Richtig oder falsch.

3. Januar 2020

Es war bei einer Abendveranstaltung vor einigen Wochen. Da durfte ich ein paar Dutzend Zuhörern etwas von meinem Werdegang von Berlin ins nordbadische Hinterland berichten, naja, Sie wissen schon, das Übliche. Die Damen und Herren lauschten und staunten und fragten nach, es war eine muntere Gesprächsrunde, und natürlich stellte irgendwer dann die bei solchen Gelegenheiten immerwiederkehrende Frage nach der Kultur.

Ja, vermissen Sie denn hier auf dem Land nicht die richtige Kultur? fragte eine ältere Dame mit ratlosem Blick, und ich sagte nein, nein, ganz und gar nicht, und faselte irgendwas von Schülertickets in Berlin, die mir seinerzeit ermöglichten, für fünf Mark und bei freier Platzwahl all die Großen Kultur-Stars hautnah zu erleben, Herbert von Karajan, Yehudi Menuhin, Anne-Sophie Mutter, naja, lauter so Leute halt, die Älteren unter Ihnen werden sich erinnern. Wir gingen für billig Geld in die Deutsche Oper und in die Philharmonie, manchmal auch ins Theater, meistens aber irgendwas mit Musik. Und wir hielten es für selbsverständlich.

All das faselte ich also so herum bei dieser Abendveranstaltung, um damit deutlich zu machen: Ich hatte als Kind und Jugendliche genug richtige Kultur, mein Bedarf ist gedeckt.

Später, auf der Heimfahrt im Auto dachte ich dann so bei mir Häää? Was heißt denn hier überhaupt richtige Kultur? Als gäbe es auch eine falsche. Stadtkultur ist richtig und Landkultur ist falsch? Nigel Kennedy und die Berliner Philharmoniker sind richtig, und der Musikverein Knödelbutzhausen ist falsch?

Vielleicht können wir uns darauf einigen: Nigel Kennedy oder Igor Levit oder wie sie alle heißen, mit den Berliner Philharmonikern oder sonstwem sind das Eine, und das Konzert vom Musikverein im Dorfgemeinschaftshaus ist das Andere. Nicht richtig oder falsch, einfach anders.

Wobei ich inzwischen ein großer Fan guter Konzerte in Dorfgemeinschaftshäusern bin, weil so viel Begeisterung dabei ist, soviel Herzblut, so viel (Achtung, mein Lieblingswort:) Ehrenamt. Weil es in der Pause heiße Würstchen und Bier und Limo aus der Flasche gibt. Weil hinter der Theke die Jungs vom Fußballverein unentgeltlich schuften, oder die nicht-musizierenden Mitglieder vom Musikverein.

Weil auf dem Programm schon lange keine Schrammel-und Marsch-Musik mehr steht, sondern coole Arrangements, fetzige Songs, manch ein anspruchsvoller Klassiker. Weil im Orchester 11jährige mitspielen und 70jährige. Weil das Publikum begeistert strömt, wenn ein-, zwei Mal im Jahr der Musikverein zum großen Konzert im Dorf einlädt. Menschen, die in der Mehrzahl niemals nach Mannheim oder Heidelberg oder Stuttgart zu einem (klassischen) Konzert fahren würden. Warum auch immer. Der Weg zu weit, die Preise zu hoch, die Befangenheit zu groß, ich habe keine Ahnung.

Und wie ich da also spät abends heimfuhr im Auto und über richtige und falsche Kultur nachdachte, kam mir noch eine Frage in den Sinn, die mir vielleicht die Experten unter den Lesern beantworten können. Warum treten die großen Stars der (Klassik-)Branche eigentlich immer nur in den ebenso großen Häusern auf? Im Mannheimer Rosengarten, in der Hamburger Elbphilharmonie, in Berlin und München?

Wieso nicht mal im Balsbacher Dorfgemeinschaftshaus und in der Fahrenbacher Festhalle, im Ravensteiner Schloss oder im Limbacher Feuerwehrgerätehaus? Am Gelde hängts vermutlich, 120 Euro für eine Konzertkarte sind hier nicht drin. Ansonsten bin ich sicher, das Publikum würde strömen, die Karten wären in Stundenfrist ausverkauft. Und das Ambiente wäre mal was anderes. Sehr viel origineller, im wahrsten Wortsinn. Die Besucher vielleicht doppelt so dankbar wie in den großen Häusern. Die Begeisterung wäre so groß, dass manch einer zwischen den einzelnen Sätzen der Beethoven-Sinfonie wild klatschen würde, der kulturbeflissene Städter weiß: das tut man nicht, aber so what?

Und noch einen unschätzbaren Vorteil hätte das: Für diese Art der Kultur müssten nicht immer wir in die Stadt fahren, sondern die Stadt müsste für den Kulturgenuss zu uns kommen, rauf in den Wald und in die Berge. Das wär ja auch mal was.

Übrigens: Falls Sie sich für Klassik interessieren, aber noch keinen rechten Zugang finden, kann ich Ihnen den Herrn Yoran sehr empfehlen. Der sieht mit seiner Batschkapp und dem Berliner Hipsterbart jetzt nicht sooo klassisch aus, hats aber richtig drauf, klassische Musik zu vermitteln. Es gibt da diesen Podcast bei Krautreporter, dazu muß man vermutlich Krautreporter abonniert haben, so wie ich. Lohnt sich. Ansonsten kann man den auch anderswo hören, googlen Sie einfach mal nach *Gabriel Yoran, Schleichwege zur Klassik*. Super Sache.

  • 13 Kommentare
  • Violine 4. Januar 2020

    Danke für das tolle Plädoyer wider “Die sind Weltklasse”!

    Ein Kumpel möchte mich immer in dieses und jenes Konzert schleppen, und es müssen immer die Weltstars sein und dazu müsste ich immer durch die Gegend tuckern. Baden-Baden, Frankfurt, … Was weiss ich, was ihm so einfällt.
    Ich bin hier in Heidelberg, der Heidelberger Frühling beginnt bald wieder (die ersten Konzerte, habe ich gesehen, sind schon ausverkauft). Aber mich lockt das nicht. Ich war über die Jahre mehrmals dort. Herrje, wie routiniert diese Weltklasseleute ihr Programm abspulen! Nicht meine Sache.

    • LandLebenBlog 4. Januar 2020

      Das ist ja auch noch ein Aspekt, richtig: Dass die Profis aus der Weltklasse ihr Programm mitunter routiniert einfach abspulen. Die machen halt ihren Job. Aber wüssten deswegen vermutlich auch weiß Gott nicht, was sie in einem Dorfgemeinschaftshaus sollten.

  • Anne 4. Januar 2020

    Natürlich strömt das Publikum auch deshalb begeistert, weil da der Onkel an der Posaune / die Enkelin am Saxofon / der Nachbar hinter der Pauke sitzt = man kennt sich und wertschätzt die Leistungen – nicht nur die musikalischen. Ich bin sooo dankbar für den Musikverein in unserem Kraichgau-Dorf, der ‚ganz nebenbei‘ noch hervorragende Jugendarbeit leistet.
    Gutes, gesundes (!) neues Jahr!
    Anne

    • LandLebenBlog 4. Januar 2020

      Früher zumindest bekamen die Kinder über den Musikverein ja sogar kostenlosen Instrumentalunterricht, hier in Baden-Württemberg, wenn ich das richtig verstanden habe.

  • Will Sagen 4. Januar 2020

    Sehr schöner Beitrag! Gefällt mir als ehemaligem Landei sehr gut, das schon mal in der Coverband auf der Dorfkirmes spielte. Als Nun-Berliner fand ich es am Anfang ganz aufregend, dass auf einmal die Ganz Großen quasi zu mir kamen. Bis ich (wieder) die Kneipenmusikszene entdeckte, die sich in rauchigen Hinterzimmern vor einer Handvoll Leuten die Seele aus dem Leib spielt. Ich mal auf, mal vor der Bühne.

    Wenn sich ein Barenboim die Decke der Staatsoper für zig Millionen um vier Meter anheben lässt, damit er ein paar Millisekunden mehr Nachhall bekommt, kann man leicht abschätzen, dass derlei “Stars” ein Wort wie “Dorfgemeinschaftshaus” wohl angewidert gleich wieder ausspucken würden, wenn sie es überhaupt in den Mund nehmen. Die Orchester und ihre Dirigenten hängen so sehr am Tropf der lokalen Fördertöpfe, dass es ihnen vermutlich gar nicht möglich ist, an nicht-gesponserten Orten zu spielen.

    • LandLebenBlog 4. Januar 2020

      Ach, Du Schande. Die Barenboim-Geschichte kannte ich nicht, das ist ja ätzend.

      • Will Sagen 4. Januar 2020

        Naja, man fragt sich auch, wofür noch ein weiterer Kammermusiksaal gebraucht wird. Der Pierre-Boulez-Saal ist auch im Grunde nur für Barenboim gebaut worden. Es gibt ja erst drei Opernhäuser, eine Philharmonie, ein Konzerthaus und so weiter. Barenboim ist sicherlich ein herausragender Dirigent, aber seine Eskapaden im Umgang mit Menschen, die nicht nach seiner Fasson sind, sind ebenso legendär.

        Ich will mich aber gar nicht an Barenboim abarbeiten. Ich finde nur, dass die Kulturförderung eine sehr unglückliche Schieflage hat. Das geht schon mit der Trennung von E- und U-Musik einher. Klassische Musik in Frack und Abendkleid hat höheres Ansehen, obwohl es – despektierlich gesagt – fast immer nur das Nachspielen von bereits bestehendem ist, wo doch so viele kleine Künstler ganz viele tolle neue Sachen machen, die immer unter dem Radar bleiben werden.

  • caterina 4. Januar 2020

    Die großen Stars sind auch nur Menschen und können nur eine bestimmte Anzahl Konzerte geben im Jahr. Und wer sagt, dass sie nicht auch irgendwo in Kikeritzpotschen spielen? Vielleicht sogar gratis? Weil sie dort geboren worden sind? Weil die Oma dort lebt? Aber halt leider nicht in jedem Kikeritzpotschen. Die Hellsbergs z.B. von den Wiener Philharmonikern konzertieren jedes Jahr im nördlichsten Mühlviertel, in einem Mini-Kaff, das kaum jemand kennt….. Harnoncourt hat in Mondsee konzertiert, Schwaz, das Städtchen, wo jährlich die Klangspuren stattfinden, hat auch nur etwas mehr als 13.000 Einwohner. Barenboim gründete das Orchester des West-Östlichen Divans und arbeitet (!!!) mit Jugendlichen in den Palästinensergebieten.
    Es ist also nicht alles so schwarz-weiß, wie es im ersten Moment aussieht….. Klar gibt’s auch Arroganzlinge, aber…..

  • Hauptschulblues 4. Januar 2020

    H. geht vielleicht einmal im Jahr in eines der großen Häuser, da muss schon jemand kommen, der/die ihm am Herzen liegt. Chuck Berry war so einer, Miles Davis oder Joan Baez. Diese Besuche liegen Jahrzehnte auseinander.
    Ansonsten sucht er die kleinen Orte auf, die es auch in der oder um die Großstadt gibt. Und freut sich über Lebendigkeit und Virtuosität.

  • Martin Körner 5. Januar 2020

    Das ist ein sehr schöner Artikel. Den würde ich mir mal auf der Feuilletion/Kulturseite von StN oder StZ wünschen, wenn es dort mal wieder um Lösungen für die Oper in Stuttgart geht. Nicht dass ich mich da groß echauffieren würde oder gar eine definierte Meinung hätte, sondern einfach nur zur Erdung.
    Danke auch für den Podcast-Tipp.
    Ist in meinem Catcher verfügbar und kommt auf’s Ohr während ich Bäume schneide.

  • Siewurdengelesen 6. Januar 2020

    Genauso ist das.

    Hier sind es oft die Schulen, die solche Sachen auf die Beine stellen. Voriges Jahr war es Brechts “Dreigroschenoper”, welche die Theater AG aufgeführt hat. Die hängen sich da richtig rein und alleine dafür, mit welch vergleichsweise spartanischen Mitteln die “ganz grosses Kino” bieten, ist es schon den Applaus und Respekt wert.

    Ein Kleinkunstcafé o.ä. hat einen ganz anderen Anspruch und immerhin tauchen zumindest bei uns dann gar nicht mal so unbekannte Künstler auf. Unplugged und zum Anfassen sind sie oft ganz anders, als sie gemeinhin wahrgenommen werden.

    Im weiteren Sinne würde ich sogar Fotografie und Malen etcpp. einschliessen. Ein Bekannter gibt mit seinem eigenen Blick auf das vertraute Umfeld oft ganz andere Impulse weiter, so wie das in Ihrem Tagebuch ja auch immer wieder schön zu sehen ist.

    Und nein – das ist nicht und nie langweilig, da geht´s mehr um das sich darauf einlassen. Für die ganz “grosse Kunst” kann man immer noch in´s Städtle fahren.

    Im Odenwald fiele mir da so als Kleinod z.B. das Elfenbeinmuseum im Schloss Erbach ein…

  • Michael 10. Januar 2020

    Ich fürchte, Kultur wird gerne mit “was ich für richtig halte…” verwechselt. Ausschließlich mit der persönlichen Wertung.

  • Tine 16. Januar 2020

    Ich habe als Studentin mal ein Jahr in Paris gelebt – natürlich alles total klasse und viel Kultur und überhaupt. Irgendwie hatte ich gar keine Lust in mein “provinzielles Stuttgart” zurückzumüssen. Kurz vor dem Ende war ich nochmals ein Wochenende zuhause in Esslingen und dort auf Einladung einer Freundin zu einem Literaturabend. Ich bin da eher widerstrebend hin, der Freundin zuliebe, “das werden so pubertierende Jugendliche mit ihren Herz-Schmerz-Gedichten sein” war so mein Gedanke.
    Dann kam der Abend und ich war baff. Die Qualität war super, die Bandbreite enorm, gute Musik gab es auch noch – und auf einmal wurde mir klar: In der Großstadt wird vor allem konsumiert, tolle Namen und so. In der Kleinstadt oder auf dem Dorf sowieso muss man auch in der Kultur selber ran. Und da entstehen auf einmal die tollsten Dinge. Die gleichen Menschen hätten sich in Paris nicht getraut, hier ihre Texte zu lesen. Und alle hätten was verpasst.
    So habe ich in jungen Jahren gelernt, dass Kultur nicht nur in der Großstadt entsteht.

    Vielen Dank für all die schönen Beiträge!
    Tine

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