Kjack, kjack.

23. März 2021

Mittags mit dem Bürohund durchs Städtchen gelaufen, die klitzekleine Fußgängerzone mitten in der Altstadt besteht aktuell zur Hälfte aus Corona, zur anderen Hälfte aus Baustellen. Plus Mittagspause. Keine Menschenseele unterwegs, keine Autos, keine Geräusche, nirgendwo, kein Geblinke in irgendwelchen Schaufenstern. Es ist ein wenig, wie wollen wir sagen, – trübsinnig. Passt zur allgemeinen Stimmung, will mir scheinen.

Dann an der Stadtkirche St. Oswald doch ein Geräusch, und was für eines. Um den Turm herum oben fliegen und flattern rufend die Dohlen, ich liebe Dohlen ja sehr, aber heute kommen sie mir vor wie Protagonisten aus einem Hitchcock-Film. Ihr Ruf ist das einzige Geräusch weit und breit, ihre Stimmen werden von den Häuserwänden und dem Längsschiff der Kirche reflektiert, wie ein unheimliches Echo in der Stille, der Himmel ist grau, das kleine Städtchen in der Corona-Starre, naja, Sie wissen schon.

Ich habe natürlich zuhause gleich in meinem Lieblingsbuch Was fliegt denn da? recherchiert, wie man den Ruf der Dohlen wohl am besten beschreiben könnte, natürlich weiß das Buch bescheid und sagt kjack, jack. Aha. Ausserdem seien Dohlen sehr gesellig, heißt es da, ja, super, schön für Euch, und heute mittag sitzen sie zu viert, mal sogar zu sechst oben auf diesem merkwürdigen Strahlenkranz auf dem Kirchturm, und ich denke mir so, na, ob das erlaubt ist, sechs Personen, ohne Abstand, soweit isses schon mit mir. Und das gezoomte Händi-Foto, siehe oben, ist dann natürlich auch noch unscharf geraten, sorry. Aber wer rechnet denn mit einer Hitchcock-Szenerie, wenn er zu Fuß in Buchen im Odenwald unterwegs ist? Eben.

Wenn ich nicht grade das Vogelstimmen-Bestimmungsbuch studiere, – eine zerfledderte Ausgabe von 1964 übrigens, die schon auseinanderfällt, wenn man sie nur streng anguckt – , wenn ich also nicht in diesem Nachschlagewerk nachschlage, dann starre ich Mindeshaltbarkeitsdaten auf Lebensmittelpackungen an. Ja, da staunen Sie. Aber was soll man denn sonst tun, in coronösen Zeiten in der vermeintlichen Provinz? Ja, ich starre auf Milchpackungen, auf Nudel-Kartons oder Linseneintopfkonservendosen, ich glotze auf das Mindesthaltbarkeitsdatum und denke 30.10.2021? Ob wir bis dahin wieder normal leben werden? 5.3.2022? Ob man da wieder unbeschwert mit Freunden essen gehen kann? 24.5.2021? Ob ich bis dahin endgültig durchgeknallt bin? Ja, Sie staunen, ich staune auch. Soweit ist es schon gekommen. Land-Idylle hin oder her.

Aber immerhin: mein Heimweg führte mich heute, wie immer, über einen sogenannten Gemeindeverbindungsweg. Für die Großstädter unter Ihnen: Gemeindeverbindungswege können sich nicht entscheiden, ob sie winzige Landstraße oder Feldweg sind, immerhin bestehen sie aus Asphalt in mehr oder weniger gutem Zustand. Man darf da offiziell fahren, aber Gemeindeverbindungswege sind nicht selten eine Herausforderung für Mensch und Maschine. Oder, wie meine entwicklungshelfende Freundin sagen würde Was ist das denn für eine geniale Strecke? Herrlich! Das ist ja wie in Malawi!

So. Wo war ich stehen geblieben? Ah ja: Icke also heute nachmittag über den Gemeindeverbindungsweg. Steht da doch ein junger Kerl in Landwirtschaftsklamotte und pflanzt ein Bäumchen am Wegesrand. So ein dünnes Ding, den Stamm kann er locker mit einer Hand umfassen, lang und dünn ragt es wackelnd und wogend in den Himmel, während er unten den Wurzelballen in die Erde versenkt. Liebevoll klopft er die Erde rund um den hageren Stamm fest, und ich stelle mir natürlich vor, es wäre ein Apfelbäumchen, von wegen Luther und Weltuntergang undsoweiter. Genau so wird es natürlich auch sein, da stehen ja schon lauter Apfelbäumchen, und vielleicht denkt sich der junge Landwirt auch so seinen Teil, vielleicht kennt er den Luther-Spruch sogar, obwohl man hier ja traditionell sehr katholisch ist, aber das ist bei einem Weltuntergang vermutlich unerheblich, und so gesehen ist dieser Anblick jedenfalls sehr tröstlich zum Feierabend.

  • 3 Kommentare
  • N. Aunyn 24. März 2021

    Die Sache mit dem Baum gibt’s kulturübergreifend. Jüdischerseits wäre es ein Johannisbrotbaum.

  • provinzei 28. März 2021

    Bergdohlen sind ein launisches Volk.
    In den 80ern wurde ein Felsen bei uns wegen Vogelschutz gesperrt. Kletterer vs Bergdohlen.
    Damals wurden ja viele Felsen gesperrt, mit ein Erfolg vom noch jungen Cem Ödzdemir.
    Bad Urach, Umweltschutz und so. Gut, es war damals schon ein Hype, schade, daß heute nicht auch mit Moutainbikern so verfahren wird, meiner Ansicht nach die volle Seuche, vor allem am Sonntag.
    Auf jeden Fall waren die Dohlen dann weg, als keine Kletterer mehr die Felsen bevölkerten.
    So kann`s gehen !

  • Tine 28. März 2021

    Mit Dohlen kenne ich mich nicht aus, hier sind Raben unterwegs und besetzen gerade wieder lautstark ihre Nester. Okay, stimmt, wenn es so still wie jetzt ist , ist jeder Vogellaut willkommen. Eine leere Innenstadt ist unheimlich.
    Mindesthaltbarkeitsdatum , tolles Wort , bisher war mein Gedanke …. ist es bis dahin verbraucht ….. jetzt wird im Hinterkopf immer mitschwingen ( siehe Kaugummi-Automaten) …. was wird dann sein ?

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