Rückzug XXVI

21. April 2020

Vergangenen Sonntag wäre in den Dörfern übrigens Kommunion gewesen. Mit allem pipapo. Alles aufgeschoben. So war es nur ein stinknormaler Sonntag.

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Nö, er bietet kein take-away an, erzählt mir der Gastwirt am gefühlten Ende der Odenwälder Welt, seine Kollegen in den Nachbardörfern machen das, da muss er nicht noch als Konkurrenz auftreten. Er vermietet ein paar wenige Zimmer in seinem großen Hotel an Handwerker, Monteure, das muß reichen. Solidarität undsoweiter. Ausserdem ist er für derlei epidemie-technische Ausfälle versichert, ja, sowas kann man machen, macht aber leider sonst kaum einer. Was habe ich mir den Mund fusselig geredet im Kollegenkreis. Kostet einen Haufen Geld, rentiert sich jetzt aber, gottlob, sagt er.

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A propos Rückzug: Ich habe heute – gefühlt zum ersten Mal in meinem und seinem Leben – die Motorhaube des Dienstwagens geöffnet (um einem anderen Auto Starthilfe zu geben) und stieß dabei auf ein Vorratslager von ganzen und angeknabberten halben Haselnüssen. Ähem. Da sieht man mal, wie ungestört es sich in diesem Motorblock offenbar (völlig zurückgezogen) leben und haushalten lässt, niemals stört da irgendwer. Der Motor läuft und läuft und läuft, zuverlässig, warm und kuschelig. Ich sags ja nur mal so.

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Vorsichtige Lockerung nennt sich das also, wenn es in der nahegelegenen Quadratestadt angeblich zugeht wie am verkaufsoffenen Sonntag vor Weihnachten. Ich höre das und staune. In Köln war es dem Vernehmen nach wie eine Mischung aus Weihnachtseinkaufs-Tag und Karneval, alles pickepackevoll und fröhlich. Ich staune also. Und angeblich planen die tatsächlich am kommenden Wochenende einen verkaufsoffenen Sonntag, die Kölner. Ich staune da direkt gleich nochmal. Oder nein, ich staune nicht, sondern nicke mitm Kopp. Ja, die Menschheit ist eben einfach irgendwie dämlich eigenwillig. Man muß das nicht verstehen. Also, ich muß das nicht verstehen.

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Zurückgezogen haben sich auch die Odenwälder Borkenkäfer. Leider aber in die Rinden und Stämme und Kronen der ohnehin schwer malträtierten Bäume. Trockenheit letztes Jahr, Trockenheit dieses Jahr, das wird ganz grauenhaft, sagen die Forstexperten. Wer das mit der Trockenheit nicht glaubt, sollte dieser Tage einfach mal einem Bauern zugucken, der mit dem Traktor übern Acker fährt, das sieht aus, wie in so einem Italo-Western-Klassiker, voll klischeemäßig-dramatisch ziehen da die gigantischen Staubwolken übers Land. Das ist alles definitiv nicht lustig, und so insgesamt fühlt man sich zwischendurch wie in so einem blöden Endzeit-Film im Fernsehen. Wäre Zeit, mal die Fernbedienung in die Hand zu nehmen und auf ein anderes Programm umzuschalten.

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Interviewtermin mit einem Arzt aus Mosbach festgeklopft, der sich auch zurückgezogen hat. Wenn man das so nennen will. Vielleicht hat er sich im Gegenteil gar nicht zurückgezogen, sondern ist jetzt erst so wirklich im prallen Leben angekommen, oder besser gesagt in der manchmal verdammt bitteren Realität. Jedenfalls werde ich dieser Tage mal mit ihm schwätzen, beruflich, die Skype-Verbindung Buchen (Odenwald) – Curahuasi (Peru) wird grade aufgebaut. Kleines Dorf hoch oben in den Anden. Dahin ist Benjamin Zeier am Jahresanfang mit Frau und fünf Kindern ausgewandert. Gutgehende Praxis aufgegeben, Haus mit Garten und Pool in bester Mosbacher Lage verkauft, sich überhaupt eigentlich von allem Hab und Gut getrennt. Gehe zurück auf Start. Folge dem Ruf! Jetzt arbeitet Zeier als Arzt an einem Missionskrankenhaus. Für Gotteslohn. Uff. Mehr können Sie (Klick!) hier nachlesen.

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Ja, auch in Badisch-Sibirien kann man langsam darüber nachdenken, ob vielleicht doch irgendwann die Winter- gegen Sommerreifen getauscht werden können, halbwegs ohne großes meteorologisches Risiko. Ich habe heute allen Mut und alle wettertechnische Zuversicht zusammengenommen und also in der Werkstatt den frühestmöglichen Termin ausgemacht. Für Mitte Mai. Reifenwechseltermine sind hier derzeit offenbar noch schwieriger zu bekommen als ein Friseurtermin.

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A propos Friseurtermin: Das 85jährige Tantchen in Berlin ist hellauf verzweifelt, weil komplett zugewachsen. Behauptet sie. Wenn ick da Anfang Mai hingehe: ick kriege doch vor Weihnachten keinen Termin, ruft sie schnappatmend in die Sprechmuschel. Ich höre mir das am Telefon an und und google parallell dazu in diesem (von ihr verachteten) Inter-Netz mal rasch ihren Friseur. Und siehe da, der gute Mann hat eine Notfall-Händi-Nummer für ganz schwere Fälle, zwecks fernmündlicher Beratung und Terminvorbestellungen. Also: Tante da angerufen, Termin für 5. Mai gekriegt. Auf die Informationsachse Balsbach-Berlin ist eben Verlass. Also, sowas!!, flötet die Tante, Und das hast Du aus diesem Inter-Netz?? Das werde ich Dir nie vergessen, Kind. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Tante in den vergangenen 53 Jahren jemals soetwas zu mir gesagt hätte. Sehen Sie, so hat das alles auch sein Gutes.

So sei es, und so bleibe es, bis in alle Ewigkeit, Amen.

  • 4 Kommentare
  • Siewurdengelesen 21. April 2020

    Ja – mit dem vorsichtigen Lockern haben ein paar Mitbürger anscheinend etwas falsch verstanden. Noch dazu weil das Freizeitverhalten so mancher Zeitgenossen vorher schon den Eindruck erweckt hat, dass die in einer Art Paralleluniversum existieren, welches Corona noch nicht kennt.

    Selber kam ich mir zu den doch etwas unorthodoxen Schichtzeiten ebenfalls vor wie zur Rush-Hour.

    Aber das mit dem Klopapier und dem Baumarktfimmel muss ich aus rationaler Sicht ja auch nicht verstehen;-)

    In meiner bescheidenen Denkwelt dient dieses “Lockern” ohnehin nicht zwingend dem Verschaffen von mehr Freiheit des Einzelnen, sondern in der Hauptsache dem Kommerz und unserer “notleidenden Wirtschaft”, bevor die stattlichen Hilfen abklingen und der Ruf nach mehr kommt.

    Statt Quarantäne und social distancing gibt es jetzt halt das “normale Leben” zurück unter der Massgabe, einen Gesichtsvorhang zu tragen, dessen Nutzen nicht absolut erwiesen ist. Zumindest trifft das auf die handgeschnitzten Dinger zu, die nicht einmal einer medizinischen Schutzklasse unterliegen und die wirklich sinnvollen Dinger gibt es nicht oder demnächst wahrscheinlich zu horrenden Preisen – business as usual.

    Sollten wegen dieses Zurücknehmens der Einschränkungen die Infektionen wieder ansteigen, ist der Sack genauso schnell wieder zu, wie er geöffnet wurde, und dann dauert es noch länger als bei einem jeztigen Beibehalt.

    Wie vermutlich eher interessen- statt fakten- und evidenzgesteuert diese Massnahme ist, lässt sich anhand des neuesten Beitrags von Mai Thi ansatzweise erahnen.

    Apropos Nüsse und WInterreifen:

    Wir haben auch so ein bestücktes Auto und sind uns nach wie vor nicht sicher, welches Tierchen da sein Vorratslager mit Backherd angelegt hat. Eichhörnchen sind neben unserem Nussbaum eher nicht zugange, Spechte und andere Vögel sind eher nicht so im Motorraum unterwegs. Bei Mäusen wäre vermutlich unser Stubentiger das prädatorische Ende der Nahrungskette. Wir vermuten daher, dass es tatsächlich ein Marder ist, der dort sein Lager hat.

    Winterreifen wechseln wir seit eh und je selbst, das ist gar nicht so schwer und im Team etwa eine Stunde Arbeit. Wichtig sind vor allem ein guter Wagenheber und ein Radkreuz, am besten ein hydraulischer, der wenig Handkraft erfordert und daher auch etwas rückenschonender ist als die Kurbeldinger des Bordwerkzeugs.

    Mit denen geht es zwar auch, aber moderne Fahrzeuge haben ja manchmal nur noch Pannenspray drin. Ärgerlich sind manchmal auch noch Radschrauben mit speziellem Kopf als Diebstahlsicherung. Bei denen läuft man gefahr, dass diese durch die fehlenden Ansatzfläche überrutscht und selbige dann vergriesgnaddelt. Der Ersatz als Originalteil ist dann meist im Preisniveau von Apotheken.

    Sonst lockert man vor dem Anheben die Schrauben/Muttern einfach rundherum vor, zieht die Handbremse an und lässt den Gang drin und anschliessend werden die Dinger einfach rundherum ab- und angebaut.

    Hilfreich ist ein Reinigen der Anlagefläche der Räder und Naben sowie leichtes Fetten selbiger. Speziell bei Alus nach der Wintersaison tut man sich damit einen grossen Gefallen.

    Die Muttern oder Bolzen sind auch sehr dankbar für etwas Fett auf den Gewindeflächen, die man vorher vielleicht noch etwas mit der Drahtbürste entrosten kann. Dabei aufpassen, dass möglichst kein Fett auf die Bremsscheiben kommt und die Kontaktflächen Schrauben/Muttern an der Felge sollten auch trocken sein.

    Will man es ganz genau machen, zieht man die Dinger mit dem vorgeschriebenen Drehmoment an, aber das geht auch mit dem nötigen Gefühl und nach fest kommt wie immer ab. Auf jeden Fall gilt es dabei zu bedenken, dass auch eine Frau bei eienr Panne das Ding wieder runter bekommen sollte. Ausziehbare Schlüssel sind da etwas im Vorteil – Anziehen mit kürzerem Hebel und Lösen mit vollem Auszug.

    Wie üblich sollte nach dem Wechsel nach etwa 50km das Ganze noch einmal geprüft und nachgezogen werden. Beim Fahren danach bitte auf unruhigen Lauf usw. achten und sollte sich doch etwas flattrig anfühlen, dann sofort rechts ran und weich Lenken und Bremsen.

    Die erste Fahrt nach dem Wechsel oder besser noch vorher führt dann zu einem Luftspender für den korrekten Reifendruck und eine Werkstatt sehen meine Socken höchsten zum Nachwuchten innerhalb ihrer Nutzzeit.

    Alles halb so wild und hinterher durchaus mit dem guten Gefühl verbunden, etwas selbst geschafft zu haben. Das gibt auch bei einer Reifenpanne durchaus etwas Sicherheit mit…

  • nina. aka wippsteerts 21. April 2020

    Oh, das mit der Trockenheit der Wälder, dass ist heftig. Der Waldbrand unweit ist nicht richtig in den Griff zu bekommen, die frisch gepflanzten (alles mögliche, man nimmt, was man kriegen kann) Jungbäume sind schon vertrocknet, die alten Borkenkäfer Bäume, (befällt ja nicht nur Fichten)sind kaum abgeholzt, da können die nächsten raus…
    Hat sich bei Dir ein Mäuschen bequem gemacht? Nicht, dass Du hinterher grössere Probleme mit dem Auto (Leitungen) bekommst. Ganz heftig, wenn ein Marder da haust, der liebt Dichtungen und Schläuche.
    Liebe Grüsse
    Nina

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  • Anne 22. April 2020

    Abgesagte Kommunionfeiern – noch so ein GAU für die Gastwirtschaften. Ich habe zu Beginn der Schließungen gehört, dass dem Partyservice im Nachbardorf 4000 (viertausend!) Essen storniert worden seien… denn Hochzeiten im Mai wird es auch nur im kleinsten Kreis geben. Die patente Inhaberin (positiver Mensch wie die Griechin in Ihrem schönen Artikel) macht seitdem einen super organisierten Straßenverkauf an Wochenenden, den wir sehr gern nutzen. Häschtäg SupportYourLocalDealer :-)

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