Shisha-Bars

23. Februar 2020

Ach, was für eine Idylle! Weite Felder, schnaufende Kühe, gackernde Hühner und dunkler Tann. Freundliche Menschen, Nachbarschaftshilfe, Solidarität. Nie zuvor ist mir so krass klar geworden, in welchem Elfenbeinturm ich hier lebe. In was für einer Blase. Ich habe es mir da auch gemütlich eingerichtet, in dieser Blase. Manchmal, weil ich nicht weiter darüber nachgedacht habe. Manchmal, weil ich wirklich nicht alles mitkriege, was da draußen im Rest der Welt passiert. Manchmal aus ignorantem Selbstschutz, Lübcke, Halle undsoweiter, um des Seelenfriedens willen. Naja, Sie wissen schon.

Jetzt: Hanau. Shishabar. Neun rassistische Morde. Insgesamt elf Tote. Ein Albtraum, gar nicht so weit weg von hier, eine Autostunde vielleicht.

So sehr bin ich inzwischen selbsternannte Landpomeranze, so weit weg ist inzwischen meine großstädtische Vergangenheit, dass ich nicht mal wusste, was überhaupt Shishabars sind. Was man da macht. Wo das angebliche Problem sein soll. Es hat mich zugegebenermaßen auch nicht interessiert. Warum sollte es?

Im idyllischen Landkreis wohnen so viele Menschen mit Migrationshintergrund, wie das immer so schön heißt. Menschen, die aus aller Herren Länder irgendwann hier hergekommen sind, mal mehr, mal weniger freiwillig. Türken, Albaner, Italiener, Rumänen, Serben, Kroaten, Araber, Afrikaner, ach, was weiß ich. Im kleinen Städtchen in der Nähe sind allein 20 Prozent der Bevölkerung ehemalige Russlanddeutsche. Das funktioniert. Mal besser, mal schlechter, aber es funktioniert. Selbst auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise hat es funktioniert, je kleiner die Dörfer waren, desto besser hat es funktioniert. Die Flüchtlingskrise war hierzulande keine echte Krise, sondern eine enorme, auch logistische Herausforderung, und die Behörden und die Menschen, die schon hier lebten, haben das mit Bravour gemeistert, und meistern es noch.

Aber was weiß denn ich eigentlich? Wann habe ich das letzte Mal hierzulande mit Türken gesprochen, oder mit Iranern oder Afghanen, mit Menschen aus Afrika? Mit unseren Flüchtlingen im Dorf hatte ich viel zu tun, aber das ist schon wieder lange her. Und wann habe ich sie und all die anderen gefragt, ob sie im Alltag Rassismus und Anfeindungen erleben, hier in der vermeintlich idyllischen Provinz? Ob sie sich wohlfühlen, oder ob sie Angst haben? Ich komme vor lauter tatsächlicher und vor lauter gefühlter Idylle gar nicht auf die Idee.

So. Und jetzt? Man sollte, statt Sonntagsreden zu halten, lieber am kommenden Mittwoch abend mal in eine Shishabar gehen, schlägt ein geschätzter Kollege bei Twitter vor. Genau eine Woche nach der grauenvollen Tat von Hanau. Und ein paar Tage, nachdem in Stuttgart auf eine Shishabar geschossen -, und in Sachsen eine Shishabar abgefackelt worden ist. Die Rassisten sind überall, und überall kommen sie aus den Löchern gekrochen. Würde ich in Berlin wohnen, wäre ich schon längst auf allen Demos mitgelaufen, wenigstens das. Aber hier, in der vermeintlichen middle of nowhere?

Google weiß, was ich nicht wusste: Auch hier in der Provinz gibt es Shishabars, mehr als genug. Also hingehen und sich dazusetzen und fragen und zuhören? Nicht als triefende und selbstgefällige Betroffenheitsgeste, sondern als ein Anfang. Rauskommen aus der selbstgewählten Blase. Nicht nur schöne Reden führen, sondern jetzt auch endlich wieder machen. Zuhören, auch wenn es weh-, und der Idylle einen Abbruch tun könnte. Aber wollen die das überhaupt? Kann ich da so einfach hingehen? Als Frau in eine Shishabar? Und wäre das überhaupt ein Zeichen? Und wo könnte ich sonst noch Zeichen setzen?

Selten habe ich mich pomeranziger und dümmer und hilfloser gefühlt als im Moment.

  • 8 Kommentare
  • Rosi 23. Februar 2020

    sehr gut geschrieben
    man bekommt sehr wenig mit und Kontakte sind selten
    vielleicht muss man nicht in die Sisha Bar
    es reicht vielleicht der Supermarkt um jemanden anzusprechen
    oder der nächste Dönerladen ..
    im Gespräch bleiben ..ich denke das ist wichtig

    LG
    Rosi

  • Hauptschulblues 23. Februar 2020

    Ja, mit möglichst vielen Menschen darüber reden, das ist vielleicht besser als in eine Shishabar zu gehen (H. mag sie nicht, deswegen). Und Sie als Medienarbeiterin können doch eine besuchen und darüber schreiben oder senden?

  • Franziska 23. Februar 2020

    Du siehst mich gerade etwas fassungslos, denn von der Stuttgarter Shisha wußte ich nichts! Und ich schau alle 2-3 Tage in die Stuttgarter Zeitung rein.
    Vielleicht lebst also nicht nur Du in einer Blase, sondern andere auch.
    Erschreckend hinter diesem Kontext finde ich ebenso (oder: fassungslosmachend), daß unsere liebe Bundesregierung ein Kochbuch für einen Blackout zusammenstellen mag. Erst einmal steht es in einem Zusammenhang mit den faschistischen Übergriffen. Da fiel auch gerne mal der Begriff “Prep”, “Prepper”. Da könnte man schon mal paranoid werden. Aktuell halte ich es mit Augen-und-Ohren-auf und wenig Alarmismus. Nur diesen Beigeschmack zu eben Genanntem, den werd ich nicht los.

    LG
    Franziska

  • Katja 24. Februar 2020

    Genau das, das Handeln und die Frage wie, habe ich gestern mit meinem Mann, meiner 20-jährigen Tochter und deren Freundin diskutiert. Ich will meine Meinung zeigen, aber wie? Die Idee von Aktionismus wurde von der Runde ziemlich abgeschmettert. “Damit änderst du nicht die Meinung der Rassisten” und “Du erreichst damit eher das Gegenteil” musste ich mir anhören. Eine Demo im Dorf? Ein müdes Lächeln sah ich in der Runde. Im Nachbarstädtchen hat sich eine Gruppe formiert, die immer wieder Aktionen gegen Rechts startet und das sehr erfolgreich. Also, was erst mal bleibt ist die Diskussion, die Haltung im Alltag und vielleicht irgendwann die richtige Idee.

  • Klaus 24. Februar 2020

    Hm, ich laufe hier in der kleinen Stadt oft an Shisha-Bars vorbei. So verqualmt wie das ist, wäre ein Besuch dort überhaupt nicht mein Ding. Frauen habe ich dort bisher nicht sitzen sehen.

  • Siewurdengelesen 26. Februar 2020

    Es gibt keine Universalrezepte.

    Haltung zeigen, in die Diskussion gehen und trotzdem sachlich bleiben, so schwer es auch fällt. Mit wirklichen rechten diskutiere ich allerdings nicht, die sind ohnehin nicht zu überzeugen.

    Was diesen Täter in Hanau nun gerade auf Shisha-Bars losgehen lies, weiss nur er selbst und in seinem Wahn waren das für ihn m.E. ohnehin nur Symbole. Die Tat selber ist dieses bekloppte Märtyrertum a lá Breivik und wie er tickte und wo seine “Gegner” waren, hat er in seinem Manifest mehr als deutlich gemacht.

    Das gesamtgesellschaftliche Problem ist doch dabei, dass es inzwischen wieder einen Alltagsrassismus gibt, der ähnlich den permanenten Provokationen Rechter und deren Parteien in erster Linie dem Auffallen und Dehnen von Grenzen dient. Dazu braucht man sich nur in seinem Umfeld umzuhören und was dort so über den Tresen geht, was vor Jahren nicht in dieser Form geäussert wurde.

    Das Betroffenheitsgetue war schon in Halle nur Habitus und ist auch jetzt wieder geheuchelt. Weder sind das neue “Qualitäten” noch sonst etwas. Es tritt nur immer offener hervor und spiegelt unter dem vermeintlichen und realen Druck einer immer enger werdenden Welt doch nur das Zerbrechen dieser paralamentarischen Demokratie, deren sozialer Kitt immer mehr bröckelt und deren “Feind” seit ihrem Bestehen immer tendenziell eher links als rechts stand.

    Das hat sich trotz aller Fakten nie gewandelt und wird auch jetzt nicht anders werden. Dazu braucht man nur die Aussagen konservativer Politiker wie jüngst Merz zu hören.

  • Franziska 27. Februar 2020

    An @Siewurdengelesen:

    “Mit wirklichen rechten diskutiere ich allerdings nicht, die sind ohnehin nicht zu überzeugen.”
    Da ich aus dem LK Göppingen stamme, und live schon sehr jung diese un-glaub-liche Argumentationskette – leider ist es eine, wenn man sie läßt! – erleben durfte: Das verstehe ich und vermutlich auch noch ganz viele andere. Da wird man ein bissel bös’, da möchte man brüllen! Dennoch dürfen wir nicht aufgeben. Sonst gewinnen “die”!
    Merz gehört für mich zu Rechts und wird von mir klar abgelehnt. Mal schauen, wie weit er kommt.
    Ich kann nach monatelangem Mitlesen empfehlen: Volksverpetzer – sofern noch nicht bekannt. Was erst mal so drastisch klingt, ist eine HP, in der der Jargon der AfD etc. aufgedröselt wird.

    • Siewurdengelesen 27. Februar 2020

      An Franziska

      Diese Seite ist mir durchaus bekannt;-)

      Es geht ja nicht nur um das, was die AfD so ablässt.

      Was sozialen Raubbau betrifft, so hat sich auch eine SPD und andere Parteien nicht unbedingt dem Interesse der Menschen zugewandt. Der ganze prekäre “Arbeitsmarkt” nebst HartzIV und das Rentendesaster sind u.a. eine Folge davon.

      AfD ist nur dieselbe Politik ohne Feigenblatt und dafür offen ausgrenzend. In deren Arme werden die Menschen durch das o.A. getrieben und die Rattenfänger wissen das zu nutzen.

      Jemanden zu überzeugen, der deren Politik und schlimmeres Denken wirklich vertritt, ist trotzdem Perlen vor die Säue und verplemperte Zeit. Die wollen gar keine ihrem Weltbild widersprechenden Tatsachen sehen oder hören und wissen meist, dass ihre Sicht auf Lügen basiert.

      Sehr gut hat bereits Adorno diesen Jargon zerlegt, der das Eine sagt und das Andere meint und daher nur eigentlich ist…

Schmutziger Donnerstag. Vorheriger Artikel Schmutziger Donnerstag.
Stocktaub. Nächster Artikel Stocktaub.