieser Reportagen werden sie befragt. Zumindest in keiner von all denen, die ich bisher dazu gelesen habe, und das waren schon etliche.

Vielleicht würde man dann hören oder lesen, ob oder warum die Menschen auf dem Lande Kino, Kunst, Kultur, Konsum gar nicht so wichtig finden, oder ob sie irgendwie andere Vorstellungen von einem gelingenden Leben haben, und wenn ja: welche?, dass sie womöglich eine ganz eigene Definition von Zuhause oder Heimat haben, dass sie sich nur ungerne etwas überstülpen lassen, ungefragt, von oben herab. Ich weiß es nicht. Ich habe wirklich keine Ahnung. Aber es könnte zumindest so sein, und wenn man sie befragen würde, bekäme man zumindest (oh Wunder) Antworten. Und das wiederum könnte (nächstes Wunder oh Wunder) zu einer Art Austausch führen. Ich meine: Wow!, das muß man sich mal vorstellen.

Jedenfalls kommt im besagten Artikel im Spiegel auch ein Professor für Kulturgeographie an der Universität Bamberg vor, der immerhin die weisen Worte spricht: Man muß auch die Alteingesessenen mitnehmen!, und das möchte ich gerne mal den frustrierten Städtern auf dem Lande zurufen, und den Reportern und Reporterinnen aus den großstädtischen Redaktionen sowieso.  

(Ich bin ja ohnehin der Überzeugung, dass großstädtische Journalisten mal für mindestens ein Vierteljahr in eine ländliche Lokalredaktion sollten – und umgekehrt Redakteure aus der vermeintlichen Provinz für ein Vierteljahr in eine Großstadt, das könnte sehr helfen, aber auf mich hört ja leider niemand.)

P.S.: Der Gatte bloggt. Der ist ja eigentlich auch ganz zufrieden aufm Land, obwohl er aus der Großstadt kommt.

13 Kommentare zu “Dies und Das vom Sonntag”

  1. Interessant, daß es auch im Jahre 2024 noch eine Diskussion über „Stadt-Land“ gibt, die zeigt, wie schwer es ist, unterschiedliche Lebens-Gestaltungs-Formen ohne (Ab-)(Wertung wahr-zunehmen. Wie sieht es dann im Umgang mit Menschen aus, die in ganz anderen Kulturen und Gesellschaften sozialisiert sind?
    …ein weites Feld!
    Einen schönen Sonntagabend!

  2. Es ist so richtig, was Sie schreiben! Die Natur hält mindestens so viele Erkenntnisse und Erfahrungen bereit, wie sie die teils überzüchtete und verkopfte Kultur kaum bietet. Die Überheblichkeit so mancher Großstädter ist mir unverständlich und zeigt eher einen begrenzten als einen weiten Horizont.
    Auch wenn ich hier nur still mitlese, verpasse ich seit vielen Jahren keine Ihrer Geschichten und freue mich jedesmal, wenn es wieder eine neue gibt. Danke für stets herzerfischende Lektüre
    Beate

  3. Ach ja, so ist es leider. An der Schule gibt es Kollegen, die jeden Tag fast 50 km hier hoch fahren aus der Stadt auf das Land, und am Nachmittag wieder zurück. Auf keinen Fall wollen sie hier leben, keine Kultur, keine Angebote, nichts. Und gibt es welche, sind sie zu provinziell. Wenn ich dann frage, welche Theaterstücke sie denn empfehlen und welche Ausstellung, wird es etwas eng. Meinem Eindruck nach nutzen sie die in der Großstadt auch nicht.
    Es gibt trotzdem Menschen, die hierher aufs Land ziehen und friedlich sind und sich einfügen. Man muss halt reden mit den Nachbarn, dem Gemeinderat, die Zeitung abonnieren, sich interessieren.
    Am Bach sitzen, wie amüsant.

  4. Gerade am Wochenende wieder erlebt. Der Überraschungsbesuch, eine Schulkameradin von ganz früher, erzählt, man suche seit 6 Jahren ein Haus auf dem Land, um dem zunehmend ungemütlicher werdenden Berlin zu entfliehen.
    S-Bahn-Anbindung sollte schon sein, man will ja auch spontan in die Stadt und bitte keine Spießer als Nachbarn. Eine Künstlerkolonie wäre toll. (Man selbst hat alle durchaus talentbasierten Versuche, Künstlerin zu werden, aufgegeben – zu anstrengend – und hangelt sich durch das prekäre Seiteneinsteigerlehrerkraftdasein)
    Aber letztendlich sei man immer froh, wenn man nach Ausflügen ins Umland ins heimische Kreuzberg zurückkehrt.
    Ich habe selten so große Distanz zu einem Menschen verspürt.

    1. Das Politische macht mir auch große Probleme. Wir haben im Dorf Zahlen wie in Sachsen. Und sehr viel Plakatives. Die Bauern sind im Verfolgungswahn, man will ihnen was. Und dabei stehen da Traktoren im sechsstelligen Bereich. Und man möchte die Wiesen versilbern und die, die dann kommen, bindet man nicht ein.
      Na gut, ich verlasse die Sachebene nicht, gehe auf Hetzsprüche nicht ein und argumentiere. Sauanstrengend.
      Und ich versuche nicht zu denken “Du Depp”. Das würde man mir ansehen.

      1. Nach meiner Erfahrung mit denen, die teure Traktoren auf dem Hof stehen haben ist es oftmals so, dass die ungefähr so reich sind, wie die, die auf dem Kurfürstendamm mit teuren Sportwagen verbotene Autorennen fahren: Die Geräte sind finanziert oder geleast. Traktoren haben im Gegensatz zu einem AMG wenigstens einen Nutzen.

        Und wenn die Kapriolen des EU Subventionsregimes als Bestandteile der bäuerlichen Anekdoten nicht so traurig wären, dann wäre es schon fast wieder lustig und so ein bisschen beschleicht einen schon das Gefühl, dass die den Bauern „was wollen“.

  5. „Man muß auch die Alteingesessenen mitnehmen!“
    Verstehe ich richtig, dass dieser Professor den Neuen aus der Stadt mit dieser Aussage einen impliziten Vorrang einräumt?
    Ich glaube, da nimmt er den (aus meiner Sicht) falschen Standpunkt ein.
    Müsste nicht umgekehrt ein Schuh draus werden?

  6. Oh, dann sollten die Soziologen, Professoren und Dings vielleicht mal mit den Leuten vor Ort reden als nur über sie. Vielleicht brauchen dir gar keine Promenade am Bach, sondern einen Bus, der regelmäßig (und nicht nur außerhalb der Ferien) in die nächste Stadt fährt. Oder einen Zug, der nicht nur vorbeirauscht, sondern auch dort hält. Und verlässliches Internet und Mobilfunknetz.
    Meine Menschen vom Dorf buchen sich zu Theater/Konzert/Sportveranstaltung usw. fast immer auch eine Übernachtung, weil sie eben abends nicht mehr nach hause kommen. Muss man sich auch leisten können.
    Viele Grüße

  7. Ja – das sind schon interessante Ansichten so mit dem auf´s Land ziehen…

    …etwas weltfremd und volksfern scheint nicht nur Frau Geywitz in dieser Hinsicht zu sein, die auch bei der spontanen Erkenntnis über die unwirksame Mietpreisbremse zu so einer Aussage wie dieser fähig ist: „Aber wir haben natürlich keinen Babysitter-Nanny-Staat, der sich in Vertragsbeziehungen zwischen zwei Privatpersonen mischt.“

    Zu guter Letzt gibt sie damit noch zu, was so ewige Meckerer bereits von Anfang an gesagt haben, dass nämlich dieses Gesetz nur Makualtur ist? Dann hätte man sich das auch gleich ganz sparen können. Das es nicht funktioniert, sieht man ja dabei an den Mondmieten.

    Es ist m.E. auch ein Unterschied, ob jemand für die Story mit dem Wissen um die Endlichkeit des Versuchs auf das Land zieht oder ob es wirklich etwas Dauerhaftes sein soll. Und wenn ich da keinen Drive und Bock auf Ländliches habe, sondern meine, dass in einem Dorf mit vielleicht nicht einmal vierstelligen Einwohnerzahlen und einem ganz anderen sozialen Gefüge quasi aus dem Stand urbanes Leben explodieren soll, dann ist das vielleicht so wie e bissel der falsche Ansatz.

  8. Prof für Kulturgeographie
    Na der muß es ja wissen
    Mir ist im Beruf, Technik/Industrie, aufgefallen, daß die jungen Leute vom Land wesentlich fitter waren als ihre gleichaltrigen Kollegen aus der Stadt
    Man hat halt schon in jungen Jahren beim „Lägerle“ bauen mit Werkzeug umgehen gelernt, im Selbststudium, Sägen, Hammern, Schrauben
    Im Sportverein, Kicken und so, lernte man soziales Verhalten und mit Anstand gewinnen und verlieren
    Oder das Musizieren in der Blaskapelle, was auch die Birne schult
    Beim helfen in der Landwirtschaft, und sei es beim Freund, so die Familie selber keine hat, lernt man auch einiges, Traktorfahren steht hoch im Kurs
    Führerschein ??
    Diese Leute sind irgendwie erwachsener
    Auch wenn auf dem Land natürlich auch viele Idioten rumrennen, aber wo nicht
    Somit 100 Punkte für das Leben auf dem Land, zumal diese jungen Leute sich dann in der Stadt ruckzuck zurecht finden

  9. Ich bin jetzt aufs Land gezogen. Gerade, aktuell und ganz frisch. Ich passe mich
    den Einheimischen an, es ist lauter als in der Stadt da immer irgendwo ein Traktor knattert, irgendeiner was schleift,
    sägt oder bohrt. Bushaltestelle – 15 Minuten Fussmarsch. Spontanes Einkaufen mach ich auch nicht mehr ich esse was im
    Kühlschrank ist – aber es gefällt mir.
    Grüße Claudia

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