Dass der Wecker morgens um 2 Uhr 30 klingelt, das kenne ich eigentlich aus meiner beruflichen Vergangenheit, das sollte ich zumindest noch kennen, jahrelang hat er wochenweise um diese Uhrzeit geklingelt, montags bis samstags um 2 Uhr 30. Aber irgendwie kann ich mich heute früh nicht mehr erinnern, wie das ging: Zu nachtschlafender Zeit hellwach, zu allen beruflichen Taten und zur Verbreitung von guter Laune bereit zu sein, nein, ich kann mich leider beim besten Willen nicht mehr daran erinnern.
Aber das Boot ruft, und ich muß raus. Fahre brav mit 60 Sachen durch die nachtschwarzen Wälder und über die menschenleeren Straßen und weiß auch gleich, warum ich so langsam vor mich hinzuckele: Zweimal rettet mich nur eine Vollbremsung vor dem Frontalzusammenstoß mit einem Reh. Das nur mal als verkehrspädagogischer Hinweis der selbsternannten Landpomeranze zwischendurch: Je mehr Nacht und je mehr Dunkel und je mehr Leer, desto langsamer wird gefahren, haben wir uns da verstanden!?
Jedenfalls denke ich schon auf der Fahrt darüber nach, dass der Bereich, wo ich hinwill, weiträumig abgesperrt sein wird, und ich frage mich, wie ich wohl um 4 Uhr in der stockdunklen Frühe von einem Parkplatz zum Ort des Geschehens kommen soll, mutterseelenalleine und zu Fuß, durch eine Mischung von Parkanlagen, Industriegebiet und Ortsrandbebauung, so ganz wohl ist mir nicht bei dem Gedanken.
Ich höre im Geiste schon meine Schritte hallen in der Nacht und meinen Atem schneller werden, man liest ja dies und das über nächtliche Überfälle in ausgestorbener Gegend, und wo ist es nicht ausgestorben morgens um 4 Uhr?, und überhaupt sollte man als Frau nicht – undsoweiterundsoweiter.
So fahre ich also zu einem Termin mit einem U-Boot, morgens früh um Vier sind wir verabredet, das Boot und ich.
Und dann ist da am Ziel: Party. Und was für eine. Morgens um Vier.
Alles voll mit Menschen, laute Musik, Gesang und Gequassel, es gibt heißen Kaffee und Brezeln und U-Boot-Bier, der Bürgermeister verteilt U-Boot-Schokolade, es wird gelacht und fotografiert und fotografiert und fotografiert. Über mir in der Luft mehrere Drohnen, um mich herum wohl an die hundert Handys, dazu dicke fette Kameras mit noch dickeren Objektiven, die teuren Gerätschaften baumeln dekorativ an Hälsen oder sind auf Stative montiert, es ist nebenbei offenbar auch so eine Art Leistungsschau der hiesigen Hobbyfotografenszene.
Und der Star des Morgens: ein rostiges ausgedientes U-Boot, Baujahr 1970 oder sowas. Seit Wochen ist es in Süddeutschland unterwegs, um irgendwann mal in einem Museum in Sinsheim anzukommen. Überall entlang der Strecke versetzt das Boot die Menschen geradezu in Entzücken, sind die Leute fröhlich am Durchdrehen. Heute früh also in Haßmersheim im Odenwald Neckartal, da liegt es schon ein paar Tage, und am Morgen soll das riesige Ding vom Schiff auf einen 100-Meter langen Tieflader gezogen werden. Damit die Reise weitergehen kann.
Es ist eine Begeisterung entlang der Strecke, die seit Wochen überhaupt nicht enden will, bei jedem Zwischenstopp gab und gibt es Feste, Feuerwerk und Freibier, und die Massen strömen und kriegen sich gar nicht mehr ein vor lauter Wonne. Sowas sieht man nur einmal im Leben!!, schreit ein älterer Mann begeistert seinen Nebenmann an und fuchtelt in der Dämmerung furchterregend mit einem halbvollen Bierbecher herum, man kann die Ausrufezeichen förmlich hören. Jetzt kann ich endlich dieses fucking U-Boot sehen, Alter!, flüstert eine etwa Siebzehnjährige halbwegs überwältigt und starrt mit weit aufgerissenen Augen auf 350 Tonnen verrosteten Stahl im ersten Morgengrauen.
Ich mache meine Arbeit, dies und das, unsere online-Geschichte dazu schafft es sogar bis auf tagesschau.de (ich meine: Halloooo?), irgendwann ist das U-Boot tatsächlich an Land gezogen und parkt bis zur Weiterfahrt auf dem Landweg in der einzig ernstzunehmenden größeren Straße im Dorf, in der gesperrten Durchgangsstraße.
Währenddessen kommen immer noch mehr Menschen an, noch mehr und noch mehr, ganze Gruppen auf Fahrrädern, Motorrädern, kleine und große Familien zu Fuß, Oma, Opa und die lieben Kleinen, an den Autos Kennzeichen von sonstwoher, und um 8 Uhr machen dann auch die ersten Bratwurststände auf und zwischendurch singt ein offenbar kurzfristig aus dem Boden gestampfter Spontan-Chor We all live in a yellow submarine und alle klatschen und johlen und haben ihren Spaß.
Ick horche, kieke, wundre mir und denke nach. Aber vielleicht isses ja ganz einfach: Feste, Feuerwerk und Freibier; Friede, Freude, Fröhlichkeit. Und endlich mal nix mit Krisen, Krieg und Katastrophen. Eigentlich doch herrlich. Und beneidenswert.
Naja, Sie wissen schon.
P.S. Falls Sie das Boot und das Spektakel auch mal im Video sehen möchten: Hier (Klick) ist der erste Teil einer etwas längeren Reportage, die ein Kollege gemacht hat. Nicht, dass am Ende die ganze Welt von diesem U-Boot redet, nur Sie haben wieder nix gesehen.
Liebe Friederike – „Fitzcarraldo“ im Odenwald, sieht schlimm nach Amazonasfieber aus!
Unglaublich für welche f***king Projekte hierzulande Menschen begeistert werden können, Hauptsache sie sind sinnlos…
Also, ich finde die U-Boot-Fotos hier viel beeindruckender als im Fernsehen. Der Vater von einem Mitbewohner war U-Boot-Kapitän. Wenn ich das hier sehe, dann bekomme ich eine genauere Vorstellung von seinen Geschichten (denen des Kapitäns).
Das Boot ist aus meiner Sicht schon beeindruckend, ich bin nicht sicher, vielleicht wäre ich auch aufgestanden? Die Dimensionen sind es, die mich faszinieren. Hat man ja so noch nie gesehen.
Was da erst los wäre, könnte man das Boot auch innen sehen? Ich will mir das gar nicht ausmalen ;-)
Ein toller Bericht, meint C Stern und wünscht, dass das Schlafdefizit wieder aufgeholt ist.
Schöne Bilder!
Ich denke auch, es geht viel weniger um das Uboot, viel mehr um das Event an sich. Wenn es wirklich um das Uboot gegangen wäre, wäre man nach Speyer gefahren und hätte es einfach auf dem Parkplatz in Ruhe anschauen können. Oder sein Auto ganz alleine vor das Uboot stellen und mit voller Uboot Länge fotografieren können. Dieses Foto habe ich jedenfalls.
Was an der Stelle wo du dabei warst aber tatsächlich spannend ist, ist die Logistik. Das riesen Ding auf die Straße bringen, die ersten Meter auf der Straße, die ersten kniffeligen Kurven.
Ich war mal dabei, als in Dithmarschen ein neuer klobiger Chemiereaktor für die Raffinerie über eine historische, aber sonst nicht erwähnenswerte Brücke gebracht wurde. Wochenlang hat man eine über-brücke gebastelt, die nur den Reaktor rüber schlittern konnte, sonst nichts. Und dann haben wir uns die Prozedur mit vielen anderen Dithmarschern zusammen angeguckt. Es war eine Mischung aus Event und der Faszination, viel zu große Dinge über die Straßen zu bringen. Naja, aber ansonsten passiert halt auch nichts in Dithmarschen.
Generell find ichs aber gut, dass Sinsheim bald auch ein begehbares Uboot bekommt. Dauert zwar noch, aber dann muss ich mal wieder ins Technikmuseum, der letzte Besuch da ist schon laaange her.
Deine KI artige Gesichtsverfremdung finde ich etwas irritierend. Das löst bei mir „ist das Bild echt?“ als Frage aus.
Aber bis auf das Detail mag ich deine Fotos sehr, sie geben es exakt wieder, wie ich das Uboot auf den 2 Stationen wo ich war auch erlebt habe.
Grüße,
Nat
Die KI-artige Bild Verfremdung war einfach der etwas missratene Versuch, mittels radieren das Gesicht unkenntlich zu machen. :)
Liebe Friederike, liebe Alle,
ein kleiner noch ergänzender Kommentar bzw. die Hoffnung, daß alle U-Boote in Museen landen ohne im Einsatz gewesen zu sein.
Dann gerne: Volksfeststimmung!
Schöne Grüße,
Gabriela
Ich war zwar in Heidelberg, als das Boot dort Station gemacht hat, aber da ich das Ding schon vor Jahren in Speyer besichtigt hatte (obwohl – ist das das Boot, durch das man da durchlaufen kann oder ein Zweit-U-Boot? Geht der Trend zum Zweitboot?), bin ich nicht zum Neckar runter, sondern habe mir nur mit Entzücken die fröhlich hinwogenden Massen an glücklichen Menschen angeschaut. In der Straßenbahn ein Rentnerpaar, das offenbar zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Öffis nutzte, nur um das Boot zu besuchen und deshalb darüber genauso aufgeregt. Sehr, sehr bezaubernd!
Auch mal positive Ereignisse würdigen, genau!
„Feste, Feuerwerk und Freibier; Friede, Freude, Fröhlichkeit.“
Ach, wärs so einfach. Schon beim 2. U-Boot würden wohl die ersten meckern, was das jetzt ständig soll und überhaupt, das Bier sei viel zu warm.