Morgen ist der erste Advent, und in einem normalen Jahr würde der Gatte seit Wochen an nichts anderes denken. Er hätte seit Anfang November das Atelier aufgeräumt und umgestaltet, er hätte überall im Haus Bilder aufgehängt und mit kleinen Aufklebern versehen, er hätte Titel- und Preislisten geschrieben. Ich für meinen Teil hätte Filterkaffeepackungen herbeigeschleppt, Gebäck, Kerzen, Servietten und einen Familienpackung Würfelzucker. Ich hätte Helferinnen organisiert, zum Ausschenken, Servieren und zum Spülen, und irgendwann, am Samstag gegen Mittag ein Schild außen an die Tür gehängt: Herzlich Willkommen zum Offenen Atelier!
Seit 20 Jahren machen wir das so, am ersten Adventswochenende öffnen wir die Türen des Hauses für Freunde der Kunst und solche, die es werden wollen. An den zwei Tagen, Samstag und Sonntag, drängeln sich ingesamt zwischen 150 und 200 Menschen im Atelier und den angrenzenden Räumen, und in der Kaffee-Küche geht es in Stoßzeiten zu wie in einem englischen Pub, wennn der Wirt Last Orders, please! brüllt, alles drückt und schiebt, und es ist kein Durchkommen mehr. Alles dient der Kunstvermittlung, und nebenbei auch dem Verkauf, von irgendwas muß so ein Künstler ja leben.
Sie ahnen, worauf es hinausläuft. Nicht, dass Sie am Ende noch meinen, Corona hätte hier auf dem Lande nun gar keine Auswirkungen. Oh, doch. Definitiv. Wir haben in diesem Jahr ein komplett ungewohnt ruhiges erstes Adventswochenende, keine offenen Türen, keine Kunst, kein Kaffee, kein Kuchen. Keine Gäste, keine Kunstgespräche, keine Kunst-Verkäufe. Zum ersten Mal seit 20 Jahren.
Seit März vier Ausstellungen abgesagt, und jetzt also nicht mal ein Offenes Atelier. Der Gatte arbeitet und malt seit dem Frühjahr in den luftleeren Raum hinein, ins Nichts, nahezu ohne jede Resonanz. Ich stelle mir das ausgesprochen frustrierend vor und wundere mich, dass seine Laune nicht dauerhaft im Keller ist.
Aber wir wollen nicht klagen. Das Leben als Künstler ist hier auf dem Lande deutlich einfacher, deutlich erfreulicher als in der großen Stadt, wo gefühlt 1,2 Mio Künstler Tür an Tür wohnen und täglich um Aufmerksamkeit kämpfen müssen, und darum, irgendwie über die Runden zu kommen, auch finanziell. Wer nicht von der Kunst alleine lebt, gibt Volkshochschulkurse, Aquarellieren für Anfänger oder so, aber auch das dürfte derzeit essig sein. Oder der Lohn unterirdisch. Dem Gatten geht es da noch Zucker, so gesehen.
Bei den bildenden Künstlern ist es da ja im Übrigen nicht anders als bei den freien Musikern zum Beispiel. Wenn ich hier in einer Kirchengemeinde aktiv wäre, würde ich mir für jeden Gottesdienst einen Musiker suchen, der den Gottesdienst begleitet, statt Orgel. Als kleines symbolisches Hoffnungszeichen und gegen anständiges Geld. Falls Sie also in einer Kirchengemeinde was zu sagen haben, – bitte sehr, das kann doch nicht so schwer sein.
Und wenn Sie in diesem Jahr schon nicht zu unserem Offenen Atelier kommen können, dann schauen Sie mal beim Gatten auf dem Blog oder der Website nach, was der so treibt in diesen merkwürdigen Zeiten. Ja, das ist sowas wie Werbung in eigener Sache. Aber, wie immer, völlig unbezahlt, passt schon. Und notieren Sie sich schon mal das erste Adventswochenende 2021, da ist dann wieder alles beim Alten. Hoffentlich.
P.S. Kuchen gibts heute übrigens trotzdem. Der Gatte hat gebacken, einen Apfelkuchen. Er hat ja heute Zeit. Ähem. So hat alles auch sein Gutes. Und Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Naja, Sie wissen schon.
Nur ein kleiner Hinweis darauf, dass die Orgeln im Gottesdienst oft und gerne von freischaffenden Musikern bedient werden, die sich an einem überschaubaren aber regelmäßigen Einkommen erfreuen.
Ja, das denke ich mir auch. Dann halt Orgel UND Musiker. Irgendein Zeichen setzen, darum ging es mir.
Wobei mir die Idee kam: wäre doch ein nettes Weihnachsthema für die Rubrik Gemischtes: wer spielt eigentlich die Orgel und wie sind die freien Musiker, die das machen durch Corona gekommen.
Sehr vereinzelt läuft das hier in der großen Stadt mit den Musikern in G-ttesdiensten – leider nur sehr vereinzelt. Es könnte sicher mehr sein. Übrigens gibt es eine Kirche, die immer eine große Auktion für Flüchtlingsarbeit im Advent macht – dieses Jahr online.
H. glaubt, dass man noch viel kreativer sein könnte, um darbende Künstler zu unterstützen. Ihre Idee ist super.