Stadt.Land.Stuss.

2. Juni 2015

Liebe Frau Fetscher, verehrte Kollegin,

 

Sie haben da diesen Artikel geschrieben, neulich im Berliner Tagesspiegel. Das ist schon ein paar Wochen her, aber Ihr Text geht mir nicht aus dem Kopf.

Schickt die Flüchtlinge nicht auf die Dörfer!, war der Titel, und drunter gab es die Zusammenfassung: Nirgendwo ist der einzelne Mensch der örtlichen Bevölkerung so ausgeliefert wie in der Provinz. Wer von Krieg traumatisiert ist, braucht keine feindselige Umgebung. Sondern Stadtluft und Möglichkeiten. Warum Flüchtlinge ins Zentrum der Gesellschaft gehören – Ein Plädoyer.

 

 

Nirgendwo ist der einzelne Mensch der örtlichen Bevölkerung so ausgeliefert wie in der Provinz, da haben Sie schön recht. Ein gräßlicher Zustand, und die syrische Familie im Nachbardorf, die von einem einheimischen Ehepaar an die Hand genommen und in den deutschen Alltag eingeführt wird, die tut mir jetzt schon leid. Wo soll das enden? Oder die vier afrikanischen Frauen im kleinen Städtchen nebenan, um die sich acht Odenwälder Frauen kümmern und die unter Sachspenden schon ächzen, nee, also ehrlich. So geht das hier allerorten, oft gibt es deutlich mehr Helfer als Flüchtlinge, eine bedrohliche Auslieferungsübermacht quasi, ich kann das alles gar nicht aufzählen, man muß sich das mal vorstellen.

 

Und überall die provinzielle Vetternwirtschaft: da kennt einer einen, der einen kennt, und der könnte einen neuen Mitarbeiter gut gebrauchen, und dann bekommt ein Flüchtling einen Job. Um den Friseur aus Damaskus rissen sich gleich mehrere, hin- und hergerissen ist der arme Mann. Und wenn es irgendwo mal hakt, dann kennt einer einen, der den Landrat kennt, und dann wird da schnell mal angerufen, kurzer Dienstweg, alles vermutlich hart an der Grenze zu Unmenschlichkeit und Illegalität. Und ich sage Ihnen, wir erleben das hier täglich. Schlimm ist das.

 

Wer von Krieg traumatisiert ist, braucht keine feindselige Umgebung. Nochmal: bingo. Dann lieber Berlin, nur so als Beispiel. Eine buntschillernde Metropole, mit Stadtluft und jeder Menge Möglichkeiten, deren täglicher Polizeibericht (ja, den lese ich, so zum Vergnügen) voll von fröhlich-freundlichen Begegnungen zwischen einheimischen Schwachmaten und Menschen fremder Herkunft ist. Da wird in der U-Bahn beleidigt, geprügelt und erstochen, auch in der S-Bahn und in Bussen, da fuchteln angeheiterte Berliner Großgeister mit Samuraischwertern/Baseballschlägern/Zaunlatten in Flüchtlingswohnheimen herum, da pissen singende Nazis am hellichten Tag gegen die Stelen der Holocaust-Gedenkstätte,  – aber wenigstens ist da was los! Und sicher meinen die das gar nicht so. Wenn ich da unterwegs wäre, mit einer falschen Hautfarbe, ich nähme soetwas mit einem amüsierten Augenzwinkern zur Kenntnis. Sind doch niedlich, diese pickeligen Typen in den schwarzen Bomberjacken.

 

Rineck2
Ein Symbolbild. Unwirtliche Gegend meets Bleiwüste.

 

Hier auf dem Land hingegen hört und liest man nichts, und das ist ja schon feindselig genug. Hoch verdächtig außerdem. Hier findet ja immer alles hinter zugezogenen Gardinen und hinter vorgehaltener Hand statt. Und wenn sich in einem 360-Seelen-Dorf 40 potentielle ehrenamtliche Helfer für die Flüchtlingsarbeit treffen, noch bevor die ersten Flüchtlinge überhaupt da sind, dann sollte einen das nun wirklich stutzig machen. Geradezu konspirativ rotten sich die Menschen hier zusammen, im erwähnten Beispiel sind das immerhin zehn Prozent der Bevölkerung, und das ist in anderen Dörfern nicht anders, herrjeh. Man muß sich Sorgen machen.

 

Aber wen wunderts? Ressentiments und Bildungsferne von Randgruppen sowohl in ländlichen Gebieten als auch in der Bevölkerung der Banlieues ähneln einander. Genau.so.ist.es. Besonders hier in Baden-Württemberg. Gehen Sie da mal auf ein Dorf – ich meine, da sind der Wedding und die Gropiusstadt doch ein Dreck dagegen! Ressentimentsbeladene Randgruppen, wo man nur hinschaut, man traut sich selber nicht mehr auf die Straße. Bildungsferne Bauern halt. Dauernd in der Angst, es könnte ihnen einer die Butter vom Brot nehmen. Unglücklich und unzufrieden. Wahrscheinlich verprügeln die ununterbrochen in irgendwelchen finstren Ecken arme andre Menschen, zwecks Frustabbau, nur liest man leider nie davon, siehe oben. Naja, gleichgeschaltete Presse, undsoweiter, Sie wissen schon.

 

Baracken und Kasernen in unwirtlicher Gegend sind dabei keine Hilfe, sondern eine unmenschliche Zumutung. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Und ich meine, mal ehrlich, die gesamte deutsche Provinz besteht ja aus nichts anderem als aus Baracken und Kasernen. In unwirtlicher Gegend. Aber es kommt noch schlimmer: Bei uns im Kreis sind Flüchtlingsfamilien in Einfamilienhäusern untergebracht. Und in Wohnungen. Tür an Tür mit den übergriffigen Nachbarn, denen sie so hilflos ausgeliefert sind, siehe oben.

Man muß sich das mal vorstellen.

 

(Ironie-Modus: AUS.)

 

 

Liebe Frau Fetscher, ich könnte jetzt noch zahllose weitere Zitate aus Ihrem beispiellos bornierten Text herauspicken, oder viele Beispiele hier aus der Provinz mit Links verlinken, aber es ist mir allzu mühsam und zu dumm. Irgendwo las ich, sie seien aus Tübingen und lebten nun in Berlin, in Ihrem Zentrum der Gesellschaft, ich könnte jetzt sagen, aha, das erklärt alles, und das sind mir die Allerliebsten, manchmal bin ich dann eben doch wieder gerne gebürtige und arrogante berliner Großstadt-Zicke, aber ich verkneife mir das nun. Fest steht, daß Sie offenbar ganz gerne in Schwarz-Weiß denken und nur wenig Ahnung von Stadt und Land haben, oder daß Sie – was noch schlimmer wäre – von einem Dorf auf alle Dörfer schließen, ohne je in der deutschen Provinz wirklich unterwegs gewesen zu sein.

 

Ich lade Sie herzlich ein, kommen Sie doch gerne mal bei uns vorbei, hier in den deutschen Süden, und machen sich ein Bild. Ich würde Sie dann auch mit all den vielen Leuten zusammenbringen, die hier sehr aktiv sind in der Flüchtlingsarbeit. Ich kann Ihnen allerdings nicht versprechen, daß die Zeit haben für Sie, die haben nämlich alle Hände voll zu tun. Und vermutlich wenig Bock auf Berliner Journalisten, die Ihnen einmal mehr erklären wollen, wie schlimm das hier so zugeht auf dem Land.

 

 

 

P.S. Ja, auch hier gibt es sicher etliche Schwachmaten, die am Stammtisch diesen oder jenen Blödsinn loslassen. Und auch hier gab es inzwischen vereinzelt hörbare Proteste. Aber nicht auf den Dörfern, sondern ausgerechnet da, wo die Bewohner immer gern betonen, daß sie ja in einer Stadt leben. Honi soit qui mal y pense. Alles Weitere können Sie hier nochmal nachlesen, im Grunde passt der Text bis heute.

 

 

 

 

  • 13 Kommentare
  • Matthias Eberling 2. Juni 2015

    Touché. Beim Lesen musste ich an den jungen Iraker denken, der bis Ende letzten Jahres in unserer Dorfpizzeria gearbeitet und den Laden alleine geschmissen hat, wenn Giovanni mal wieder in den Wäldern verschwunden war, um Steinpilze zu suchen. An den syrischen Kollegen eines Freundes im Lager einer Supermarktkette. An die leerstehenden Häuser hier im Dorf. An zwanzig Jahre Integration von Russlanddeutschen, die lautlos im Hunsrück und anderswo “in der Pampa” gelaufen ist. Aber da, wo die Dinge funktionieren, ist natürlich kein Metropolenjournalist zu finden … Ist ja auch total uncool, dass hier alle Kinder in einen Kindergarten und eine Grundschule gehen, weil es eben nur eine Einrichtung gibt – und kein teures Waldorf- oder Montessori-Privatghetto, wo die grünwählende Bionadefraktion ihre Vorstellung von Klassengesellschaft, Rassentrennung und Karrierevorbereitung ausleben kann.

    • LandLebenBlog 2. Juni 2015

      Es ist wirklich ohne Worte. Wenn sie geschrieben hätte schickt die Flüchtlinge nicht irgendwo hin, wo es null Verkehrsverbindungen gibt, schickt sie nicht dahin, wo die sozialen Probleme ohnehin schon täglich Kummer machen, schickt sie nicht in die braunen Hochburgen des Landes – ich hätte das alles unterschreiben können. Aber zu sagen: Provinz ist per se feindselig, und Stadt ist wunderbar und voller Möglichkeiten – nee, ohne Worte.

    • Manuela 3. Juni 2015

      Ich stehe voll und ganz hinter hinter all dem geschriebenen hier, es gibt aber auch Landeier wie ich, die Bionade trinken, die Grünen wählen und die drei Kinder auf der Waldorfschule hatte. Was ich absolut nicht ab kann wenn behauptet wird, das dies teure Privatghettos sind , in denen die dort anwesenden
      das von ihnen aufgezählte angeblich ausleben können.
      Meine Kinder, weder ich sind Rassenfeindlich, sie hatten sogar und das alle drei, was natürlich im Anbetracht des Schulbeitrages nicht unbedingt normal ist, dunkelhäutige Kinder in der Klasse auch gehen sie im Gegensatz zu NORMAL SChülern mit Behinderten unbefangener um.
      Man lernt da einiges fürs Leben, nur mal so. Aber wir sind halt auch
      Provinz, wie sich das in der Großstadt verhält weiß ich nicht. Aber bitte keine
      solche Vorurteile gegen die ALTERNATVEN Einrichtungen!

  • frau mo 2. Juni 2015

    schön ist es bei ihnen! und das meine ich jetzt ohne ironie-modus!
    ♥ monika

  • Astridka 2. Juni 2015

    Ich sag’s ja öfter: Dein Blog ist Bewusstseinserweiterung bzw. öffnet den Horizont. Ich danke dir dafür!
    GLG
    Astrid

  • Provinzei 2. Juni 2015

    Schon mal einem frischen Schwarzafrikaner beim Schneeschippen zugeschaut ?
    (Bahnen auf Schwäbisch.)
    Man könnte Eintritt verlangen :-)

  • waswegmuss 2. Juni 2015

    Hättest du dich als landläufige Dame nicht besser entspannt zurück gelehnt und deine, zu einem süffisanten Lächeln geformten, Lippen hätten das Wort Landpomeranze gehaucht?

  • meertau 3. Juni 2015

    bravo :-)…. herrlich ihr text

  • Manuela 3. Juni 2015

    Neulich kam eine tolle Berichterstattung im Fernsehen.
    Die Jungs integrieren sich prächtig und man kann sie überall einsetzen.
    Einer davon hilft in einem badischen Altenheim bei der Betreuung alter
    Menschen , sie lieben ihn und er spricht auch schon etwas dialekt und
    das kommt einfach toll rüber bei einem Afrikaner, wenn er sagt bitte
    Frau Sowieso ein Budderbrod mit Wuuuurscht. Nur kann es sein, dass er
    jederzeit wieder ausreisen muss, aber dann stehen die Menschen dort wohl
    auf die Hinterfüße…in kleinen Kommunen geht es denen echt gut, man tut
    was man kann dass sie sich ein bisschen heimisch fühlen, lädt sie zu Festen ein , versucht sie tatkräftig zu integriene, gibt ihnen z.B, Fahrräder zum reparieren, dann dürfen sie diese behalten und benutzen.
    Sie scheuen keine Arbeit und sind immer sehr dankbar, vorallem auch
    wenn man sie im vorbei gehen auch anlächelt mit einem ehrlichen Gesichtsausdruck , dass sie mit ihrem Hintergrund hier willkommen sind.
    Ging mir neulich so und wir kamen dann in ein Gespräch, ich hab den jungen Mann zu einem Kaffee eingeladen und wir haben abgemacht, ich bringe ihm mehr deutsch bei und er belebt mein Englisch wieder etwas.
    UND das auf dem LAND, es geht doch, ein schönes Miteinander!
    Da bin ich gerne Landei!

  • Christiane 12. Juni 2015

    Super! Vielen Dank!

  • kathrin 15. Juni 2015

    Ich schliesse mich in jedem Punkt an. Auch bei uns in der westlichsten Provinz Deutschlands in der Europa sowiso schon immer gelebt wird kann ich in einer 15.000 Seelen Gemeinde direkt Projekte und Personen nennen die sich in der Flüchtlings-Integration/Unterstützung …. engagieren. Bei meiner Arbeit in der großen Stadt ( in der ich durchaus auch gerne und lange gelebt haben ) bei den vielen städtischen Menschen entdecke ich soetwas nicht im Ansatz. Noch nicht einmal die Motivation blinzelt über den Berg. Man hat ja auch keine Zeit! Denn heute abend ist man ja schließlich zum Cocktail trinken verabredet!
    Und ich bin gerne ein Landei und lerne gerade wie borniert und voller Vorurteile die weltoffenen Städter sind!

    • LandLebenBlog 15. Juni 2015

      Es ist erstaunlich, gell? Und sowas steht dann auch noch im Kultur-Teil (!!) der Zeitung.

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