Die Welt könnte so schön sein, wenn nur die Menschen nicht wären. Ich höre diesen Satz irgendwo im Internet, ich seufze und nicke.

Wir tun unterdessen einfach weiterhin und immer wieder so, als wäre nichts gewesen, als wäre allet tippitoppi, wie der Berliner sagen würde. Der Odenwald macht es einem aber auch leicht. Er nimmt mich morgens, mittags, abends in seine bewaldeten Arme und an die Hand, zeigt mir immer wieder seine besten Seiten, die verstecktesten Wege, unerwartete Schönheiten im Unterholz. Kleine Bächlein erzählen plätschernd eine Geschichte, der Wald wiegt mich in Sicherheit.

Heute mittag seufzen und ächzen die Bäume bedrohlich, aber das liegt am Wind, nicht an der Welt. Diethelm heißt das Tiefdruckgebiet, das uns heute den Nachtschlaf rauben wird. Eigentlich kann ich ein Tiefdruckgebiet nicht wirklich ernst nehmen, wenn es Diethelm heißt. Diethelm, das klingt nach dem idealen Schwiegersohn, nach sauber durchgerechnetem Bausparvertrag und lebenslänglicher Verlässlichkeit, aber doch bitte nicht nach einem grimmigen, stürmischen Tiefdruckgebiet mit Sturzflut und Schneesturm.

https://twitter.com/Odenwaelderin/status/1634195567805857792

Diethelm rüttelt seit dem Abend schon an den Fenstern, er scheppert im Kamin, drückt den Regen durch die Terrassentür und das Wasser in den Keller. Handtücher auslegen, im Keller alles hochstellen, was nicht naß werden soll – es ist nicht dramatisch, nur lästig. Wir eilen durchs Haus, der Gatte flucht und schimpft, und wir tun erneut so, als gäbe es keine anderen Probleme auf der Welt, als hätten wir keine anderen Sorgen.

Neulich abend fahre ich zu später Stunde heimwärts durch den Wald, so spät ist es, und so leer auf den Straßen, dass ich besonders langsam fahre. Macht man hier so, Wildwechsel und so, naja, Sie wissen schon. Aus dem Augenwinkel sehe ich beim Vorbeifahren rechts neben der Fahrbahn, – eigentlich schon halb auf der Fahrbahn – ein Reh hocken. Es sitzt da wie meine Hühner im Nest, es sieht nicht verletzt aus, auch nicht bekümmert, eher wie ein Reh, das auf einem Ei in einem Nest sitzt.

Ich bremse und wende, fahre zurück zu dem Reh an den Fahrbahnrand, lasse das Autofenster heruntersummen, schalte die Warnblinkanlage ein. Alles ok?, frage ich das Reh, das keine zwei Meter von mir enfernt auf seinem vermeintlichen Ei sitzt.

Weil es nicht antwortet, mich nur anschaut aus großen, runden Augen, ermahne ich es: Du sitzt da ein bißchen unglücklich, so dicht an der Fahrbahn, sage ich. Also, genau gesagt, ist das ziemlich dämlich, was Du da machst! Kurz fühle ich mich selber ein bißchen dämlich, bei der nächtlichen Unterhaltung mit dem brütenden Reh, aber offenbar hat das gute Tier verstanden. Genervt erhebt es sich und schlendert halb-elegant davon, Richtung Unterholz, weit genug weg von der Straße. Prima!, rufe ich ihm hinterher, und War doch gut, dass wir drüber gesprochen haben.

Als ich weiterfahren will, kommt tatsächlich von hinten ein Auto, es wird langsamer, meine Warnblinkanlage blinkt ja noch in der Finsternis. Schnell schalte ich sie ab, gebe damit zu verstehen, dass ich keine Hilfe brauche, gebe zügig Gas. Was hätte ich auch sagen sollen? Ach, alles in Ordnung, danke, ich habe mich hier nur kurz mit einem brütenden Reh unterhalten.

Als ich den Hühnerstall ausmiste, bringe ich ein gewisse Unruhe in eine etwa 20köpfige Mäuse-Familie, die sich in Ecken und Mulden im Stall häuslich eingerichtet hat. Etwas erhöht steht ein alter Eimer kopfüber auf einem Regal, er steht da seit Jahren, niemand weiß, wo er herkam, wo er hinwill, er steht da einfach so herum. Wie das manchmal so ist in Hühnerställen auf dem Lande. Als ich ihn umdrehe, wimmelt und wuselt es darunter, zum Vorschein kommt ein kunstvoll gefertigtes Mäusenest aus Hühner-Federn, Stroh und Heu. Gemütlich sieht das aus, und kuschelig warm. Kurz denke ich nach, dann stülpe ich den Eimer wieder über Mäusenest und Mäuse.

Gibt es Mäuse im Stall?, fragt mein Geo nachher. Nein, nein, sage ich, i wo denn!. Mäuse sind der Albtraum meines Mannes. Er geht für mich und andere durch Feuer und Wasser, er kennt keine Furcht und keinen Ekel, nimmt es mit allen Feinden auf, – aber bei Mäusen wird er hysterisch. Dreht vollkommen durch, springt schreiend auf den nächstbesten Tisch. Wenn Du Mäuse sehen würdest, würdest Du sie ja gleich mit dem Spaten erschlagen, nicht? fragt er bang. Jaja, natürlich!, antworte ich, selbstverständlich!. Und denke wieder: Ist doch gut, dass wir drüber gesprochen haben.

Wochenlang habe ich den schneeweißen Silberreiher bewundert, der Tag für Tag auf den Feldern zwischen den zwei Dörfern stand. Mutterseelenallein, wunderschön. In meinem Naturführer Deutschland aus dem Jahr 2000 gibt es noch gar keine Silberreiher, die sind hier offenbar erst später eingewandert. Majestätisch schritt der Silberreiher die Wiesen ab, jeden Tag aufs Neue. Jetzt hat das Mistviech er offenbar eine neue, etwas bequemere Futterquelle entdeckt: den Forellenteich unseres Freundes. Und jetzt weiß ich auch nicht. Ich werde mal mit dem Silberreiher sprechen müssen, ein ernstes Wörtchen.

13 Kommentare zu “Neues aus der Komfortzone.”

  1. Gut, daß wir miteinander gesprochen haben …gut daß wir miteinander sprechen …Danke für den Hinweis, daß man auch dann sinnvollerweise noch das Gespräch suchen kann, wenn die ‚Sprachen‘ sehr unterschiedlich sind.
    Schöne Grüße, Gabriela

  2. Wie schön, dass Sie wieder da sind! Ihre Blogbeiträge bringen mich immer wieder zum Schmunzeln und das tut so gut…

  3. Mäuse im Hühnerstall??? Wir wollten uns ja Hühner zulegen, aber wenn da auch Mäuse rein kommen….neeee ich glaub wir lassen das lieber…

    1. Katzen sind da hilfreich. Manchmal bringen sie dir sogar eine tote Maus als Geschenk.Tu die Katze loben und wirf das tote Vieh bloß nicht in die Biotonne, wenn sie’s sieht! Sie soll ruhig glauben, dass du die Maus verspeist hast.

      1. Unsere Katze ist – was Mäuse betrifft – ein total- Ausfall. Da fangen die Hunde mehr Mäuse. Aber die lassen wir nur ungern in den Hühnerstall, ähem. Die würden nämlich auch die Hühner gleich mit-fressen.

        1. Ja, nicht alle Katzen sind begeisterte Jäger. Ist wohl Erziehungssache: Wenn die Mutter Mäusejägerin ist, wird’s der Nachwuchs meistens auch.Eine von meinen sieben ist besonders talentiert, die hat mal ein ganzes Mäusenest geräubert. Ich wäre ihr nur dankbar, wenn sie ihre Beute nicht erst auf der Terrasse töten und verzehren würde. Blut geht immer so schwer weg.
          Hund im Hühnerstall ist tatsächlich keine gute Idee, obwohl: Ein Freund von mir hat Hund und Hühner, aber der Hund hat irgendwie so überhaupt keinen Jagdinstinkt, dem sind die Hühner sowas von egal. Wir haben hier eher Probleme mit Mardern und Frettchen.

  4. Wie gut kann ich den Mäuse-Mann verstehen!!! Da dachte ich doch glatt, ich wäre einzigartig. Es ist so: eine,eine einzige Maus bringt mich völlig aus dem Takt und ich denke nach dem Anblick (von Berührung ist hier nicht die Rede): „jetzt musst du unbedingt erstmal duschen!!!“ Es wird dann immer- auch ohne duschen- nach 5 Minuten wieder besser, aber „normal“ ist das ja nicht. Wie tröstend, dass da mal drüber gesprochen wird!!!

  5. Danke, für die Minuten des entspannten Lesens Deiner spannenden Zeilen.
    Ich werde sie liken, denn das ist es was die Welt braucht: Bodenständige Normalität mit offenen Augen für die wirklichen Probleme. Ich habe ein Mausmärchen mit echten Mausbildern geschrieben und drucken lassen. Soll ich Dir ein Exemplar für Deinen Gatten senden? Herzlichst Karin, die Mäuse liebt ( in Maßen, nicht in Massen)

    1. DAS wäre ein Geburtstagsgeschenk! :) Adresse im Impressum, Rechnung dazulegen oder per Mail. :)

  6. Ja, diese Beiträge habe ich auch vermissst! Ich muss lächeln, wie gut hier (scheinbar) Leichtes mit der Sicht auf Betrübnisse der Welt verwoben werden! Die Welt da draußen wird dadurch zwar nicht unbedingt schöner, aber erträglicher.
    Zum Mäusethema allgemein kann ich vermerken, dass ich vor diesen Tierchen auch eine gewisse Scheu entwickelt habe, denn ich habe sie zu oft im Haus der Großeltern bzw. auch in deren Hühnerstall erlebt. Das gab immer Aufregung, alle Türen zu den Wohräumen mussten geschlossen sein. Da kam nicht einmal die Hauskatze mit der Jagd hinterher, so eine zahlenmäßige Überlegenheit bei den Mäusen. Lebhaft erinnere ich mich an einen Futtersack für die Hühner, dort drin quiekte es auch vor lauter Jungmäusen. Ich schreibe jetzt besser nicht, was ihnen passiert ist … BRRRR, Gänsehaut!
    Liebe Grüße,
    C Stern

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