Alle kennen Oskar.

20. April 2020

Alle kennen Oskar. Und Oskar kennt alle. Er kennt alle Bewohner im kleinen Dorf, jeden Einzelnen, und alle aus den Nachbardörfern und noch jede Menge andere Leute. Mit den meisten davon ist Oskar per Du. Und die meisten hat er schon gekannt, als sie noch soooo klein waren.

Oskar Schmitt ist immerhin schon 91 Jahre alt, und er lebt seit 91 Jahren im selben Haus im selben Dorf. Landwirt, Gastwirt, motorisierter Landzusteller beim Postamt Limbach, das waren seine Berufe, seine Berufung.

In der guten Stube im Balsbacher Gasthaus Engel kann man Oskar täglich treffen, da sitzt er und liest Zeitung oder hält einen Schwatz am Stammtisch mit den Gästen. Im Moment natürlich nicht, Gäste ist essig, aber zu schwätzen gibt es mit den Töchtern Agnes und Renate genug. Wenn die grade Zeit haben. Unter der Woche haben sie zwischendurch Zeit, aber an Wochenenden geht es momentan auch mal recht stramm zu, Corona hin oder her.

Agnes hat vor ein paar Jahren die Wirtschaft übernommen, Renate arbeitet mit. Wie überhaupt etliche Familienmitglieder immer wieder mit anpacken, dazu jede Menge Aushilfen. Die Aushilfen haben sie jetzt nach Hause geschickt, derzeit schmeißen die zwei Frauen die Gastronomie mehr oder weniger alleine. Es läuft. Wir sind zufrieden, sagen sie.

Gutbürgerliche deutsche Küche, Take-away und Telefonbestellung? Da mussten wir auch erst mal kurz umdenken, sagt Agnes, und dann mussten wir uns vorbereiten. Den Eingang provisorisch neu gestalten (wohl dem, der einen Schreiner in der Familie hat), die take-away-Behältnisse kaufen, eine Art Strategieplan entwickeln, wie sowas laufen kann. In Zehn-Minuten-Zeitfenstern kann das Essen jetzt abgeholt werden, und wer unpünktlich ist, bringt das halbe (oder das ganze) System durcheinander. Macht aber nichts, sagt Renate und lacht. In höflicher Nachsicht und freundlicher Geduld ist Renate einsame Spitze, mir als Gast ist das schon lange aufgefallen.

Den Laden ganz zuschließen – oder weitermachen? Als die Entscheidung gefallen war, wurde erstmal die Website dementsprechend aktualisiert, und die Söhne und die jungen Aushilfen posteten und teilten wie wild bei Facebook, dem vielgescholtenen Netzwerk. Das hat viel ausgemacht, sagt Agnes. Und natürlich die 100jährige Tradition des Hauses und die Dorfgemeinschaft. Man hält zusammen auf dem Land. Einen Oskar und seine Töchter vergißt man nicht, denen steht man bei.

Agnes und ihre Schwester haben in der hiesigen Gastroszene viele Freunde und Bekannte. Selbst die (Klick!) Familie unten in der Mühle, ganz einsam tief im Tal und nur über endlose und fiese Serpentinen zu erreichen – selbst bei denen laufe es ganz gut, berichten sie. Die meisten Gastronomen in den Dörfern haben zumindest schon mal den Vorteil, dass sie keine Miete zahlen müssen, dass die Häuser schuldenfrei sind. Manch einer hat Rücklagen. Wofür denn, wenn nicht für so eine Situation?

Und die angeschlossene Pension? Naja, geht so, sagt Agnes. Ein paar Monteure, für die kommenden Woche ein paar Reservierungen, auch Monteure, Dienst-Aufenthalte sind ja erlaubt. Aber die bekommen kein Frühstück momentan, so sind die Vorschriften. Urlaubsaufenthalte alle storniert, derzeit nix in Sicht. Wir wissen ja auch nicht, wann und wie es weitergeht.

Vater Oskar kann das alles nicht wirklich aus der Ruhe bringen. Wer 1929 geboren ist, hat schon ganz anderes erlebt an Kummer und Sorgen. Nur das Virus will er nicht bekommen, nein, das wäre nicht gut, sagt er. In der Zeitung hat er gelesen, dass es vielleicht Anfang Mai schon wieder losgehen könnte, auch in der Gastronomie, Platz genug hätten sie ja im Engel, um auch die Abstandsregeln einzuhalten. Bis dahin sitzt er halt tagsüber alleine unten im Gastraum. Oder er fährt mit dem Rollator raus in die Sonne vors Haus. Wenn dann die hungrigen Abholer kommen und einen Moment warten müssen, dann schwätzt er mit denen. Er kennt sie ja fast alle, seit Jahrzehnten.

Hier gehts zur Website vom Engel, vorbildlich aktualisiert, ich bin ganz begeistert.

Ich stelle Ihnen hier in loser Folge ein paar Gaststätten und Restaurants aus meiner Nachbarschaft vor, die derzeit irgendwie mit dieser Corona-Krise umgehen müssen. Die Grund- Idee dazu habe ich hier bei diesem großartigen Fotografen abgeguckt, auf den mich ein Blogleser hingewiesen hat. Ich mache sowas sonst nur ungerne, Ideen abgucken, aber ich glaube, für einen guten Zweck darf man auch mal abgucken. Wenn Sie bisher ohnehin immer mal essen gegangen sind und sich das auch derzeit irgendwie leisten können: Unterstützen Sie die Wirtschaften und Restaurants in Ihrer Nähe. Sie müssen kein take-away-Fan sein, hier gehts nicht um Ästhetik im Alltag, sondern um Solidarität. Ganz einfach. Und Gutscheine!, Sie können jetzt auch Gutscheine kaufen und dann später verschenken, wenn die Restaurants alle wieder in ihren ganz normalen Alltag zurückgekehrt sind. Und nein, ich bekomme für diese Werbung kein Geld, ich mache das aus reiner… Naja, Sie wissen schon.

  • 11 Kommentare
  • Marion 20. April 2020

    Diese Reihe ist ganz wunderbar, wertschätzend. Wie gut, dass dein Blog so viele Leser_innen hat. Ich wohne zu weit weg, aber 1. gibt es natürlich auch hier und überall Gastronomie, die eben nicht nur zu knapsen hat, sondern auch erfinderisch und flexibel ist und 2. irgendwann werden wir auch wieder durch die Republik fahren. Und dann ist es gut, so tolle Alternativen zur Autobahnraste zu kennen. Oder Urlaub im Odenwald zu machen.

  • Jutta Kupke 20. April 2020

    Klasse, da zeige ich mal mit dem Daumen nach oben . . . für Oskar und die Wirtschaft mit den sympathischen “Mädels”
    Liebe Grüße

  • Micha Sch. 20. April 2020

    Ganz tolle Idee mit Abholung. Somit kann man wenigstens etwas dazu verdienen. Wir bestellen die Tage auf jeden Fall auch

  • Annette und Helmut Rausch 20. April 2020

    Sehr schöner Bericht so wie es im Engel auch ist, bei Oskar und seinen zwei Mädels.
    Wir sind immer gerne bei Ihnen zu Gast und werden Sie auch in diesen schwierigen Zeiten unterstützen.

  • Dirk Franke 20. April 2020

    Danke übrigens. Letztens beschwerte ich mich noch, dass “die Großen” den Anschein erwecken alle Menschen würde nur noch im Home Office sitzen und nur noch aus dieser Perspektive berichten. Ausnahmen gibt es dann nur noch mit Helden und Drama-Stroies. Danke, dass wenigstens die Kleinen auch einfach aktuelle Normalität jenseits des Home-Office-Hypes zeige.

  • Dr. Karl Noe 20. April 2020

    Lieber Onkel Oskar,
    Liebe Agnes und Renate,
    Liebe Engelwirts,
    toll, wie Ihr mit der Corona-Krise umgeht und es freut mich zu lesen, dass es Euch gut geht. Toll, dass Ihr auf ‚Strassenverkauf‘ umgestellt habt. Würde ja auch bei Euch Euer gutes Essen bestellen, wohne halt leider zu weit weg. Freue mich darauf, wieder zu Euch zu kommen, wenn hoffentlich bald ‚alles wieder vorbei und normal ist‘. Tolle Idee mit dem Blog! Bleibt alle gesund! Karl und Andrea?

  • Norbert Grimm 20. April 2020

    Diesem Blog können wir uneingeschränkt zustimmen. Hatten am So. ein sehr schmackhaftes Mittagessen von‘s „Engelwertsch“!
    Kann man sehr gut weiterempfehlen? ??
    Und der Bericht über Oskar und seine „Mädels“ ist fantastisch treffend und sowas von echt!!

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