Pilzzombie.

16. September 2021

Es sind diese grausamen Zeitgenossen, die mich mit einem einzigen dahingeworfenen Wort in den Wahnsinn treiben. Vorgebliche Freunde, die so ganz am Rande etwas erwähnen und dabei unschuldig tun, als wüssten sie nicht, dass damit der Tag, die Woche, der Monat für mich gelaufen ist.

Du, der Egon hat neulich die ersten Steinpilze gefunden, oder Ach, angeblich gibt es schon Pfifferlinge, sagen sie ganz und gar beiläufig, und ich bilde mir ein, sie grinsten dabei ein bisschen fies.

Ich höre dieses Wort, sei es Pilz, Steinpilz oder Pfifferling, und augenblicklich schalte ich in den Pilzmodus um. Ich kann da selber gar nichts ändern, es geht ganz von alleine, es kommt quasi über mich. So Jekyll-and-Hyde-mäßig.

Ich werde zum Pilzzombie.

Der Blick wird starr und ist fortan nur noch ins Unterholz gerichtet. Frau Lieselottes Ausbildung an der langen Schleppleine interessiert mich nicht mehr die Bohne, sobald ich im Wald bin, und das bin ich spätestens ab dann fast dauernd, dreimal täglich Minimum. Der Hund zieht und zerrt und verwickelt sich um Bäume und Gebüsche, Rehe und Wildsäue fliehen verschreckt, das alles ist mir völlig wumpe, ich stolpere und strauchele mit gesenktem Haupt durchs Unterholz und glotze und glotze.

Das heißt, eigentlich glotze ich gar nicht so sehr, ich schnüffele vielmehr, der echte Pilzkenner orientiert sich ja am Geruch, ich schnüffele also fortwährend, obwohl ich überhaupt kein Pilzkenner bin, schnüffschnüffschnüff, das führt auf Dauer zu einer gewissen Hyperventilation, begleitet von leichten Ohnmachts- und Schwindelgefühlen. Macht nichts, mich hält nichts und niemand auf.

Ich stolpere also schnüffelnd und glotzend, ich krieche und krauche über den Waldboden, Äste und Zweige verfangen sich im Haar und bereiten sich dort auf ein Leben als Vogelnest vor, sie schlagen mir die Brille von der Nase und hinterlassen Schmisse im Gesicht, die jeden Verbindungsstudenten vor Neid erblassen ließen, Brombeerranken verkratzen mir die Arme. ach, was, das bisschen Blut!, und zerreißen mir das T-Shirt.

Manchmal gehe ich auch mit dem Gatten auf Tour, wir nennen das Spazieren, in Wirklichkeit ist es nur ein neuerlicher Beutezug. Das ist für Außenstehende ein vielleicht etwas eigentümliches Bild, wir gehen nebeneinander her und starren auf die jeweils eigene Seite des Weges, stundenlang sind sich nur die Hinterköpfe freundlich zugewandt.

Bei Gesprächsbedarf brabbelt jeder in seine Richtung Unterholz, ins vermeintliche Pilzparadies hinein, meistens aber eher ins Nirvana und völlig unverständlich für den anderen. Das macht aber nichts, weil der andere in seiner Pilzfixiertheit ohnehin nicht zuhört. Ich könnte in solchen Momenten sagen Mein lieber Geo, ich lasse mich scheiden, oder Liebster, wir bekommen Zwillinge!, der Gatte würde nur rufen Boah!, Wahnsinn!, da!, guck mal, da hinten!

Ey, immer mit der Ruhe, werden Sie jetzt sagen, die Pilzsaison hat doch noch gar nicht richtig angefangen. Jahahaaa, das weiß ich auch, Sie kleiner Schlauberger, die Saison fängt erst dann wirklich an, wenn am Waldrand Autos mit HD- oder HN-Kennzeichen stehen, schon am frühen Morgen, oder gar Kleintransporter mit polnischen und allerlei anderen fremdländischen Kennzeichen. Dann kann man sicher sein, dass es im Wald tatsächlich was zu holen gibt. Aber ich bitte Sie: Wer will dann noch Pilze haben, wenn sie alle haben können? Echt jetzt. Ich will die Erste sein, gefälligst.

Foto: Dagmar Schmitt, pixelio

Wenn Sie also von diesen Tagen an, bis tief in den Oktober hinein, eine merkwürdige Gestalt im Wald treffen, mit wirrem Haar und irrem Blick, hyperventilierend taumelnd, mit verschrammelierten Armen, einem Stoffbeutel vom Apotheker und einem Messer in der Hand: ruhig Blut, das bin nur ich. Ich beiße nicht, ich will nur Pilze. Sie dürfen ruhig näherkommen und mich ansprechen, selbst, wenn ich vermutlich darauf gar nicht reagiere.

Nur eines will ich Ihnen sagen: Kommen Sie mir bloß nicht mit dem üblichen und völlig verständnislosen Spruch meiner Odenwälder Dorfnachbarschaft. Wieso machen Sie sich die Mühe? Pilze kann man doch auch kaufen, sogar tiefgefroren!

Dann haue ich.

P.S. Für alle mitlesenden Pilzfreunde aus Heidelberg und Heilbronn und was weiß ich wo. In Wirklichkeit gibt es im Odenwald gar keine Pilze. Ehrlich. Ich habe noch nie einen einzigen gesehen. Sie können also getrost zuhause bleiben. Oder ganz woanders suchen. Odenwald? Lohnt sich nicht, die Fahrt. Wirklich, glauben Sie mir. Sparen Sie sich das Benzingeld und kaufen sich davon ein paar schöne Pilze im Supermarkt. 

P.P.S. Dieser Beitrag ist 2017 und 2019 schon mal erschienen, aber so aktuell wie eh und je. 

  • 12 Kommentare
  • Rosi 13. Juli 2017

    oh jaa..
    man riecht die Pilze ..
    früher war ich immer mit meinen Eltern im Wald
    jetzt geh ich ab und zu mal
    voriges Jahr gab es keine..vielleicht wird es dieses Jahr wieder ;)
    LG
    Rosi

  • Provinzei 14. Juli 2017

    Kleiner Anschiss !!
    Pilze immer in einem Korb aus dem Wald tragen, damit sich die Sporen verteilen können.
    Pilze-Lamellen-Sporen-Geflecht des Korbes-Lücken darin- Sporen fallen auf den Waldboden- neue Pilze können entstehen.
    Keine Tüten, Eimer, Jutebeutel, Fjäl Räven Rucksäcke, Hosentaschen, Jackentaschen.
    Körbe !

    • LandLebenBlog 14. Juli 2017

      Oha, und ich dachte immer, der Korb wäre so eine Art nostalgisches Acsessoire…. Danke für den Hinweis!!

      • Herr Ackerbau 15. Juli 2017

        Das heißt aber auch, dass man die Schwämme im Beutel tragen darf…

  • Friederike 16. Juli 2017

    SCHWÄMME! Als würde ausgerechnet ich mich an Schwämme herantrauen! Ich sammle nur Stein-und Fliegenpilze, da kann man wenig falsch machen.

  • Lea 10. Oktober 2019

    Ist denn eine radioaktive Belastung im Odenwald ein Thema? Bei uns in Oberschwaben sind da einige immer noch stark belastet von Tschernobyl.. :-(
    Jedenfalls viel Erfolg bei der Pilzsuche!
    LG!

    • Landei 10. Oktober 2019

      Hach Gott…..Tschernobyl.
      Das war ein lauer Sommerregen gegen das, was 1958-1962 auf uns runtergerieselt ist.
      Suchbegriff in Wiki: Atombombenversuche.
      Es wurden im Schnitt 150 ( in Worten: Hundertfünfzig ) Versuche pro Jahr gemacht.
      Oberirdisch.
      Hallo ! Das Wir 60er Jahrgänge alle am Krebs verrecken ist kein Wunder.
      Also, esst die Pilze, diese Minibelastung könnt ihr vergessen, Wir haben schon schlimmeres durch.
      Kleine Storry am Rande: Freund von mir war damals, 86, bei so einen Meßtrupp dabei.
      Die heftigsten Meßwerte wiesen alte Ackergeräte auf, die seit Jahrzehnten schon nicht mehr benutzt wurden und in der Ecke einer Scheune rumgammelten. Alte Plüge, Eggen und so Zeug, die in den 60ern noch benutzt wurden und damals Kontakt mit der Erde hatten, da hat der Geigerzähler aber gerauscht, nicht mehr geknarrt ! Erzählt er.

  • ninakol. 11. Oktober 2019

    Da könnte noch einer stehen, oder vielleicht da? Noch ein Stück weiter! Ich war noch nicht in der Dickung da. Ich hab den als Erste gesehen! Papa, kann man den essen? Der sieht aber besonders aus. Oh, schau mal, da hüpft was und da liegen so schöne Federn!
    Die armen Tiere im Wald, wenn wir uns als Familie am Wochenende in die Wälder geschlagen haben.
    In diesem Sinne wünsch ich Dir weiter ganz viel Spass und Erfolg (wo ich jetzt wohne, wachsen schon länger die Champions, aber direkt neben dem Friedhof)
    Liebe Grüsse
    Nina

  • Ilka 12. Oktober 2019

    Pilzesuchen wird leider mit Pilzeputzen bestraft. Und dann hat man schwärzeste Finger von ganze Welt. Jawohl. Kauft eure Pilze lieber im Supermarkt.

  • Annette 16. September 2021

    Ja, zum dritten Mal gelesen und zum dritten Mal totgelacht.
    Wie der Strandspaziergänger aus Wanne-Eickel bei der Hühnergötter- oder wahlweise Bernsteinsuche.
    Aber das gehört hier nicht hin.

  • Hauptschulblues 16. September 2021

    Keine Aufregung wegen der Belastung der Pilze. Wenn es danach ginge, reduzierten sich unsere Nahrungsmittel, einschl. Wasser, sehr stark. So oft isst man sie ja auch nicht.

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