Wir fegen weiterhin Wasser aus dem Keller, fangen es in der angrenzenden Halle in Bütten auf und legen Handtücher von innen vor die Terassentür, die kaputte Regenrinne spuckt uns schwallartig das Wasser ans und ins Haus, wir fluchen und maulen, aber Petrus bleibt unbeeindruckt. Der Mais auf den Feldern freut sich über den Dauerregen, das Getreide weint und keimt, die Einen freuen sich, die Anderen klagen, es ist wie immer, es ist kompliziert.

Wir kleben Wackelaugen auf Eier, damit die Eier-Kundschaft sich freut, es sind ja bekanntlich die kleinen Dinge. Was man halt so macht an einem verregneten Sonntag auf dem Lande. Die nassen Hunde stinken, der Kaminofen bulllert, das ist schön und warm, aber angeblich umweltschädlich (also der Ofen, nicht die stinkenden Hunde), also auch kompliziert.

Ich setze mich mit einem durch und durch un-komplizierten Buch aufs Sofa, versinke in der seichten Geschichte und lasse alles andere außen vor, das Wetter, das Klima, den Weltuntergang. Rückzug ins Private.

Der Rückzug ins Private ist allgemein schwer im Kommen derzeit, lese ich in der Zeitung, das beruhigt mein schlechtes Gewissen ein bißchen. Die Leute haben die Schnauze voll von Krisen und Nöten, sie schalten die Fernseh-Nachrichten ab und kaufen lieber eine neue Küche, eine neue Sitzlandschaft und machen es sich daheim schön gemütlich.

Ich brauche weder neue Küche noch neue Sitzlandschaft, aber der Rückzug ins Private, ins Idyll, der hätte ja schon was. Wie seinerzeit im Biedermeier. Und wo könnte man sich besser ins Private zurückziehen als hier auf dem Lande, wo doch ohnehin schon alles halbwegs idyllisch ist, – also, meistens – oder manchmal jedenfalls? Klingt das nicht wahrhaft reizvoll?

Wir würden uns nur um Häuschen und Gärtchen kümmern, gedanklich und überhaupt, um Hunde, Katzen, Federvieh. Wir würden nur noch zur Erbauung lesen, Gedichte oder Rezepte oder irgendsowas, und Musik hören oder selber abends an Cello und Hackbrett sitzen. Wir erfreuten uns am Duft der frisch gewaschenen Wäsche auf der Leine und dem Wiehern der Gäule auf der Koppel nebenan. Unser einziger Kummer entstünde, wenn die Kartoffeln nicht blühten oder der Basilikum murkelte, und die zentrale Frage eines jeden Biedermeier-Werktags hieße Wieviele Eier haben die Hühner heute gelegt? Oder, wie der Psychologe Stephan Grünewald sagt: Die Maximinierung der Zuversicht durch Minimierung des Gesichtskreises.

Sonntags sehe ich mich mit meinem Geo durch die Wiesen rund ums Dorf schreiten, ich hätte so ein dämliches Biedermeier-Hütchen auf und ein kleines Schirmchen in der Hand, überall Rüschen und flatternde Bändchen, alles in Pastell. Mein Geo mit zarten Biedermeier-Löckchen und Absatzschuhen vorneweg, es geht über romantisch-geschlungene Pfade, die nie einen klebrigen Kuhfladen, nie eine versiffte Gülle-Pfütze gesehen haben, und zwischendurch hält er im Schatten einer Eiche inne und deklamiert ein Gedicht. Alles wie beim (Klick!) Sonntagsspaziergang von Carl Spitzweg.

Schauen Sie sich das Biedermeier-Bild mal an, ja, da kann man wehmütig werden! Oder sehen die abgebildeten Herrschaften vielleicht so aus, als würden sie auch nur einen einzigen Gedanken an CO2-Ausstoß und Klimawandel, an E-Mobilität oder Verbrennermotor, an Ukrainekrieg, Atomgefahr und Rechtsruck verschwenden? Eben. (Hier müssen Sie jetzt einen tiefen Seufzer einfügen).

Biedermeier ist auch keine Lösung!, schimpft mein Geo und reckt die altgewordene Alt-68er-Faust Richtung Zimmerdecke. Er möchte ja immer gerne eine Revolution ausrufen. Wofür oder wogegen, das bleibt unklar, es muß sich doch aber was ändern!, ruft er. Das Wetter, die Stimmung im Land, die allgemeine Verdrossenheit, die Zaghaftigkeit, die kollektive Übermüdung und Erschöpfung, ich muß nur noch Mitstreiter finden!, sagt er, und dann rufen wir die Revolution aus!

Ja, aber vorher müssen wir noch die Regenrinne reparieren. Und jetzt erstmal Spiegeleier braten. Fürs Abendessen.

Und bevor er in die Revolution aufbricht, macht der Gatte auch noch schnell Werbung, (Klick!) für unser gemeinsames Buch. Erste Auflage ratzfatz ausverkauft, deswegen jetzt Nachschub.

Den arbeitslosen Rasensprenger ganz oben habe ich übrigens heute in Waldkatzenbach am Sportplatz geknipst, ich fand den Anbliick irgendwie rührend.

8 Kommentare zu “Es bleibt kompliziert.”

  1. Wenn ich nicht gerade in der belgischen Natur herum strolche, betreibe auch ich das gepflegte Cocooning.

    Fernseher hab ich 2008 abgeschafft. Internet ist schlimm genug (außer für gute Filmstreams gucken).

    „Wir fegen weiterhin Wasser aus dem Keller, fangen es in der angrenzenden Halle in Bütten auf und legen Handtücher von innen vor die Terassentür, …“

    I wish you what!

    Alles Gute | Peer

      1. Nein! Das Bild ist aus dem Netz und aus 2002.

        Aber uns hat es im Juni 2021 bei der Flut schon das gesamte Untergeschoß komplett zerfetzt. Da sah noch viel schlimmer aus und 16 Tage kein Strom oder warmes Wasser. Ich erspare Ihnen allen die Bilder …

        Ist alles wieder heile :-).

  2. Bei uns Bauern macht sich langsam Verzweiflung breit. Seit 2 Wochen warten die Mähdrescher und das Getreide wird schwarz und schwärzer. Als Brotweizen ist er nicht mehr zu gebrauchen, vielleicht noch als Futter. Hoffentlich wird es kein Totalausfall! 11 Monate Arbeit…

    1. Das „11 Monate Arbeit…“ stört mich gewaltig! Die Natur hat 11 Monate gearbeitet – nicht die Bauern! Die haben 11 Monate gehofft – da gebe ich Ihnen Recht. Reine Arbeitsstunden für einen Acker sind durch die ultramodernen Maschinen an zwei Händen abzuzählen. Je nach je, wie oft Sie noch mit Pestiziden drüberfahren… Ich vermisse meinen nichtjammernden Bauern, der leider viel zu früh verstorben ist. Er jubelte, wenn die Ernte gut war und wenn sie nicht so gut war meinte er „ist so – im 10-Jahres-Mittel gleicht sich das wieder aus“. Dass das mit dem Klimawandel eine Änderung erfahren wird, ist klar. Was sich noch nicht geändert hat, ist das Verhalten und denken der Landwirte…sorry Bauer Willi

  3. Danke für die „taz“, auch für Spitzwegs „Biedermeier“. Alles andere: na, sie wissen schon!

  4. Oh ja, es ist wirklich kompliziert! Ich weiß auch oft nicht mehr, was ich noch tun kann, um die Erde nicht zu belasten oder noch besser, zu entlasten. Das Leben macht so kaum noch Freude, und die Gefahr ist groß, den Kopf nur noch in den Sand stecken zu wollen. Auch bei uns in unserem kleinen Dorf ist es schon kompliziert mit der Nachbarschaft,….oh Gott, da riecht es nach Gülle und der Hahn kräht schon so früh!….ehm, finde den Fehler! „mir Dich nix gerufen“…Ach, ich hole mal die Brötchen aus dem Backofen.

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